Die Liste der vermissten Teenager ist lang
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Verschwinden Kinder und Jugendliche, trifft das die Menschen ins Mark. So wie im Fall Rebecca. Viele tauchen unversehrt wieder auf.
Jeden Tag verschwinden in Deutschland 200 bis 300 Menschen, alte und junge. Fast die gleiche Zahl taucht wieder auf. Doch das aktuelle Schicksal der 15-jΓ€hrigen Rebecca in Berlin, die groΓ angelegte Fahndung nach ihr und das riesige Interesse daran machen klar: Das, was mit vermissten Kinder passiert, bewegt nicht nur die betroffenen Eltern, die nahen AngehΓΆrigen und die Ermittler ΓΌber deren Pensionsalter hinaus, sondern ganz Deutschland. Es gibt eine lange Liste dieser FΓ€lle.
Inga Gehricke, fΓΌnf Jahre, aus Stendal suchte 2015 bei einem Grillabend der Familie Holz im nahen Wald. Sie kehrte nicht zurΓΌck. Aref Ismaili war vier Jahre alt. Er hatte 2016 die lange Flucht der Eltern aus Syrien bis nach Hessen mitgemacht. Aref wird seit zwei Jahren vermisst. Die Polizei hat einen unbekannten Γ€lteren Mann in einem schwarzen SUV mit Berliner Kennzeichen im EntfΓΌhrungsverdacht.
In der Hauptstadt wurde die damals 14 Jahre alte Georgine KrΓΌger am 26. September 2006 zuletzt in einem Bus der Linie M27 gesehen. Danach: Keine Spur mehr. Und Deborah Sassen wΓ€re heute 30, wΓΌrde sie denn leben. Man weiΓ von ihr nichts. Die DΓΌsseldorferin verschwand auf dem Heimweg vom Schulschwimmen 1996. Die 1990er Jahre, als in Belgien der KinderschΓ€nder und -mΓΆrder Dutroux festgenommen wurde, war auch in der Bundesrepublik ein Jahrzehnt mit besonders vielen vermissten Kindern.
Die schwierige Frage nach der Zahl der Vermissten
Wie viele Kinder werden vermisst? Diese Antwort darauf ist schwer mit Zahlen zu belegen. Daten fΓΌhrt das Bundeskriminalamt. Die BKA-Datei trΓ€gt das merkwΓΌrdige KΓΌrzel Vermi/Utot. Sie enthΓ€lt mit Stichtag 1. Januar 2019 rund 12.700 VermisstenfΓ€lle von Erwachsenen und Kindern β sowohl VorgΓ€nge, die sich innerhalb weniger Tage aufklΓ€ren als auch welche, die seit 30 Jahren ungeklΓ€rt sind. "Der Anteil der Personen, die lΓ€nger als ein Jahr vermisst werden, bewegt sich bei etwa nur drei Prozent", versichert das Bundeskriminalamt.
Vermissten Kindern und Jugendlichen widmen sie in Wiesbaden besondere Aufmerksamkeit. Sie machen etwa die HΓ€lfte der Datei aus, die Mehrzahl ist mΓ€nnlich. Auch, wenn das die Γngste der Eltern anfangs nicht mindern kann: Der Verbleib von Kindern und Jugendlichen wird regelmΓ€Γig zu 98 Prozent geklΓ€rt, ohne, dass man auf ein Verbrechen gestoΓen ist. "FΓΌr ihr Verschwinden gibt es die unterschiedlichsten GrΓΌnde. Probleme in der Schule. Probleme mit den Eltern. Liebeskummer."
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Zudem: In die Vermisstendatei flieΓen neuerdings Namen unbegleiteter minderjΓ€hriger FlΓΌchtlinge ein, die nicht mehr anzutreffen sind, und auch die derjenigen MinderjΓ€hrigen, die von einem auslΓ€ndischen Elternteil in die eigene Heimat "entfΓΌhrt" wurden.
So bleibt nur eine grobe SchΓ€tzung der Zahl wirklich krimineller FΓ€lle. Sie liegt bei 800 bis 900 Kindern bis zum Alter von 13 Jahren, die im Zeitraum seit 1951, also seit fast 70 Jahren, dauerhaft verschwunden blieben. Es sei zu befΓΌrchten, dass diese "Opfer einer Straftat oder eines UnglΓΌcksfalls wurden, sich in einer Situation der Hilflosigkeit befinden oder nicht mehr am Leben sind", rΓ€umt das BKA ein.
Auf und Ab der GefΓΌhle
VermisstenfΓ€lle bedeuten immer ein Auf und Ab der GefΓΌhle der AngehΓΆrigen, von Verzweiflung und Hoffnung. Wie bei Tanja MΓΌhlinghaus aus Wuppertal, die 1998 verschwand. Tage nach dem letzten Zeichen erhielten die Eltern zwei Briefe von ihr. "Komme in zwei bis drei Wochen zurΓΌck." Die AnkΓΌndigung blieb unerfΓΌllt. Γhnlich war es 2006 bei der schon volljΓ€hrigen Frauke Liebs in Paderborn. Sie meldete sich mehrfach auf dem Handy: "Ich komme heute Abend." Wegen der VolljΓ€hrigkeit ermittelte die Polizei nicht sofort alle Funkdaten. Drei Monate spΓ€ter fand man die Leiche der Verschleppten und Ermordeten.
Es gibt in solchen Situationen Menschen, die sich interessant machen oder aber in guter Absicht IrrtΓΌmern unterliegen. Sie wollen die Vermissten selbst nach vielen Jahren gesehen haben. Gerade FΓ€lle angeblicher Lebenszeichen aber gehen den AngehΓΆrigen besonders an die Nieren β wie beim Verschwinden von Katrin Konert aus dem Landkreis LΓΌchow-Dannenberg, nach der heute noch intensiv gefahndet wird. Sie ist seit 18 Jahren vermisst.
Die damals 15-jΓ€hrige SchΓΌlerin hatte am eiskalten Neujahrstag 2001 die Wohnung eines Freundes im Streit verlassen hatte, wollte irgendwie die 17 Kilometer ins Elternhaus nach GroΓ Gaddum gelangen. Eine SMS an die Schwester ist das letzte, was die Eltern von ihr haben. Danach: Γber Jahre nur Meldungen, irgendwer habe Katrin an den NiagarafΓ€llen beim Verkauf von Andenken erkannt oder als Animateurin in der TΓΌrkei. Einmal rief eine gebrochen deutsch sprechende Frau an. Sie wollte was zum Verschwinden Katrins sagen. Das GesprΓ€ch brach so ΓΌberraschend ab wie es gekommen war.
Offenbar weniger MissbrauchsentfΓΌhrungen
Polizeiexperten sind heute sicher, dass "klassische" Delikte wie die EntfΓΌhrung eines Kindes, um es sexuell zu missbrauchen und zu tΓΆten, zurΓΌckgehen. Der im Landeskriminalamt von Nordrhein-Westfalen fΓΌr die AufklΓ€rung lange zurΓΌckliegender FΓ€lle ("Cold Cases") zustΓ€ndige Andreas MΓΌller sagt: "Wissen Sie, wann hier der letzte sexuell motivierte Kindermord war? 2011. Mirco. In MΓΆnchengladbach."
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Das ist acht Jahre her. Denn eine Vergewaltigung werde fΓΌr TΓ€ter heute zum hohen Risiko, weil es DNA-Tests gibt. Und das Internet biete Pornografie, die bei manchen Menschen den Druck mildern kΓΆnne. Andererseits ist da die Dunkelziffer der Kinder, die fΓΌr Porno-Darstellungen im Netz missbraucht werden. Wie hoch sie ist, ist vΓΆllig unbekannt.
- Eigene Recherchen
- Bundeskriminalamt ΓΌber VermisstenfΓ€lle