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Wehrpflicht: Wiedereinführung als Rettung der Bundeswehr?


Tagesanbruch
Sie allein kann uns nicht retten

  • David Schafbuch
MeinungVon David Schafbuch

Aktualisiert am 13.03.2024Lesedauer: 7 Min.
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Soldaten bei einer Gelöbnisfeier der Bundeswehr: Der Truppen fehlt es an Personal. (Quelle: Ardan Fuessmann/imago-images-bilder)

Guten Morgen, liebe Leserin, lieber Leser,

machen wir zusammen eine kurze Zeitreise in die Vergangenheit. Genau genommen zum 12. September 2008. Für die meisten von Ihnen war es wohl ein Tag wie jeder andere, für mich war er dagegen von großer Bedeutung.

Ich, damals 18 Jahre alt, saß an jenem Freitagmorgen in einem kahlen Raum und hatte gerade einem Arzt in einem Kreiswehrersatzamt ein Schreiben meines Hautarztes vorgelegt. Aufgrund von Allergien sei ich nicht für den Wehrdienst geeignet, stand dort. Der Arzt auf dem Amt stellte mir einige kurze Fragen, ich antwortete wahrheitsgemäß – und meine Musterung war vorbei, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte. Das Ergebnis: Ich war nicht wehrdienstfähig. Bundeswehr und auch Zivildienst waren damit kein Thema mehr für mich.

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Damals war ich erleichtert. Ich wollte viel lieber gleich nach der Schule studieren. Heute denke ich, dass ich damals einen großen Fehler begangen habe. Seien wir ehrlich: Ohne den Wisch wäre ich vermutlich als tauglich eingestuft worden. Ob ich mich in diesem Fall für Bundeswehr oder Zivildienst entschieden hätte, darüber musste ich mir keine Gedanken machen. Beides hätte mir in meiner Entwicklung sicher nicht geschadet. Das "gewonnene Jahr", das ich vielen meiner Klassenkameraden an der Uni voraus hatte, habe ich übrigens schnell wieder verbummelt, weil ich zwischen meinem Bachelor- und Masterstudium nicht genau wusste, wie es weitergehen soll.

Mittlerweile ist die Wehrpflicht in Deutschland seit 13 Jahren ausgesetzt. Seitdem geistert die Diskussion um eine Wiedereinführung immer wieder durch Politik und Medien. Vor allem seit Russland seinen Krieg in der Ukraine immer weiter eskalieren lässt, stellen sich viele Menschen die Frage: Ist Deutschland auf den Ernstfall eines Krieges wirklich eingestellt?

Dass wir diese Diskussion über unsere Wehrfähigkeit jetzt führen, ist richtig. Doch ein Allheilmittel wird die Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht sein. Denn die Mängelliste der Bundeswehr hört nicht beim Personal auf. Es ist ein Problem, aber eben nicht das alleinige. Wer mehr Soldaten in der Bundeswehr will, braucht eben mehr als nur eine höhere Anzahl an Bewerbern.

Ein Überblick über die Baustellen des deutschen Militärs liefert der neue Bericht der Wehrbeauftragten des Bundestags, Eva Högl (SPD). Eine Auswahl:

  • Die Infrastruktur nannte Högl gestern "desolat": Kasernen, Sanitäranlagen, Sporthallen, Büros seien in einem äußerst schlechten Zustand. Die Mängel setzen sich auch im Digitalen fort, wo vieles nicht mehr zeitgemäß sei.
  • Auch beim Material gibt es große Lücken. Es fehlen Panzer, Schiffe, Flugzeuge und Munition. Viele Bestände sind auch durch die Lieferungen an die Ukraine weiter ausgedünnt worden. Müsste die Bundeswehr ohne Nato-Unterstützung auskommen, wäre nach wenigen Tagen im Kampf alles aufgebraucht. Ein Lichtblick ist dagegen laut Högl die persönliche Ausstattung der Soldaten. Doch hier zeigt sich ein weiteres Problem: Es fehle mittlerweile an entsprechenden Schränken, um die gesamte Ausrüstung richtig zu verstauen.
  • Auch das Personal bleibt ein dauerhaftes Problem: Aktuell sind rund 20.000 Stellen in der Truppe unbesetzt. Bewerbungen gibt es zu wenig, die Abbruchquote liegt in der Ausbildung bei rund 20 Prozent. Es fehlen zudem Frauen, vor allem in Führungspositionen. "Die Bundeswehr altert und schrumpft", fasste es Högl zusammen. Zudem ist die Zahl der gemeldeten Verdachtsfälle von sexuellen Übergriffen auf 49 gestiegen. Damit hat sich die Fallzahl innerhalb von vier Jahren fast verdoppelt. Insgesamt waren 2023 rund 181.800 Soldaten in der Bundeswehr aktiv. Das sind rund 1.500 weniger als im Vorjahr und etwa halb so viele wie vor 30 Jahren.

Dennoch kann das Comeback der Wehrpflicht ein Baustein einer großen Reform sein. Allerdings lässt sich diese nicht einfach per Knopfdruck wieder einführen. Die Kreiswehrersatzämter gibt es nicht mehr, genauso wie die Ausbildungsstrukturen aus früheren Zeiten. Oder anders gesagt: Die aktuellen Probleme in der Bundeswehr wären wahrscheinlich eine Kleinigkeit im Vergleich zu dem, was uns mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht blühen würde.

Wenn Politiker also heute wieder eine Wehrpflicht wollen, sollten sie auch erklären, wie sie das in der ohnehin angespannten Finanzsituation bezahlen wollen. Das gilt etwa für CSU-Chef Markus Söder, dessen Parteikollege Karl-Theodor zu Guttenberg einst die Wehrpflicht überhaupt erst aussetzen ließ. Söder ist der Meinung, dass die Wehrpflicht in einem Zeitrahmen von fünf bis sieben Jahre zurückkommen könnte.

Wie er das finanzieren will, ließ Söder offen. Das Bundeswehrsondervermögen wird dabei keine Hilfe mehr sein: Zwei Drittel der 100 Milliarden Euro sind laut Högl mittlerweile verplant – und Kenner des Militärs sind sich schon jetzt einig, dass für tiefgreifende Reformen noch mehrere solcher Finanzspritzen nötig sind.

Auch im Bundestag hat die Rückkehr der Wehrpflicht keine Mehrheit. Gegenwind gibt es aus allen drei Parteien der Bundesregierung. Die deutsche Bevölkerung ist bei dem Thema derzeit eher gespalten: Laut einer Forsa-Umfrage für Stern und RTL spricht sich mit 52 Prozent eine leichte Mehrheit für die Wiedereinführung aus. Doch es lohnt sich, bei der Umfrage genauer hinzuschauen: Die höchste Zustimmungsrate lag bei Menschen, die älter als 60 Jahre sind, während die 18- bis 29-Jährigen mehrheitlich dagegen waren. Kurz gesagt: Diejenigen, die noch am ehesten betroffen wären, wollen von der Dienstpflicht nichts wissen. "Es ist nicht die Aufgabe der jüngeren Generation, diese Aufgabe zu schultern, sondern es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe", sagte Sicherheitsexperte Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) meiner Kollegin Marianne Max.

Verteidigungsminister Boris Pistorius denkt wohl auch deshalb über Alternativen nach. Eine mögliche Lösung könnte das "schwedische Modell" sein. Junge Erwachsene müssen dort zunächst einen Bewerbungsbogen für das Militär ausfüllen. Für viele ist das Verfahren danach schon wieder beendet. Für die anderen folgt ein mehrstufiges Auswahlverfahren. Die Besten können am Ende ihren Militärdienst antreten.

Der Vorteil: Die Variante wäre vermutlich deutlich günstiger, die Abbruchquote unter den jungen Soldaten wohl geringer. Die Musterung neuer Soldaten ist in Schweden aber nur ein Baustein: Ausnahmslos alle 16- bis 70-Jährigen können im Kriegsfall für weitere wichtige Aufgaben herangezogen werden, etwa in der Kinderbetreuung, in Gesundheits- und Pflegeberufen oder bei der Sicherung der Stromversorgung.

Vollständig lässt sich das Modell vermutlich nicht auf Deutschland übertragen. Es allerdings zu prüfen, ist sicherlich der richtige Weg. Denn einen Dienst für die Gemeinschaft zu leisten – egal ob beim Militär oder in einer anderen Einrichtung – ist nie falsch. Ich habe da auch noch etwas gutzumachen.


Der Krieg ist in Russland

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In Deutschland wird nichts gerade so heiß diskutiert wie eine mögliche Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine. Der Bundeskanzler hat die Lieferung schon mehrfach ausgeschlossen. Eine Befürchtung: Die Ukraine könnte damit auch Ziele in Russland attackieren.

Doch auch ohne die Marschflugkörper fühlte sich der Krieg für viele Russen zuletzt sehr nah an. In mehreren russischen Grenzregionen wurden am Dienstag Angriffe aus der Ukraine gemeldet. Das Dorf Tjotkino soll zudem von einer pro-ukrainischen Miliz aus Russland eingenommen worden sein. Zudem stürzte nördlich von Moskau ein Militärflugzeug ab, alle 15 Insassen kamen dabei ums Leben.

Ob das ukrainische Militär den Vorstoß der Miliz unterstützt hat oder etwas mit dem Absturz zu tun hat? Wissen wir nicht. Völkerrechtlich wären solche Attacken gegen den russischen Aggressor in jedem Fall erlaubt. Gefallen dürften die Vorfälle dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in jedem Fall nicht. Denn der will sich am Wochenende in aller Ruhe erneut zum Präsidenten "wählen" lassen. "Das sind für Putin peinliche Nadelstiche", sagte etwa der Militärexperte Nico Lange meinem Kollegen Simon Cleven. Vielleicht hat der russische Präsident aber auch schon zurückgeschlagen: Am Dienstagabend wurde Leonid Wolkow, einer der engsten Mitarbeiter des toten Kremlkritikers Alexej Nawalny, in Litauen von Unbekannten mit Tränengas und einem Hammer angegriffen.


Ohrenschmaus

Manche Bands waren sehr früh schon sehr gut. Diese hier etwa zählt dazu.


Was steht an?

Taurus im Zentrum: Seine Entscheidung zu den Marschflugkörpern hat Olaf Scholz im Parlament bisher nicht erläutert. Dazu wird er heute ab 13 Uhr in einer Regierungsbefragung wohl Aufschluss geben. Ab 15 Uhr wird der Bundestag danach noch das Thema in einer aktuellen Stunde behandeln.


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Zum Schluss

Streik über Streik.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Mittwoch. Morgen lesen Sie an dieser Stelle wieder von Florian Harms.

Herzliche Grüße

Ihr

David Schafbuch
Stellvertretender Ressortleiter Politik & Wirtschaft
X: @Schubfach
E-Mail: t-online-newsletter@stroeer.de

Mit Material von dpa.

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