t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



Menü Icon
t-online - Nachrichten für Deutschland
HomePanoramaMenschen

Auswanderung | Diese Deutsche will wegen "Gender-Irrsinn" Asyl bei Putin


Auswanderung
Diese Deutsche will wegen "Gender-Irrsinn" Asyl bei Putin


21.07.2022Lesedauer: 8 Min.
Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.
Player wird geladen
Für ein "sicheres und freies Leben": Eine Frankfurterin ist nach Russland ausgewandert. (Quelle: t-online)

Eine Deutsche will Asyl bei Putin und behauptet, dass sie für ihr Kind Schutz sucht vor Frühsexualisierung und Gendergaga. In Russland hat sie illustre Helfer. Die Aussagen der Frau – im Video.

Was sie da über Schwule und Pädophile gesagt habe, das tue ihr jetzt leid. "Wirklich falsch ausgedrückt" habe sie sich da, sagt Janine Grimberg. 35 Jahre ist sie alt, stammt aus Deutschland – und sucht in Russland Asyl, wie sie in einem Video begründet hat.

Sie empört sich darin, dass Männer, die sich lieben, Kinder adoptieren können. "Das ist doch gefährlich, woher will man wissen, dass es sich nicht um Pädophile handelt?" Drei Tage später korrigiert sie sich: "Es sind natürlich nicht alle pädophil."

Vielleicht hatte das etwas damit zu tun, dass t-online ihr Stunden zuvor eine Anfrage geschickt hat zu dem Video, ihren Aussagen und ihrem Leben. Das Video ist auf Telegram durch die Kanäle und Gruppen gerauscht und kommt auf mehrere Hunderttausend Abrufe. Und es wirft die Frage auf: Was ist echt und was ist inszeniert, um Öl ins deutsche Debattenfeuer zu gießen und den Westen in Russland als verloren darzustellen?

"Sicheres und freies Leben" – in Russland

Denn ihre Darstellung lässt stutzen: Die Frankfurterin, die ihren Fitnesstrainerinnen-Körper modisch gekleidet auf Instagram präsentiert, flieht demnach mit ihrer Tochter vor "Verrückten mit Sexkoffer im Kindergarten", vor "verkleideten Männern, die für Kinder perverse Tanzeinlagen machen" und vor dem Begriff "Elter" statt Mama oder Papa. So sagt sie es zumindest.

Russland hat sie angeblich als Asylland gewählt, "weil ich ein sicheres und freies Leben für mein Kind und mich haben will" und dies in Deutschland nicht möglich sei.

Janine Grimberg ist damit ein Instrument im Kulturkampf und war schnell eingebunden in ein Netzwerk, das Stimmung macht gegen den Westen. In diesem Text wird es darum gehen, wie ihre Begründung sich plötzlich geändert hat und wer sie unterstützt.

Es wird um einen österreichischen Unternehmer mit Empfehlungen russischer Staatskonzerne gehen. Der Unternehmer hilft nicht nur der deutschen Asylbewerberin, er steht auch Alina Lipp zur Seite, der bekanntesten deutschen Putin-Propagandistin. Nebenbei unterstützt er russische Staatsmedien dabei, ihre Sicht in Deutschland anzubringen.

Asyl für wenige
Russland ist nicht bekannt für eine liberale Asylpolitik: 10.912 Menschen mit Asylstatus lebten Ende 2021 in dem Land, das waren 0,04 Prozent der Flüchtlinge weltweit. Darunter waren fast 9.000 Ukrainer und nicht einmal 300 Syrer. Bereits 2019 erhielt die deutsche "Reichsbürger"-Familie Griesbach für ein Jahr temporär Asyl, das seither mehrfach verlängert wurde. Gewährt worden war das von höchster Stelle aus humanitären Gründen. Die Familie, die geflohen war, weil die Behörden nach eigener Darstellung ihre Kinder "klauen" wollten, lebte jahrelang unter unhaltbaren Zuständen in einem VW-Bus.

"Enttäuscht vom deutschen Volk"

Grimbergs Geschichte passt zum Bild, das russische Propaganda gerne vom dekadenten Westen vermittelt und das deutsche Debatten überzeichnet: Alle sind verweichlicht und desorientiert oder auf bestem Weg dahin. Nur wenn sich jemand dagegen wehrt, dann wird derjenige plötzlich massiv verfolgt. Die Sorge, dass die "Woken" jede Debatte erdrücken, sie ist auch in Deutschland verbreitet. Janine Grimberg erklärt, dass sie "eine andere Meinung" hat und deshalb fliehen musste. Sie ist "enttäuscht vom deutschen Volk".

Grimberg hatte in einer Gruppe "Putin-Fans" auch schon mal geschrieben, Putin solle "Welt-Präsident" werden. Russland war ihr Ziel, "weil hier Familie noch heilig ist und weil man sich frei entfalten kann". (Wobei man beim Entfalten von Protestplakaten in Russland besser aufpassen sollte. Da wurden schon Menschen festgenommen, die nur so taten, als würden sie ein Plakat in Händen halten.)

Der Krieg in der Ukraine beschäftigt Grimberg nicht, wie sie in einem Video sagt: "Ich will nicht so viel mitbekommen. Hier ist es friedlich."

Keine offizielle Bestätigung für Asylantrag

Die russische Botschaft in Berlin hat keine Kenntnis, ob Grimberg tatsächlich nach ihrer Ankunft in Russland Asyl beantragt hat und verweist ans Außenministerium. Von dort kommt gar keine Antwort. Ihren Fotos und Videos nach lebt Janine Grimberg aber in Krasnodar, aufstrebende Millionenstadt 1700 Kilometer südlich von Moskau und 120 Kilometer vom Schwarzen Meer entfernt. Sie erzählt offen vom Alltag, verschweigt auch kleine Problemchen nicht.

In der Stadt spielt der FK Krasnodar im mit italienischem Marmor geschmückten neuen Fußballstadion. Dort wurde im Januar Daniel Farke Trainer, heute der Coach bei Borussia Mönchengladbach. Denn als Russland die Ukraine angriff, kündigte Farke nach nicht einmal zwei Monaten den Job und verließ Krasnodar. Janine Grimberg kam mit vier Koffern, und auf sie wartete dort bereits ein Job.

Wenn sie erzählt, dass ihr in Deutschland Verfolgung droht, weil sie "anderer Meinung" sei als der "vom deutschen System vorgegebenen" und weil sie ihr Kind schütze, dann geht sie erstaunlich wenig auf die Zeit vor ihrer Flucht nach Russland ein.

Die legt nämlich nahe: Da ging es ihr vor allem um den Kampf gegen Corona-Maßnahmen. Sie hat sich mit der Totalopposition ins Abseits manövriert: Als Freiberuflerin kaum noch Einnahmen, dafür aber Bußgelder und Ärger mit dem Jugendamt. Es gibt überall in Deutschland Familien, die immer schmerzhafter feststellen, dass das dauerhafte Ignorieren von Regeln Folgen nach sich zieht.

In Königs Wusterhausen hatte ein "Querdenker" seine drei Kinder, seine Frau und sich selbst erschossen, weil aufzufliegen drohte, dass er Impfzertifikate gefälscht hatte. In Paraguay wurde mit Erfolg nach einem deutschen Impfgegner-Paar gefahndet, das die beiden Kinder aus früheren Beziehungen entführt hatte, um sie vor den Maßnahmen zu bewahren.

Viele Menschen aus dem "Corona-Widerstand" träumen davon, das Land zu verlassen. "Dann geh doch, wenn es dir hier nicht passt", bekommen sie zu hören. Grimberg war insofern offenbar konsequent.

Sie kann zwar Serbisch, spricht aber kein Russisch und hat keine russischen Wurzeln. Dennoch sucht sie ihr Glück in Russland, sie habe das Land in der Pandemie beobachtet und schätzen gelernt. Grimberg war zu Beginn der Pandemie in die verschwörungsideologische QAnon-Szene gerutscht, wurde in Gruppen von "Corona-Rebellen" aktiv und begann, einen eigenen Aufklärungskanal: "LimitlessFreedom, die Wahrheit, die Du nicht sehen darfst".

Ergebnis ihres öffentlichen Auftretens: Werbepartner auf Instagram hatten die Nase voll und beendeten die Zusammenarbeit, den Job als Fitnesscoach verlor sie auch. Sie sagt heute noch, das "eingepflanzte Krankmachende" sei erst mit der Impfung gekommen, "vorher gab es kein Corona".

"Kann ich Schulpflicht umgehen?"

Im September 2020 wollte sie zum Anwalt, weil an der Grundschule ihrer Tochter in Frankfurt Tests und Maskenpflicht eingeführt wurden. Zu Beginn des Schuljahres 2021/2022 suchte sie in einer Gruppe "Eltern für Aufklärung und Freiheit" Hilfe: "Gibt es irgendwie eine Möglichkeit, die Schulpflicht zu umgehen, damit ich mein Kind zu Hause behalten und unterrichten kann?" Die Tochter habe große Probleme mit der Maske. In der Folge kam es zum Konflikt mit dem Jugendamt, von dort drohten Konsequenzen. Darüber spricht sie heute nur sehr knapp.

Loading...
Loading...
Loading...

Kritik am liberalen Westen, wo vermeintlich alle traditionellen Werte auf den Kopf gestellt werden, liefert aus russischer Sicht eine bessere Begründung für die Flucht aus Deutschland. Ein Video eines Spaziergangs einiger Kinder irgendwo in Europa mit Regenbogenfähnchen ist gerade aus Saudi-Arabien, Serbien und Russland empört diskutiert worden. Leser der russischen Seite "DonPress" erfuhren, dass dahinter vermeintlich ein Umerziehungsplan der "globalistischen Politik" stecke, um langfristig die europäische Bevölkerung zu dezimieren. Die "konservativen Bewohner der europäischen Länder, die noch nicht von der linksfaschistischen Propaganda absorbiert wurden," hätten auch erkannt, dass in der Ukraine "der Krieg zwischen Gut (Russland) und Böse (dem Westen)" stattfindet und hofften auf den russischen Sieg.

In Russland könnte der Spaziergang mit Regenbogenfähnchen künftig ein Gesetzesverstoß sein, wenn es nach dem Willen des Sprechers der Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, geht. Der unterstützt einen Gesetzesvorstoß für ein "Verbot von Informationen zur Förderung nichttraditioneller sexueller Beziehungen": "Es ist richtig, ein Verbot der Propaganda nicht-traditioneller Werte einzuführen."

Unternehmer aus Österreich unterstützt

Janine Grimberg hat das Video der Kinder mit den Fähnchen geteilt, ebenso wie Alina Lipp, eine Deutsche, die inzwischen international als Sprachrohr Putins bekannt ist und gegen die in Deutschland ermittelt wird – wegen des Verdachts, dass sie eine Straftat gelobt hat – den russischen Angriffskrieg. Lipp verspricht mit ihrem Kanal "Neues aus Russland", Grimberg erzählt über "Mein neues Leben in Russland", und beide bekommen Hilfe von der "Stimme aus Russland".

Der Betreiber dieses Kanals und einiger weiterer ist der Österreicher Martin Held, und der sagte in einem Video mit Grimberg: "Wir machen für Alina ein paar Sachen mit Telegram-Bot und so was." Für Asylbewerberin Grimberg hat er noch mehr gemacht: Er hat sie eingestellt. Ein Kollege schult sie im Umgang mit Telegram, hat für sie eine Gruppe eröffnet. Auch das sagt Held in einem Video.

Held lebt ebenfalls in Krasnodar, ist Chef oder mit seiner russischen Frau Eigner von zwei Firmen mit ominösen Webauftritten: die Gesellschaften "Fancy Nerds" und "Geroy". "Fancy Nerds" in Krasnodar ist die Mutter einer gleichnamigen Firma in Österreich, einer Webagentur.

Auf seinem Internetauftritt lässt das Unternehmen hochrangige Vertreter russischer Staatskonzerne mit Lob zu Wort kommen: Technikverantwortliche der Sberbank, des größten Finanzinstituts Russlands, und von Rostelecom, dem wichtigsten Telefon- und Internetanbieter des Landes, waren demnach angetan von Diensten der "Fancy Nerds", die unter anderem Telegram-Bots im Angebot hat.

Neben diesen Statements mit Porträtfotos, die an anderer Stelle im Netz mit anderem Namen auftauchen, hat die Firma auf ihrer Seite kaum etwas vorzuweisen: nur den kostenlos erstellten Auftritt für einen österreichischen Automobilclub. Dieser Club ist auch die einzige Arbeit, die bei der "Geroy GmbH" zu sehen ist. Das ist eine Gesellschaft, die je zur Hälfte Held und seiner Frau gehört. Helds rechte Hand, eine Russin, die ihrem Instagram-Account zufolge durch die Welt jettet, winkt in einem Video von Janine Grimberg auf der Straße von Krasnodar in Grimbergs Kamera.

Rätselhafte Firmen

Die "Fancy Nerds" haben auch einen Internetauftritt, in dem die Rede ist von Autoren im Team, die Muttersprachler in Deutsch, Englisch und Russisch sind, von Social-Media-Managern. Beschäftigen kann man sie aber nicht: "Wir bieten nichts an, was Sie kaufen könnten, und Sie können keine unserer Dienstleistungen buchen."

Held und sein Team legen sich aber ins Zeug, um russische Sichtweisen an ein deutschsprachiges Publikum heranzutragen. "Geroy" steckt hinter einem Projekt, das ausdrücklich Menschen in der EU den Zugang zu gesperrten russischen Kanälen ermöglichen soll.

"Internet-Tunnel", VPN, erlauben es, sich von einem anderen Einwahlstandort außerhalb der EU einzuloggen. Damit lassen sich dann auch russische Propaganda-Kanäle wieder aufrufen, die auf Telegram für den Zugriff in der EU gesperrt sind. Held stellt sich als Anti-Zensur-Aktivist dar, seine Mitarbeiter erstellen Vergleiche von derartigen Anbietern, dafür fließt Provision. Einem eigenen Transparenzbericht zufolge ist das aber ein Minusgeschäft.

Russland: Staat hat die Schlüssel
Von "Scharlatanen" spricht bei den Angeboten von deutschsprachigen VPN-Vergleichen mit Impressum in Russland der deutsche Sicherheitsforscher Mike Kuketz (Kuketz IT-Security). Er warnt auch vor dem Angebot, sich einem russischen Anbieter anzuvertrauen, wie Helds Projekt das anbietet. In Russland würden VPN-Dienstleister per Gesetz dazu verpflichtet, die Entschlüsselungskeys an staatliche Behörden zu übermitteln. Damit sei es zwar durchaus möglich, dann Beschränkungen in der EU zu umgehen. "Allerdings hebt das die Anonymität eines VPN-Nutzers gegenüber dem Staat vollständig auf, wenn der komplette Datenverkehr eingesehen werden kann."

Die "Geroy GmbH" trägt auch die Kosten für ein weiteres Angebot: Sie hat die Möglichkeit geschaffen, sich ohne weitere Hilfsmittel am Rechner den in Europa eigentlich gesperrten Livestream des staatlichen russischen Senders RT in Deutsch und weiteren Sprachen anzuschauen. Zudem betreibt Held Kanäle, die die Meldungen der staatlichen russischen Nachrichtenagenturen RIA Nowosti und Tass ins Deutsche übersetzt anbieten.

Nachtschicht, um eilig Video zu übersetzen

Helds Gespräch mit Janine Grimberg ist in seinem Kanal das zweiterfolgreichste Video. Für das erfolgreichste ist seine Frau nachts noch einmal aufgestanden. Es klärt vermeintlich über die "Fake News" der hochschwangeren Influencerin Marianna Vyshemirsky auf, die im schwer beschädigten und von Russland angegriffenen Krankenhaus in Mariupol fotografiert wurde. Nach 22 Uhr Ortszeit erschien das Original in einem russischen Kanal, um 4.02 Uhr war bei "Stimme aus Russland" die übersetzte Version online.

So viel Einsatz – aus eigenem Antrieb? Es ist wohl eher so: Verantwortliche einer österreichischen Firma, die offenbar für die wichtigsten russischen Staatskonzerne gearbeitet haben, wirken an Kanälen mit, die die EU-Beschränkungen unterlaufen und russische Staatsmedien und russische Propaganda transportieren.

Es kamen keine Antworten auf Fragen, die t-online an diverse Firmenadressen geschickt hat. Auch Janine Grimberg hat Nachrichten von t-online zwar offensichtlich gesehen, aber nicht geantwortet. Aber, was sie über Schwule und Pädophile gesagt hat, das hat sie dann – ein bisschen – zurückgenommen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Telegram
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website