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Brjansk: Weitet sich der Krieg auf russische Dörfer aus?


Gefechte zwischen Russen
Weitet sich der Krieg jetzt auf russisches Gebiet aus?


Aktualisiert am 04.03.2023Lesedauer: 5 Min.
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Region Brjansk: Russische Rechtsradikale, die für die Ukraine kämpfen, sollen sich Gefechte mit russischen Sicherheitskräften liefern.Vergrößern des Bildes
Region Brjansk: Russische Rechtsradikale, die für die Ukraine kämpfen, sollen sich Gefechte mit russischen Sicherheitskräften liefern. (Quelle: russvolcorps / Telegram)

In Russland fallen Schüsse in mehreren Dörfern. Dahinter sollen russische Rechtsradikale stecken, die für die Ukraine kämpfen. Aber stimmt das wirklich?

Plötzlich fallen angeblich auch auf russischem Staatsgebiet Schüsse. Moskau spricht von einem "Terrorakt", von ukrainischen Saboteuren und "Nazis". Doch vieles von dem, was im südrussischen Brjansk geschah, ist noch völlig unklar. Der Vorfall versinkt im Nebel des Krieges und die russische Propaganda versucht, die Lesart zu kontrollieren.

Was ist in Brjansk tatsächlich passiert? Weitet sich der Krieg nun auch auf russisches Staatsgebiet aus? Und nutzt der Kreml den Vorfall, um weiter zu eskalieren? Der Überblick.

Was ist genau passiert?

Eine Gruppe russischer Rechtsradikaler, die für die Ukraine kämpfen, soll in im Oblast Brjansk mehrere Dörfer angegriffen haben. Gesicherte Informationen gibt es kaum, die meisten speisen sich aus staatsnahen Medien oder Videos, die russische Nationalisten auf Telegram verbreiteten.

Von dem angeblichen Angriff gibt es gleich mehrere Bekennervideos, die Soldaten haben sie selbst auf Telegram verbreitet. Darin sind schwer bewaffnete Männer zu sehen, die die Fahne des "Russischen Freiwilligenkorps" (RDK) hochhalten. Ein Soldat steht vor der Sanitätsstation im Dorf Ljubetschane bei Brjansk und klopft zum Beweis auf das Blechschild der Station hinter sich. Die Männer tragen gelbe Streifen auf ihrer Kleidung, was auch die ukrainische Armee in Teilen eingeführt hat, um sich von russischen Truppen unterscheiden zu können. In den Videos fallen Schüsse im Hintergrund, doch es ist nicht zu sehen, wer auf wen schießt.

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Die Kämpfer sprechen Russisch. Ihre Botschaft: Wir sind gekommen, um die russische Region zu befreien. Sie wollen angeblich nicht gegen Zivilisten kämpfen. Ob das stimmt, lässt sich unabhängig nicht beurteilen.

Wenig später meldet der russische Inlandsgeheimdienst (FSB), dass die angeblichen Angreifer ("ukrainische Nationalisten" laut FSB) nach schweren Gefechten auf ukrainisches Gebiet zurückgedrängt worden seien. Dort seien sie von russischer Artillerie unter Beschuss genommen worden, die Gefahr sei demnach beseitigt.

Zwischenzeitlich hatten Medien am Donnerstag auch Berichte über eine angebliche Geiselnahme und den Beschuss eines Schulbusses verbreitet, die dann aber selbst von offiziellen Stellen in Russland widerrufen wurden.

Wer steckt dahinter?

Bei den Angreifern soll es sich um Kämpfer des "Russischen Freiwilligenkorps" handeln, eine paramilitärische Einheit russischer Emigranten, die in der Ukraine lebten. Es sind rechtsradikale Kämpfer, die laut eigenen Angaben Putins Krieg in der Ukraine ablehnen. In Videos bekennen sich die Männer klar zu den Angriffen in Brjansk. Ob sie authentisch sind, ist allerdings unklar.

Auffällig war, dass zu Kriegsbeginn auch einige bekannte Rechtsradikale in der RDK-Einheit kämpften. Während ein Teil der russischen Nationalisten den Angriffskrieg Putins unterstützt, kämpfen andere auf der Seite Kiews. Das "Russische Freiwilligenkorps" (RDK) wurde nach Kriegsbeginn gegründet und setzt sich aus ehemaligen freiwilligen russischen Kämpfern des ukrainischen Asow-Regiments zusammen, das auch Mariupol verteidigte.

In den Videos taucht auch der Kommandant und Gründer des RDK, Denis Kapustin, auf. Kapustin ist ein russischer Neonazi, der in Köln aufwuchs und fließend Deutsch spricht. Er zählte laut "Spiegel"-Informationen zur Führungsebene der rechtsextremen Kampfsportszene und wurde 2019 aus Deutschland ausgewiesen. Seit 2018 soll er in der Ukraine leben und 2022 das RDK gegründet haben.

"Ich glaube wirklich, dass er gegen Putin ist, aber nicht so, wie wir vielleicht denken", sagte der kanadische Journalist Michael Colborne, der sich mit rechtsextremen Bewegungen in der Ukraine beschäftigt, dem "Spiegel". "Leute wie er mögen gegen Putin sein, aber nur, weil sie ihn durch etwas Schlimmeres ersetzen wollen." Er beschreibt Kasputin als "brutalen Rassisten".

Außer Kapustin wird vom CNN außerdem ein Soldat erkannt, der schon für die Ukraine auf der berüchtigten Schlangeninsel kämpfte. Die Insel wurde zum Symbol für den ukrainischen Widerstand. Unklar bleibt, ob das RDK auf eigene Faust gehandelt hat oder ob der Angriff auf Brjansk mit Kiew abgestimmt war.

Wie reagiert der Kreml?

Der Kreml spricht von ukrainischen "Saboteuren und Sabotagetrupps", die Russland angegriffen hätten. Der russische Präsident äußerte sich sogar persönlich dazu – ein Hinweis darauf, welche Rolle der Vorfall im russischen Propagandaapparat spielt. "Sie sind ins Grenzgebiet eingedrungen, wo sie das Feuer auf Zivilisten eröffnet haben", behauptete Putin und hatte die angeblichen Täter früh identifiziert: Ukrainer, gegen die Russland seit acht Jahren kämpfe und sich verteidige. Es ist die bekannte Propagandalinie des Kremlchefs.

Putin behauptete weiter, die Angreifer hätten auf ein ziviles Auto gezielt, in dem auch Kinder gewesen seien. Kurz nach Bekanntwerden entschied sich Putin zudem zu einem ungewöhnlichen Schritt und rief für diesen Freitag den Nationalen Sicherheitsrat ein. Dafür sagte er kurzfristig sogar eine Reise in den Kaukasus ab.

Kremlsprecher Dmitri Peskow hatte zuvor erklärt: "Wir werden Maßnahmen ergreifen, um ähnliche Ereignisse in Zukunft zu verhindern." Bei der Sitzung drang Putin dann auf weitere "Anti-Terror-Maßnahmen". Über diese soll nun das Gremium beraten. Im Vorfeld war spekuliert worden, ob Putin den Vorfall bei der Sitzung zum Anlass nehmen würde, um die sogenannte Spezialoperation in der Ukraine weiter zu eskalieren oder die Repressionen im Inland weiter zu verschärfen. Dies blieb aus. Das Treffen endete ohne konkrete Ankündigungen.

Die russische Politologin Tatjana Stanowaja vermutete dennoch auf Telegram, dass vom Kreml "etwas Ernsthaftes vorbereitet" werde. Die Expertin schrieb, es könne sich bei Brjansk um eine russische Operation unter falscher Flagge handeln, um unter diesem Deckmantel eine weitere Eskalation des Krieges zu rechtfertigen. Sie rechne mit ähnlichen, noch größeren Vorfällen im Laufe dieses Jahres, schrieb Stanowaja.

Was sagt die ukrainische Führung?

Auch die Reaktion aus Kiew folgte schnell. Die ukrainische Führung streitet jede Beteiligung an dem Angriff ab. Der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak warf Russland vor, dass der Kreml damit seinen Angriff auf die Ukraine rechtfertige. Er spekuliert auch, dass russische Partisanen für die Angriffe verantwortlich sein könnten. Außerdem werfen pro-ukrainische Aktivisten Russland eine Operation unter falscher Flagge vor.

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Wer profitiert von dem Vorfall?

Derzeit vor allem die russische Propaganda. Die schnelle Reaktion von Putin, der von einem "Terrorakt" spricht, ist kein Zufall. Militärisch sollte eine bewaffnete Gruppe für das russische Militär und die Sicherheitsorgane eigentlich keine große Gefahr sein. Aber der Kreml sieht in dem Vorfall eine Chance, um die eigenen Reihen im Krieg gegen die Ukraine zu schließen. Die Botschaft: Wir werden angegriffen und müssen uns geschlossen hinter Putin und das Militär stellen.

Wie oft seit Kriegsbeginn gehen die einflussreichen russischen Militärblogger für Putins Propaganda voran. "Wir brauchen operative Gruppen, die sich mit der gezielten Liquidierung des Kommandos der Streitkräfte der Ukraine, des Sicherheitsdienstes der Ukraine und der politischen Führer des Kiewer Regimes befassen", wütet der bekannte Reporter Jewgeni Poddubnyy auf Telegram. "Damit auch in den rückwärtigen Gebieten, selbst in Osteuropa, niemand in den Reihen des Feindes ruhig schlafen kann. Die Ukraine ist jetzt für uns wie Al-Qaida."

Hilft der mutmaßliche Angriff der Ukraine militärisch?

Nicht wirklich. Die Ukraine muss zwar momentan zahlreiche russische Offensiven vor allem im Osten des Landes abwehren, und bis sie ihrerseits in die Offensive gehen kann, dürfte es April werden. Ein Vorfall auf russischem Territorium, das für Unruhe sorgt und womöglich russische Truppen bindet, ist daher für Kiew nicht unbedingt schlecht.

Auch sehen die russischen Sicherheitsbehörden, die in der Grenzregion zur Ukraine ihre Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen seit Kriegsbeginn stets verschärft haben, nicht besonders gut aus. Es ist Russland offenbar nicht gelungen, die Gruppe festzusetzen, obwohl Putin anwies, die russischen Grenzen zu sichern. Daher ist der Vorfall auch für den Kremlchef unangenehm.

Doch diese minimalen Vorzüge einer solchen Aktion wären mit großen Nachteilen verbunden. Warum sollte die ukrainische Führung einen international bekannten Neonazi nach Russland marschieren lassen, um dort Unruhe zu stiften? Der politische und propagandistische Schaden, wie jetzt zu beobachten ist, wäre immens. Denn das russische Kriegsnarrativ baut auf dem Mythos auf, dass in Kiew angeblich Nazis regieren. Kiew würde also unnötigerweise die russische Propagandamaschine mit Material füttern, was vor allem Putin helfen würde.

Eine etwaige Beteiligung der ukrainischen Regierung ist also mit großer Skepsis zu betrachten.

Verwendete Quellen
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