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Mord an Sophia L.: Wie ihre Familie im Prozess dem Täter trotzt


"Ich habe jemanden umgebracht"
Wie Sophias Familie im Prozess dem Täter trotzt

Von Nathalie Rippich

Aktualisiert am 24.07.2019Lesedauer: 6 Min.
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Ein wegen Mordes angeklagter Marokkaner (M.) sitzt vor Prozessbeginn im Sitzungssaal im Landgericht Bayreuth. Im Vordergrund sitzen die Eltern des Opfers.Vergrößern des Bildes
Ein wegen Mordes angeklagter Marokkaner (M.) sitzt vor Prozessbeginn im Sitzungssaal im Landgericht Bayreuth. Im Vordergrund sitzen die Eltern des Opfers. (Quelle: Daniel Karmann/dpa-bilder)

Sie wollte nach Bayern trampen, doch da kam die 28-jährige Studentin Sophia nicht an. Im Prozess erträgt ihre Familie die grausamen Schilderungen des Angeklagten fast regungslos.

Am 14. Juni 2018 will Sophia L. von Leipzig nach Amberg, um ihre Familie zu besuchen. Ein Jahr, einen Monat und neun Tage später wird ihre Familie im Sitzungssaal 2.004 des Bayreuther Landgerichts sitzen. Um 9.04 Uhr eröffnet der Richter den Prozess: Aus der Tramperin Sophia L. ist ein Mordopfer geworden.

Was war passiert? Sophia will an jenem Donnerstagabend per Anhalter in ihre bayerische Heimat reisen, an der Aral-Tankstelle der Raststätte Schkeuditzer Kreuz trifft sie auf Boujemaa L., einen Kraftfahrer aus Marokko. Er bietet der damals 28-Jährigen an, sie mitzunehmen. Die gemeinsame Fahrt beginnt. Am Ende ist Sophia tot, ihre Leiche wird später in Nordspanien gefunden. Was genau in der Zwischenzeit geschehen ist, soll der Prozess klären.

Die Anklage lautet auf Mord. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Kraftwagenfahrer sexuell übergriffig geworden ist und diese Tat durch den Mord vertuschen wollte.

Im Bayreuther Landgericht steht die Familie am Dienstagmorgen das erste Mal dem Menschen gegenüber, der für den Tod von Sophia verantwortlich ist – das hatte L. bereits zugegeben. Als der 42-Jährige den Gerichtssaal betritt, schleifen seine Fußfesseln deutlich hörbar über das Fischgrätenparkett des Verhandlungssaals, er ignoriert die Presse, die anderen Prozessbeobachter. L. verdeckt nicht sein Gesicht. Er setzt sich zu seinem Verteidiger rechts vor die Richterbank. In einer Erklärung stellt L. es so dar, als sei es eine Tat im Affekt gewesen. Dass er sie im Streit erschlagen habe, nachdem sie ihm eine geknallt hat – der Auslöser ein Missverständnis.

Keine fünf Meter von ihm entfernt sitzen Sophias Vater, die Mutter und ihr Bruder Andreas. Sie treten als Nebenkläger in dem Verfahren auf. Sie bewahren Haltung, würdigen den Angeklagten keines Blickes. Und doch ist es offensichtlich – sie ringen um Fassung.

Familie wird klar: Etwas stimmt hier nicht

Hinter ihnen liegt die quälende Frage, was mit Sophia geschehen ist. Nach ihrem Verschwinden wird sie von der Polizei zunächst als Vermisstenfall behandelt, öffentlich gefahndet wird erst nach vier Tagen – die Familie und Freunde werden selbst tätig. Sie ermittelten, wann Sophia in den Lkw von Boujemaa L. stieg, von welchem Unternehmen das Fahrzeug stammte und kontaktierten erst den Chef, dann sogar den Fahrer selbst. Ihnen wird schnell klar: Etwas stimmt hier nicht.

Eine Woche nach dem Verschwinden von Sophia wird aus der düsteren Ahnung quälende Gewissheit: Sophia ist tot. Die Polizei findet ihre Leiche in Nordspanien. Später wird der Verteidiger von Boujemaa L. eine Erklärung seines Mandanten vorlesen. Darin gibt der Angeklagte die Tötung von Sophia zu, entschuldigt sich bei der Familie – und bestreitet den sexuellen Hintergrund.

Täter schildert Reise mit Sophia

An diesem Dienstagvormittag, über ein Jahr nach seiner Tat, stellt Boujemaa L. sich zunächst den Fragen des Richters. Er sagt, die Fahrt mit Sophia sei angenehm gewesen, sie hätten sich mit Händen und Füßen unterhalten, gemeinsam Kaffee getrunken. Sie habe ihn sogar gefragt, ob sie einen Joint rauchen dürfe. Er hätte es ihr gestattet, selbst aber nichts geraucht. Während einer Pause auf dem Rastplatz Sperbes sei die Stimmung gekippt. "Sophia wollte eine Toilettenpause, als sie wiederkam, war sie wie eine andere Person", übersetzt L.s Dolmetscher.

Es war bereits dunkel, Boujemaa L. will gerade die Reifen an seinem Fahrzeug kontrolliert haben, als er sah, wie Sophia seine Sachen durchsucht. Er habe gedacht, sie will ihn bestehlen. Sie wiederum habe ihm unterstellt, ihr einen Klumpen Hasch gestohlen zu haben. "Sie war wütend, sehr wütend", sagt L. Als sie ihm ins Gesicht geschlagen habe, habe er mit dem Werkzeug, mit dem er zuvor die Kontrolle durchgeführt hatte, auf die Studentin eingeschlagen.

Sie habe sich dabei an seine Beine geklammert. "Wie oft haben sie zugeschlagen?", will der Richter wissen. "Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht. Ich wollte sie nicht töten", antwortet er. "Was haben sie denn gedacht, was passiert, wenn sie mit diesem Werkzeug auf ihren Kopf schlagen?", hakt der Richter nach. Der Angeklagte weiß es nicht, er habe nicht nachgedacht. Der Richter will wissen, ob er das Werkzeug noch in der Hand hatte, als der Streit begann. Nein, er habe es erst gegriffen, antwortet L., es sei so viel Blut gewesen.

Stilles Leid, während L. von den blutigen Schlägen spricht

Er zeichnet das Werkzeug, mit dem er zugeschlagen hatte, er beschreibt, wo er Sophia getroffen hat, wie sie in sich zusammensackte. Mutter, Vater und Bruder folgen den Schilderungen. Der Vater macht sich Notizen, wenn er nicht schreibt, fasst er sich mit seiner rechten Hand unentwegt ins Gesicht. Tut er es nicht, sieht man, wie sehr er zittert. Die Mutter – klein, schmächtig, zwischen den beiden Männern sitzend – regt sich kaum.

Andreas L. hingegen, der Bruder, der immer wieder in die Öffentlichkeit getreten ist, erst auf der Suche nach seiner Schwester, dann als die AfD Sophias Tod zu instrumentalisieren versucht, rutscht auf seinem Stuhl hin und her. Immer wieder verdeckt er mit seiner Hand seinen Mund, seine Augen sind rot, wenn er steht, zittern seine Beine. Die drei leiden still.

Boujemaa L. hingegen leidet deutlich sichtbar. Immer wieder unterbricht er seine Aussage, um zu betonen, dass er das alles nicht wollte, dass er einfach nicht mehr könne. Der Richter zeigt sich unbeeindruckt. Stellt einmal deutlich klar: Den Angehörigen der Getöteten gehe es wohl deutlich schlechter.

Immer wieder Selbstmitleid: "Ich habe jemanden umgebracht", sagt Boujemaa L. und schüttelt den Kopf. Als Sophia tot ist, nimmt L. weiter seine planmäßige Route mit dem Lkw. Fährt zu einer Firma in Lauf, spricht dort mit Kunden. Die tote Sophia liegt währenddessen im Fahrerhaus. Dann geht es weiter über Frankreich nach Spanien.

Die Familie nimmt auch diese Schilderungen regungslos hin. Nur einmal vergräbt der Vater von Sophia sein Gesicht in seiner Hand. Es ist die Stelle, an der L. beschreibt, wie er die Leiche in Asparrena, einem Ort im Baskenland, abgelegt hat. Er sei gegangen, habe sich dann überlegt, dass die Tote viel zu offensichtlich da liege und sei zurückgekehrt, um sie zu verbrennen. Viele schmerzhafte Details werden in der Befragung durch den Richter öffentlich. Doch Familie L. bleibt stark.

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L. fotografiert Frauen auf dem Weg zum Klo – und nennt es einen Spaß

Anders als Boujemaa L.: Als es um den mutmaßlichen sexuellen Hintergrund der Tat geht, wird er plötzlich laut. Zuvor war seine Stimme leise, von den Zuschauerbänken aus kaum zu vernehmen. Der Richter spricht ihn auf Ermittlungsergebnisse an, nach denen er auf einem Rastplatz Frauen auf dem Weg zur Toilette fotografiert haben soll. Der Angeklagte nennt das einen Spaß.

Der Richter sagt, er verstehe diesen Spaß nicht. L. erklärt, in Spanien lägen Frauen nackt am Strand. Der Richter versteht auch den Zusammenhang nicht. Die Zuschauer auch nicht – ein Raunen geht durch den Saal. L. sagt, europäische Frauen seien schön, das sage man in Marokko. Und er sagt: Ja, er habe sie fotografiert, aber mit dem Zoom. "Ich habe mich ihnen nicht genähert."

Der Richter weist darauf hin, dass der Angeklagte sich, offenbar kurz bevor er Sophia traf, selbstbefriedigt hatte, Fotos und Videos davon gemacht habe. Als der Richter ein Szenario aufwirft, in dem Boujemaa L. sich Sophia sexuell genähert haben und nach Ablehnung in Rage geraten sein könnte, erhebt L. die Stimme: "Sie können mich umbringen und meine Organe denen spenden, die sie brauchen. Aber bringen sie keinen sexuellen Hintergrund in die Geschichte." Wieder betont er, er halte das alles nicht mehr aus.


Anders Sophias Familie: Die will den Prozess weiter aushalten, ausharren, bis die volle Wahrheit über ihre Tochter ans Licht kommt. Elf Verhandlungstage sind noch geplant – 17 Zeugen sagen aus.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen vor Ort
  • mdr.de: Der Fall Sophia – Eine Chronologie
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