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Hirnforscher erklärt: Darum fahren wir auf Schnäppchen ab


Hirnforscher über Schnäppchen
"Durch die scheinbaren Rabatte wird man irrational"

  • Claudia Zehrfeld
InterviewEin Interview von Claudia Hamburger

Aktualisiert am 22.11.2019Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Ein Pulk von Menschen greift nach TV-Geräten im Sonderangebot: So sieht es beim Black Friday in einem Laden in Sao Paulo, Brasilien aus.Vergrößern des Bildes
Ein Pulk von Menschen greift nach TV-Geräten im Sonderangebot: So sieht es beim Black Friday in einem Laden in Sao Paulo, Brasilien aus. (Quelle: Paulo Whitaker/Reuters-bilder)

Rabatte hier, Schnäppchen dort – und immer wieder landen Produkte in unserem Einkaufswagen, die wir eigentlich gar nicht brauchen. Warum vermeintliche Schnäppchen so auf uns wirken, erklärt ein Hirnforscher im Interview.

Viele können einfach nicht widerstehen, wenn sie rote Prozentzeichen im Geschäft oder online sehen. Sie müssen sich kaufen, was ihnen das vermeintliche Angebot so schmackhaft macht. Prof. Dr. Christian Elger, Hirnforscher und Epileptologe in Bonn, befasst sich unter anderem mit Neuromarketing. Er erklärt im Interview mit t-online.de, welche Mechanismen bei Schnäppchenaktionen im Gehirn ablaufen.

t-online.de: Ganz plakativ gefragt: Wieso kaufe ich mir bei Aktion wie dem Black Friday Dinge, die ich gar nicht brauche?

Christian Elger: Weil wir ein aus meiner Sicht hierarchisch gestaffeltes Entscheidungssystem des Gehirnes haben, wenn man unsere Reaktionen mit der Umwelt betrachtet. Es gibt eine Reihe von Entscheidungen, die wir fällen und die trotzdem nicht gefällt werden sollten – weil sie sehr gefährlich sind oder ähnliches. Die Natur hat im Laufe der Evolution Belohnungssysteme aufgebaut. Die gibt es bei allen Säugetieren. Wenn diese aktiviert werden, dann riskiere ich viel und vergesse die Gefahren.

Was heißt das konkret auf Einkaufsrabatte bezogen?

Untersuchungen haben gezeigt: In dem Augenblick, in dem das Rabattzeichen da ist, wird bei uns eine Aktivierung im Belohnungssystem ausgelöst. Und diese drängt gleichzeitig eine klassische Auslösung im mittleren Frontalhirn zurück, die normalerweise abläuft, wenn wir Entscheidungen treffen wie: Brauche ich das? Ist der Preis angemessen? Ist es mir diesen Preis wert? Dadurch, dass diese Aktivität zurückgedrängt wird und gleichzeitig das Belohnungssystem hochaktiviert wird, habe ich quasi eine Kritiklosigkeit in meiner Entscheidungsebene. Und das bedeutet, dass mit Rabatt anders gekauft wird.

Der Kaufprozess an sich ist also ein emotionaler Vorgang?

Ich denke ja. Vor allem, wenn Bargeld fließt oder wenn man den Wert realisiert. Nur weil es einen Cent günstiger ist, fahren die Leute zum Beispiel fünf Kilometer weiter zu einer anderen Tankstelle und tanken da. Da sparen sie im Endeffekt vielleicht 50 Cent oder so. Gleichzeitig aber haben sie mehr Benzin verfahren – von der Zeit, die sie dadurch verlieren, mal ganz abgesehen. Und das erklärt sich eben über solche Mechanismen. Durch die scheinbaren Rabatte, die man bekommt, wird man irrational.

Prof. Dr. Christian Elger, Jahrgang 1949, ist Neurologe und Epileptologe. Er forscht unter anderem in den Bereichen Neuroökonomie und Neuromarketing.

Das bedeutet, dass das vernünftige Denken im Gehirn ausgeschaltet wird?

Ja, beziehungsweise wird es zumindest reduziert oder hat keine größere Bedeutung mehr. Das kann man auch an diesem Beispiel sehen: Wenn ich Ihnen jetzt 100 Euro biete oder alternativ 150 Euro, die sie aber erst in einer Woche bekommen. Dann ist es so, dass Sie in 80 Prozent der Fälle die 100 Euro jetzt wollen. Obwohl das ein Zinssatz wäre, den Sie nie wieder im Leben bekommen werden.

Welche Areale im Gehirn werden durch Rabattaktionen angesprochen?

Wir haben eine zentrale Struktur, den Nucleus accumbens, er gilt als Zentrum des Belohnungssystems. Wenn man dort ein Tier experimentell stimuliert, macht das Tier nichts anderes mehr als sich zu stimulieren – es verweigert Nahrung, Getränke, sexualbereite Partner usw. Dadurch entsteht ein Glücksgefühl ohne Ende. Man weiß, dass das ähnlich auch beim Menschen funktioniert. Auch Sympathie, schöne Menschen oder schöne Dinge können diesen Bereich im Gehirn aktivieren.

Was sorgt noch für eine Aktivierung?

In der modernen Zeit wird das auch missbraucht. Wir wissen heute, dass das Belohnungssystem durch eine Vielzahl von Rauschmitteln aktiviert wird oder zum Beispiel auch durch Schokolade. Die essen viele Menschen ja auch zu Ende, obwohl sie genau wissen, dass das einfach sehr viele Kalorien sind.

Oft regen auch Schilder mit "Nur für kurze Zeit" die Menschen zum Kauf an. Haben diese ebenfalls eine bestimmte Wirkung aufs Gehirn?

Wir haben Regionen im Gehirn, die aktiviert werden, wenn Schmerz unangenehm wird. Und genau diese Regionen werden auch aktiviert, wenn solch ein Verlust durch die Verknappung der Produkte signalisiert wird. Mit der spielen auch einige Verkaufssender, die Angaben einblenden wie "Jetzt sind nur noch 22 da, jetzt nur noch 16." Da denkt man: Jetzt geht mir etwas ganz Wichtiges durch die Lappen. Diese Verlustangst führt zur Entscheidung, es zu kaufen.

Wenn man sich diese Abläufe im Gehirn verinnerlicht – kann man sich dann davon befreien, die neuesten Schnäppchen kaufen zu müssen?

Ich beschäftige mich schon seit zehn Jahren mit diesen Dingen und selbst mir geht es so: Ich komme mit einer Lederjacke nach Hause und sage voller Stolz: "Die hat nur die Hälfte gekostet." Und meine Frau führt mich zum Schrank – und da sind schon drei Lederjacken…

Gibt es denn irgendeine Möglichkeit, sich vor dem Schnäppchenwahn zu schützen?

Man kann das überwinden. Aber da hilft nur Zeit. Man muss sich das sehr bewusst machen, am besten einmal um den Block gehen und einen zeitlichen Abstand dazwischen bringen. Es reicht eine Distanz von etwa einer Stunde – und plötzlich ist das nicht mehr interessant. Denn unser Belohnungssystem verlangt eine unmittelbare Belohnung. Das gilt übrigens auch bei Internetwerbung: Auf die sollte man nie eingehen, sondern immer die Dinge aktiv machen. Und vorher die Fragen beantworten: Brauche ich das? Will ich das?

Welches Marketing würden Sie als Hirnforscher empfehlen?

Es gibt verschiedene Aspekte, die für das Marketing eine Rolle spielen. Man kann zum Beispiel die Emotionalität betonen. Wir haben Untersuchungen mit emotionalen Key Visuals – also visuellen Reizen – im Vergleich zu nüchternen gemacht. Sie können eine Aspirintablette verkaufen, indem Sie sagen, dass sie ein fantastisches Heilmittel ist und all ihre Wirkungsweisen aufzählen. Aber diese nüchternen Dinge, die uns intellektuellen Menschen eigentlich besser passen, die Informationen über das Produkt, die kommen im Marketing nicht so an. Was besser wirkt, ist, emotional zu werben – und zum Beispiel das Beck's Bier mit einem Segelschiff zu verbinden. Was haben die beiden Dinge miteinander zu tun? Erst einmal nicht viel, aber wenn Sie das im Gehirn untersuchen, sehen Sie bei diesen emotionalen Key Visuals massive Aktivierungen im Belohnungssystem. Zum einen wird die Gedächtnisaktivierung verbessert, indem sie die Emotionsregion aktivieren. Zum anderen hat man gleichzeitig eine Belohnung, wenn man dann ein Beck's Bier nimmt.

Dieses Interview wurde das erste Mal im November 2017 veröffentlicht.

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