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Reizthemen bei Sondierungsgesprächen: Die Gefahr lauert im Detail


Tagesanbruch
Die Gefahr lauert im Detail

MeinungVon Camilla Kohrs

Aktualisiert am 15.10.2021Lesedauer: 6 Min.
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Robert Habeck, Annalena Baerbock und Christian Lindner Anfang Oktober: Heute wollen Grüne, FDP und SPD ein Zwischenergebnis verkünden.Vergrößern des Bildes
Robert Habeck, Annalena Baerbock und Christian Lindner Anfang Oktober: Heute wollen Grüne, FDP und SPD ein Zwischenergebnis verkünden. (Quelle: Michael Kappeler/dpa)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

die dunkle Jahreszeit beginnt und auch Weihnachten ist nicht mehr weit. Glauben Sie nicht? Es sind noch genau zehn Wochen. Gerade nach dem sehr reduzierten Fest im letzten Jahr freuen sich viele darauf, wieder in größerem Rahmen feiern zu können.

Oft ist es dann aber so: Kurz nach Ankunft der lieben Verwandtschaft folgt die Ernüchterung. Onkel Klaus findet den Weihnachtsbaum wie immer zu karg, Cousine Laura will statt dem angebotenen Fisch doch lieber Wiener Würstchen und die Enkel haben gar keine Lust, mit der Oma "Alle Jahre wieder" zu singen. Statt sich also darüber zu freuen, dass es ein Fest gibt, wird darüber diskutiert, wer wo den Kürzeren gezogen hat und was an dieser oder jener Stelle oder überhaupt ganz grundsätzlich anders, besser oder schöner gewesen wäre.

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Dieser Gefahr setzen sich nun auch die Sondierer von SPD, Grünen und FDP aus, wenn sie heute ihre ersten Ergebnisse verkünden. Acht Seiten Papier wollen sie für diesen Zweck produzieren, die eine Entscheidungsgrundlage für die möglichen Koalitionsgespräche sein sollen.

Bisher hüllten sich die Verhandler in eisernes Schweigen. "Es gelten die ersten zwei Regeln des 'Fight Clubs'", schreibt mein Kollege Johannes Bebermeier. Wenn Sie den Film kennen, werden Sie sich daran erinnern. Für alle anderen hat Johannes es noch mal auf die aktuelle Situation übersetzt: "Die erste Regel der Sondierungen lautet: Ihr verliert kein Wort über die Sondierungen. Die zweite Regel der Sondierungen lautet: Ihr verliert KEIN WORT über die Sondierungen!"

Ob es weiter in Koalitionsgespräche geht, wird sich heute zeigen. Einiges deutet aber darauf hin: Der FDP hängt noch immer der Sondierungsabbruch von 2017 nach, sie wollen – wie die Grünen auch – unbedingt regieren. Die SPD versucht ohnehin alles, um sich als besonders verlässlich zu präsentieren. Die Deutschen favorisieren dieses Ampelbündnis ohnehin.

Dass Grüne und FDP miteinander nicht unbedingt eine Wunschhochzeit eingehen, ist hinlänglich bekannt. Heute müssen sie erste konkrete Ergebnisse liefern, um zu zeigen, dass sie bei strittigen Punkten zueinanderfinden können. Gehen die Sondierer aber schon zu sehr ins Detail, lauert eine andere Gefahr: Dass das Ampel-Projekt zerredet wird, bevor es überhaupt begonnen hat. Besonders gilt das für Reizthemen, bei denen sich die gegenüberstehenden Lager seit Jahren mit den immer gleichen Argumenten beschießen. Beispiele gibt es genug:

Tempolimit 130: SPD und Grüne dafür, FDP dagegen. Auf der einen Seite stehen in dieser emotional geführten Debatte die niedrigere Unfallrate und der positive Klimaeffekt, auf der anderen die freie Entscheidung der Bürger. In dieser Frage gibt es entweder Ja oder Nein, ein Kompromiss lässt sich lediglich bei der Grenze treffen: Sind vielleicht doch noch 150 km/h erlaubt? So oder so, eine Seite wird nachgeben müssen.

Klimaschutzmaßnahmen: Ausstiegsziele für Kohle und Verbrennermotoren vorziehen oder es den Markt regeln lassen – diese Frage offenbart den Urkonflikt zwischen Grünen und FDP, der auf einem gegensätzlichen Verständnis der Aufgabe des Staates beruht. Beide Seiten werden hier wohl Abstriche machen müssen – und sich damit der Kritik ihrer Unterstützer aussetzen.

Cannabis-Legalisierung: Bei diesem Punkt sind sich FDP und Grüne einig, seit Tagen tobt jedoch schon eine emotionale Debatte – fast so, als würden sich die Befürworter und Gegner schon einmal warmlaufen. Auch hier sind die Argumente hinlänglich bekannt: Befürworter erhoffen sich, durch staatliche Kontrolle Jugendliche besser zu schützen, Gegner fürchten eine weitere Normalisierung der Droge. Sollte das nun als eines der Ergebnisse stehen, könnte das Kritikern von außerhalb eine Angriffsfläche bieten.

Für die Sondierer wird es ein politischer Balanceakt. Sie müssen vermeiden, dass der angekündigte große Wurf zerredet wird, weil die Reizthemen zu sehr die öffentliche Debatte bestimmen. Wird außerdem nur noch darüber gesprochen, wer am meisten Federn lassen musste, könnte der Druck auf die Verantwortlichen so sehr steigen, dass sie sich doch noch zurückziehen. Sicherlich müssen die Parteien dafür das ein oder andere Versprechen über Bord werfen und dem politischen Konkurrenten auch mal einen Sieg gönnen. Zugleich kann der Koalitionsvertrag nicht nur aus Minimalkompromissen bestehen. Sonst brechen die drei Parteien ihr großes Versprechen: den Aufbruch.

Schaffen die Verhandler es aber, ihre Kompromisse so zu schließen, dass jede Partei dabei noch Erfolge feiern kann, wäre es ein Lehrstück für uns alle: Dass auch wir uns ab und an aus unseren eigenen Schützengräben herausbewegen und auf anderslautende Meinungen einlassen können. Vielleicht findet man dann ja einen Kompromiss, von dem jeder etwas hat. Falls Ihnen das nun zu pathetisch klingt, denken Sie doch mal an das nächste Weihnachtsfest.


Wahlchaos ohne Ende

Stundenlanges Warten vor den Wahllokalen, falsche Stimmzettel und eine Wahlbeteiligung in einigen Stimmkreisen von mehr als 100 Prozent – die kombinierte Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl in Berlin war kein Lehrstück der Demokratie. Nach wochenlangem Lavieren der zuständigen Politiker zog nun immerhin die bereits zurückgetretene Landeswahlleiterin Bilanz: In fast jedem zehnten Wahllokal ist es zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Das sei eine Zahl, die erschrecken und auch ärgern müsse, sagte Petra Michaelis selbst. Der Zusatz, dass es immerhin in den anderen Wahllokalen glattgelaufen sei, tröstet nicht.

Nun steht fest, dass das Chaos ein Nachspiel haben wird. Die Landeswahlleitung legte Einspruch beim Berliner Verfassungsgericht ein: In zwei Wahlkreisen könnten diese Turbulenzen die Mandatsverteilung beeinflusst haben, heißt: Der falsche Direktkandidat könnte in das Abgeordnetenhaus eingezogen sein. Die wichtigsten Fragen dazu beantworten Ihnen meine Kollegen Kriss Rudolph, Titus Blome und Philip Buchen.

Mit der Aufarbeitung kann sich dann in den nächsten Monaten wohl die neue alte Regierung selbst befassen. SPD-Wahlsiegerin Franziska Giffey teilte gestern mit, dass sie nur noch mit Grünen und Linken sondieren wolle. Es wäre eine Neuauflage der bisherigen Koalition, mit dem Unterschied, dass statt der Linken die Grünen nun zweitstärkste Kraft wären. Die Kollegen vom Rundfunk Berlin-Brandenburg haben schon einmal zusammengetragen, woran die Aufarbeitung bislang scheitert. Das sollten sich die Damen und Herren im Roten Rathaus genau durchlesen.

Die weiteren Termine

Nach der Wahlpleite trifft sich ab heute Nachmittag die Junge Union (JU), um das Ergebnis aufzuarbeiten. Auch Parteichef Armin Laschet, Gesundheitsminister Jens Spahn und Fraktionschef Ralph Brinkhaus kommen vorbei. CSU-Chef Markus Söder hat hingegen kurzfristig abgesagt. Um 16.30 Uhr gibt JU-Chef Tilman Kuban eine Pressekonferenz. Der Parteinachwuchs tagt noch bis Sonntag.

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Was amüsiert mich?

Es gibt doch schon genug Vorurteile gegen Berliner.

Ich wünsche Ihnen einen schönen Freitag und dann einen guten Start ins Wochenende. Unser Podcast pausiert in dieser Woche noch, am Montag lesen Sie an dieser Stelle von meinem Kollegen Florian Wichert.

Ihre

Camilla Kohrs
Redakteurin Politik/Panorama
Twitter: @cckohrs

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Mit Material von dpa.

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