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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Zäsur für die SPD Als Oskar davonlief

Vor 20 Jahren verließ Oskar Lafontaine zermürbt die SPD und begann seinen Irrlauf durch linke Kleinparteien. Aber warum ging er? Und fehlt er seiner alten Partei?
Neulich trat Oskar Lafontaine wieder mal in einer Talkshow auf. Natürlich ist er alt geworden, wie denn auch nicht. Bald wird er 82, die Stimme ist leicht brüchig, aber die Gesten sind unverkennbar und die Thesen wie immer messerscharf. Der Oskar, wie ihn alle noch nennen, bleibt eben der Oskar.
Ein Phänomen ist er in der Geschichte der Nachkriegsrepublik. Niemand ist so oft in eine Partei ein- und wieder ausgetreten. Entweder hielten sich die Genossen und Genossinnen an seine Maßgaben oder er warf ihnen Abtrünnigkeit von ihren Zielen vor und ging davon. Niemand außer ihm war Vorsitzender von gleich drei verschiedenen Parteien.
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Dabei ist gar nicht zu übersehen, dass die SPD sein Leitgestirn geblieben ist, ein negatives Leitgestirn. Zuerst arbeitete er sich intern an ihr ab, dann extern. Erst wollte er ihr Kanzler sein, dann wenigstens mit ihr regieren. Renegaten leiden eben an der Glaubensorganisation, die sie verlassen und bleiben lebenslang an sie gebunden.

Zur Person
Gerhard Spörl interessiert sich seit jeher für weltpolitische Ereignisse und Veränderungen, die natürlich auch Deutschlands Rolle im internationalen Gefüge berühren. Er arbeitete in leitenden Positionen in der "Zeit" und im "Spiegel", war zwischendurch Korrespondent in den USA und schreibt heute Bücher, am liebsten über historische Themen.
Er fühlte sich von der SPD schlecht behandelt
Heute ist es 20 Jahre her, dass Lafontaine seine Mitgliedschaft in der SPD aufkündigte. Eigentlich ein spektakulärer Akt, da er so vieles dank seiner Partei gewesen war: Oberbürgermeister in Saarbrücken in jungen Jahren, Landesvorsitzender, Jungstar und Protegé von Willy Brandt, Liebling der Partei, Kanzlerkandidat, Parteivorsitzender, Finanzminister in der Regierung Schröder/Fischer. Warum bricht so jemand aus?
Weil er sich von der SPD schlecht behandelt fühlte. Weil er für sie sein Leben aufs Spiel setzte und in jenen schlimmen Tagen nach dem Attentat die Genossen ihn nicht getragen, sondern getrieben haben. Und weil sie später zuließen, dass Gerhard Schröder den Machtkampf gegen ihn gewinnen durfte.
Der Anschlag auf Lafontaine war eine Zäsur in seinem Leben
Die größtmögliche Zäsur in Oskar Lafontaines Leben ist der Anschlag auf sein Leben am 25. April 1990, als eine psychisch kranke Frau mit dem Messer seine Halsschlagader nur knapp verfehlte. So ein Ereignis verändert jeden Menschen. Es nahm Oskar Lafontaine, dem furchtlosen Shootingstar der deutschen Politik, dem alles gelang, die Leichtigkeit und das Grundvertrauen.
Lafontaine nahm sich nicht die Zeit zum Regenerieren, zur Besinnung. Seine Partei gönnte ihm auch keine Pause. Sie erwartete von ihm, dass er wie vorgesehen im Dezember 1990 die Bundestagswahl gegen Helmut Kohl gewinnen würde. Dabei übersah sie und übersah auch Lafontaine selbst, dass er der falsche Kandidat zur falschen Zeit war, da ihn die Wiedervereinigung kaltließ. Berühmt der Vorwurf an Lafontaine, dass Paris ihm näher liege als Leipzig oder Berlin.
Wer zynisch sein wollte, machte daraus: Honecker, der andere Saarländer, lag ihm näher als Kohl.
Lafontaine hatte recht, doch er bekam nicht recht
Oskar Lafontaine schwamm im Gefühlsstrom der friedlichen Revolution nicht mit. In der Pose des Propheten sah er die ökonomischen Schwierigkeiten voraus, die Massenarbeitslosigkeit, die damit einhergingen. Aber zu diesem Zeitpunkt wollten die ostdeutschen Wähler Kassandra nicht hören und belohnten den Kanzler, der ihnen blühende Landschaften versprach.
Oskar Lafontaine hatte recht, doch er bekam nicht recht. Er fühlte sich schlecht behandelt – von der SPD, von den Wählern, von der Geschichte. Aber noch war er der Liebling der Partei und der linksliberalen Medien. Und natürlich das größte Talent seiner Generation.
Aber da war noch ein anderer, der ihm 1998 sogar die erstrebte Kanzlerschaft wegnahm und ihn dann im Kabinett als Finanzminister sogar maßregelte. Gerhard Schröder war Lafontaine nicht an Machtbewusstsein überlegen, sondern an Zielstrebigkeit und an Einsicht ins Notwendige. Wer Kanzler war, konnte nicht gegen die Konzerne regieren. Wenn die Arbeitslosigkeit 10,5 Prozent erreichte, musste die Agenda 2010 her.
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Lafontaine brach wohl schon 1999 mit der SPD
Oskar Lafontaine fand Rücksicht auf die Wirtschaft grundsätzlich falsch und warf hin – als Finanzminister, als Parteivorsitzender. Ikonographisch das Foto mit seinem Sohn auf den Schultern, schief grinsend vom Balkon seines Hauses, auf das sich Hunderte Kameras richteten. Ihr könnt mich mal, war die Botschaft.
Im Grunde brach Oskar Lafontaine schon im April 1999 mit der SPD. Erst sechs Jahre später sah er aber eine Alternative für sich. Bald war er Vorsitzender der WASG, der Ex-Sozialdemokraten und Gewerkschafter angehörten. Als sie mit der PDS zu "Die Linke" fusionierte, war Lafontaine wieder Vorsitzender. Als ihm auch diese Partei zu lasch wurde, dachte er sich mit seiner Frau Sahra Wagenknecht das BSW aus. Bei der Gründung hielt nicht sie, sondern er die Hauptrede.
Was sollte das Ganze? Lafontaine wollte irgendwann mal mit der SPD eine Regierung bilden, die sich wirklich für die Entrechteten und Wurzellosen einsetzen sollte, damit sie nicht zur AfD überliefen. Daraus ist nichts geworden. Vor wenigen Jahren bedauerte Lafontaine sogar, dass er aus der SPD ausgetreten sei. Manchmal scheint sie ihm zu fehlen, die alte Bedeutung.
Der Lafontaine der vergangenen 20 Jahre ist ein Gescheiterter
Und fehlt er der SPD? Ja und nein. Ihr fehlt der unruhige Geist, der Entwicklungen früh erkennt und Konsequenzen einfordert. Schon 2017 verlangte Oskar Lafontaine nach härterem Umgang mit Geflüchteten und schlug vor, das Asylrecht zu ändern. Der SPD fehlt auch ein ähnlich charismatisches Talent, das sogar sehr.
Ihr fehlt aber nicht der irrlichternde Rechthaber, der noch wenige Tage vor dem Überfall auf die Ukraine von Kriegspropaganda des Westens fabulierte und heute noch Putin in Schutz nimmt. Die Mischung aus Antiamerikanismus und Pro-Russlandismus bringt Lafontaine heute in die Nähe der AfD.
Alles in allem ist der Oskar Lafontaine der vergangenen 20 Jahre ein Gescheiterter. Viel versucht, wenig geglückt. Viel gewechselt, wenig gewonnen. An Verstand und Charisma mangelte es ihm nicht. An Stetigkeit schon und auch an der Größe, aus Niederlagen zu lernen. Sonst wäre er nicht aus der SPD ausgetreten und hätte sich ein paar Irrläufe erspart.
- Eigene Überlegungen