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Ungeklärte Kriminalfälle: Starb Karl XII. von Schweden durch die Kugel eines Rivalen?


Ungeklärte Kriminalfälle
Starb der Schweden-König durch die Kugel eines Rivalen?

Von Dietmar Seher

30.12.2018Lesedauer: 5 Min.
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Karl XII. von Schweden: Der Monarch stirbt, als er mit 20.000 Mann die Festung Frederiksten belagert.Vergrößern des Bildes
Karl XII. von Schweden: Der Monarch stirbt, als er mit 20.000 Mann die Festung Frederiksten belagert.

Ururalte Schwedenkrimis können spannend sein – und echt. Vor 300 Jahren, im Dezember 1718, brach der kriegführende König Karl in vorderster Front zusammen. Kopfschuss. Nach drei Obduktionen und einem sensationellen Fund rätseln die Skandinavier immer noch, wer die tödliche Kugel abfeuerte.

Deutsche Skandinavien-Reisende kennen sich in dieser Geografie aus. Immer frühmorgens schiebt sich das große Fährschiff aus Kiel auf der Fahrt in die norwegische Hauptstadt in den schmalen Oslofjord. Hinterm Ostufer landeinwärts liegt die alte, mächtige Festung Frederiksten. Vor 300 Jahren stand hier der schwedische König Karl XII. im Feldzug gegen Dänen und Norweger auf der Belagerungsschanze. "Seid unbesorgt", rief er in der von Leuchtkugeln erhellten Dunkelheit seinen Soldaten zu. Da gab es einen "dumpfen Laut, wie wenn ein Stein in den Sumpf fällt". So hat sich sein Adjutant Johan von Kaulbars erinnert. Karl sackte tödlich getroffen zusammen. Eine Kugel hatte seinen Kopf durchbohrt.

Wer hat geschossen? Der Feind? Oder ein feindlich gesinnter Freund? War Frederiksten in diesem Moment des Großen Nordischen Krieges nur ein kriegerischer Schauplatz unter vielen – oder doch ein spektakulärer krimineller Tatort? Auch moderne Armeen sind regelmäßig Gerüchten über mörderische "friendly fire", die berühmten Schüsse in den Rücken, ausgesetzt. Doch der Schwedenkrimi von 1718 bewegt nördliche Gesellschaften bis heute.

Todesfälle mit Historie: War es Mord?

Die Spurenlage ist verwirrend. Das ist oft so bei sehr lange zurückliegenden, ungeklärten Todesfällen prominenter oder blaublütiger Zeitgenossen. Schon Cleopatras Tod war mit Fragezeichen behaftet. Tötete sich die ägyptische Königin selbst, indem sie eine Giftschlange an ihren Busen legte? Oder ließ sie ihr Gegner Octavian ermorden? Moderne Forensiker scheitern an der Frage. Es gibt ja nicht einmal eine Mumie.

1233 starb der Inquisitor Konrad von Marburg bei einem Überfall. Waren es Rächer seiner Opfer? Bayern knabbert noch immer an den Umständen des Todes von König Ludwig II. 1886 fischte man ihn und seinen Psychiater tot aus dem Starnberger See. Selbstmord? Oder wollte der Arzt von Gudden Ludwig umbringen und ertrank selbst im Wasser? Am Ufer fand man Hinweise auf ein Gerangel.

Ein Schuss beendet den Krieg

Norwegen, am 11. Dezember 1718. Es ist Nacht hoch über dem Oslofjord. Seit 18 Jahren tobt der Krieg, den Karl XII. von Schweden gegen andere europäische Mächte führt. Der gegnerischen Allianz aus Russen, Sachsen, Norweger und Dänen hat er blutige Verluste beigebracht. Jetzt ficht der 33-jährige Monarch aus Stockholm die Vorherrschaft nördlich der Ostsee aus.

Mit 20.000 Mann belagert Karl die Festung Frederiksten, eine doppelt so starke Streitmacht wie sie Dänen und Norweger aufbieten können. Gegen 21 Uhr fällt der tödliche Schuss an der Schanze. Er wird historische Folgen haben. Er beendet, zeigt sich bald, nicht nur den Krieg. Auch Schwedens Machtansprüche auf dem Kontinent haben sich damit erledigt.

Doch was genau hat Karl da getroffen? Der Splitter einer gegnerischen Artillerie-Kartätsche vom norwegischen Außenfort Oberberg, das 600 Meter entfernt liegt? Er hätte dem jungen König den Kopf wegblasen müssen. Stattdessen weist der Schädel ein kreisrundes, "drei Finger dickes" Loch auf. Oder war es das Projektil aus einer Scharfschützen-Muskete? Dafür ist das 4,5 Zentimeter-Loch wiederum zu breit, und überhaupt: Auf die Entfernung vom Fort kann so zielgenau kein Schütze treffen. Da es ein Ein- und ein Austrittsloch gibt, bleibt sogar offen, ob von links oder von rechts gefeuert wurde.

Kurz nach dem Tod kursieren erste, Aufsehen erregenden Gerüchte: Jemand könnte die exponierte Position von Schwedens Herrscher auf der Schanze genutzt und ihn aus der Nähe getötet haben. Mit einer schwedischen Waffe.

Der Monarch war im Volk nicht gut gelitten

Die Frage nach einem Motiv stellt sich schnell. Beliebt war der aufbrausende Monarch im eigenen Volk nur bedingt. 18 Jahre Kriegsführung haben das Land ausgeplündert. Schweden schien militärisch erfolgreich. Die kriegsgeschädigte Wirtschaft aber lag am Boden. Karls Untertanen litten unter Hunger und Armut. Er sei der „Ruin Schwedens“ gewesen, schrieb einer der größten schwedischen Schriftsteller, August Strindberg, ein Jahrhundert später.

Wenn der Mörder aus eigenen Reihen stammte: War es dann ein Vollstrecker von kriegsmüden Meuterern?

Genauso denkbar: Ein tödlicher Machtkampf. Der König hatte Rivalen, die den Thron wollten. Erbprinz Friedrich von Hessen-Kassel war der mächtigste, der dann auch die Nachfolge übernahm. In einem Fieberwahn gestand Friedrichs Adjutant vier Jahre später, geschossen zu haben – nur um das Geständnis bei wieder klarem Kopf zu widerrufen.

Untersuchungen an der exhumierten Leiche

Getrieben von solchen Spekulationen entwickelt sich die Aufklärung des gewaltsamen Todes über die Jahrhunderte hinweg als eine einzige Achterbahn-Fahrt.

Die Kugel ist von links gekommen, hatte kurz nach dem Tod von Karl sein Leibarzt Melchior Neumann festgestellt. Was nur bedeuten kann: Die Norweger haben geschossen, der Herrscher fiel in einer Kampfhandlung. Fast 30 Jahre später, 1746, wird der einbalsamierte Leichnam exhumiert und der Schädel einer genauen Untersuchung unterzogen. Resultat: Das Geschoss schlug rechts ein, aus nächster Nähe. Doch Mord?

1859 scheint eine weitere Exhumierung einen feindlichen Todesschuss zu bestätigen. Die Erkenntnis hält gerade 58 Jahre. 1917 wartet die dritte Autopsie mit einer handfesten Überraschung auf. Inzwischen sind die kriminalistischen und medizinischen Techniken verfeinert. Die Gerichtsmediziner können Schädelknochen aus dem Grab in Stockholms Riddarholmskirche unters Röntgengerät legen. Sie stellen zur eigenen Überraschung fest, dass in den Skelettteilen etwas völlig fehlt: Blei. Dabei habe zur Zeit des Nordischen Krieges jede Munition aus Blei bestanden.

Durchbruch nach fast 300 Jahren

200 Jahre nach dem Tod des Herrschers steht die Forschung damit wieder am Anfang. Was ist am 11. Dezember 1718 wirklich passiert? Nicht einmal die Begutachtung des durchlöcherten Königshutes bringt neue Erkenntnisse, zumal unklar bleibt, ob die Kopfbedeckung echt ist. Aber dann stößt der Historiker Rolf Uppström von der Universität Uppsala 1994 auf ein sensationelles Dokument.

Das Papier stammt aus der Feder des französischen Oberst Philippe Maigret, der zum Todeszeitpunkt Karls im Führungsstab des schwedischen Heeres Dienst tat. Maigret berichtet, unweit der Stelle, an der der König zusammengebrochen war, habe er einen geplätteten Messingknopf gefunden, Utensil einer schwedischen Uniform. Er war mit Blei gefüllt und so verformt, dass er mit enormer Geschwindigkeit sein Ziel durchbohrt haben müsse.

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Weitere Untersuchungen nach Uppströms Entdeckung ergeben: Der Knopf stammte möglicherweise von der Bekleidung des Monarchen selbst. Der unbekannte Schütze muss den Knopf gestohlen, innen mit Blei gefüllt und auf den König gefeuert haben. Eine Vorstellung, die gruselig und raffiniert zugleich ist: Zu Lebzeiten hatte sich eine Legende gehalten, der robuste Karl könne nur durch einen Gegenstand aus dem eigenen Fundus ums Leben kommen...

Weitere Ermittlungen: untersagt

Das alles birgt Stoff für Verschwörungstheoretiker. Doch 300 Jahre nach dem Vorgang auf den Schanzen vor Frederiksten hat offenbar der schwedische Staat die Nase voll von überbordenden Spekulationen. Andere Cold Cases liegen längst auf Halde. Wer tötete 1986 den Ministerpräsidenten Olof Palme vor einem Kino? Wie kam es wirklich zum Untergang der Fähre „Estonia“, die 1994 auf dem Weg nach Stockholm war und bei dem mehr als 900 Menschen starben?

Deshalb: Recherche-Stopp. Taucher, die das Wrack der „Estonia“ auf dem Ostseegrund besuchen wollen, bekommen es mit der Küstenwache zu tun. Und eine weitere Obduktion des Königs Karl XII.? Sie ist mittlerweile untersagt.

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