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Anschlag von 9/11: Der Tag, als die USA zum zornigen Riesen wurden


Angriffe auf Amerika 2001
Seitdem kannten die USA nur noch Freund oder Feind

  • Gerhad Spörl
MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 11.09.2021Lesedauer: 3 Min.
Meinung
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Terroranschläge vor 20 Jahren: Was genau am 11. September 2001 in den USA geschah und welche Bilder an diesem Tag um die Welt gingen. (Quelle: t-online)

Die USA wähnten sich unverwundbar, doch dann kamen die Terroranschläge vom 11. September 2001. Sie verwandelten die Supermacht in einen verwundeten Egomanen. Mit Auswirkungen bis heute.

Auf den 11. September 2001 freute ich mich massiv. Um 10 Uhr würde eine Pressekonferenz stattfinden, auf der Michael Jordan sein Comeback für die Washington Wizards verkünden wollte. Michael Jordan! Größter Basketballspieler aller Zeiten! Und ich würde ihn spielen sehen!

Wir waren seit Mitte Juli in der Stadt, hatten ein Haus bezogen, den Führerschein gemacht, Autos zugelassen, Bilder aufgehängt, alles gut, nur der Fernseher lief noch nicht, Comcast war unfähig, was sich bald als Problem erweisen sollte. Meine Frau war ARD-Korrespondentin, ich arbeitete als "Spiegel"-Korrespondent. Mein erster Artikel handelte vom faulen Präsidenten George W. Bush, der einen ganzen Monat Urlaub daheim in Texas gemacht hatte und gerade ins Weiße Haus zurückgekehrt war.

Als Amerika Rache schwor

Amerika war selbstzufrieden. Die einzig verbliebene Supermacht auf Erden. Keine großen Probleme, alles im Griff, sogar dieser seltsame Präsident störte das biedermeierliche Gemälde nicht. Washington war überschaubar und ein netter Lebensort. Hinreißend schöne Spätsommertage verschönten unseren Anfang.

Um 8.46 Uhr schlug dann die erste Maschine im Nordturm des World Trade Centers ein, um 9.03 Uhr die zweite Maschine im Südturm. Ich las, was in New York passierte, sah es aber nicht, weil ja der Fernseher nicht angeschlossen war. Das Telefon: tot. Handys: tot. Meine Frau war auf dem Weg zu einem Dreh in Baltimore, die Straßen in die Innenstadt gesperrt. Also fuhr ich in ihr nahegelegenes Büro und konnte endlich das Ungeheuerliche mit eigenen Augen sehen. Wenige Augenblicke später explodierte eine Maschine im Pentagon. War das zu glauben? Was ging hier vor?

Amerika war blind gewesen. Amerika schäumte. Amerika verglich 9/11 mit Pearl Harbour und schwor Rache. Die Bilder von den Menschen, die von hoch oben in den Zwillingstürmen in die Tiefe sprangen, um nicht im Feuer zu verglühen – wer konnte sie vergessen? Die letzten Telefonate aus den vier Flugzeugen, im Wissen um den Tod – wem brach da nicht das Herz?

22 Jahre Frieden perdu. 9/11 war das Gegenereignis zum 9. November 1989. Amerika, das Deutschland die Wiedervereinigung möglich gemacht hatte und umsichtig mit der moribunden Sowjetunion umgegangen war, wurde zum Egomanen der Weltpolitik. Entweder ihr seid für uns oder gegen uns, das war der neue Bush-Ton. Afghanistan wegen al-Qaida sowieso, aber wichtiger noch ist Saddam Hussein und egal was ihr denkt, wir handeln und zwar kompromisslos, das war der Rumsfeld/Cheney-Ton.

Selbst Pommes frites waren betroffen

Die amerikanische Demokratie bekam totalitäre Inseln. Guantanamo. Abhören querbeet. Freiheiten für die vielen Geheimdienste. Black Sites zum Foltern im Maghreb und Europa.

Wer wie ein Araber aussah oder einer war, wurde gefilzt, ausgesondert, ausgegrenzt. Im Flughafen, beim Autofahren, auf der Straße. Als Frankreich beim Irakkrieg nicht mitmachte, strichen Restaurants im ganzen Land die French Fries, also Pommes frites, von der Karte. Große Länder können sehr kleingeistig sein, wenn sie vor Rachsucht rasen.

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Die Invasion im Irak war ein Fehler, das wusste man schnell. Ohne die Obsession mit Saddam Hussein kein Vakuum in Bagdad. Ohne Irak kein Syrien. Wo ein Vakuum ist, strömen andere ein: Russland, Iran, die Türkei, der IS, die Hisbollah. Der Nahe Osten ist gezeichnet von 9/11, aus dem sich die Supermacht trollte und parasitären Milizen und Scheinriesen das Trümmerfeld überließ. Denen ist Krieg lieber als Frieden, weil Frieden zu Kompromissen zwingt.

Die Welt von heute ist ein Produkt der Entscheidungen nach 9/11. Jedem amerikanischen Präsidenten fiel das Erbe zu. Der Rückzug aus Afghanistan war längst beschlossene Sache, Joe Biden vollendete nur, was ihm aufgegeben wurde und trägt nun dafür die Verantwortung.

9/11 hat Amerika im Schmerz vereint und in den Niederlagen in einem Maße polarisiert, wie niemand es für möglich gehalten hätte. Ohne 9/11 kein Trump.

Ja, 9/11 war ein Tag der Infamie. Ein neuer Feind hatte zugeschlagen und schlug bald anderswo zu, in Madrid, Paris, London. Die Welt veränderte sich zu einer anderen Kenntlichkeit, nicht zu ihren Gunsten, geschweige denn zu unserer Beruhigung. Amerika hat an Glaubwürdigkeit verloren und so fehlt uns eine Ordnungsmacht, die Amerika einst war und nur Amerika sein kann. Darin liegt vermutlich der größte Verlust, den die Welt erlitten hat.

Michael Jordan sagte natürlich seine Pressekonferenz ab. Ich habe ihn dann oft spielen sehen. Es waren schöne Momente in dieser Zeit voller Tragik und Dramen, voller Kriege und verlorener Illusionen.

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