Wegovy soll beim Abnehmen helfen: Vorsicht – "Kein Lifestyle-Medikament"

Die Abnehmspritze Wegovy hilft übergewichtigen Menschen, ihr Gewicht deutlich zu reduzieren. Doch das Medikament ist kein Diät-Präparat für jedermann.

Über die Abnehmspritze Wegovy wird viel diskutiert. Das Medikament, das in den USA schon seit längerem als Abnehm-Wundermittel gehypt wird, ist seit Kurzem auch in deutschen Apotheken erhältlich. Allerdings gibt es immer noch Lieferschwierigkeiten.

Im Gespräch mit t-online erklärt der Ernährungsmediziner Professor Thomas Kurscheid aus Köln, wie die Spritze wirkt, für wen sie geeignet ist und welche Nebenwirkungen auftreten können.

t-online: Mit Wegovy wird der Traum vom schnellen Abnehmen wahr. Wie funktioniert das Prinzip?

Professor Thomas Kurscheid: Der Abnehmeffekt ist auf den Wirkstoff Semaglutid zurückzuführen. Es ahmt einen körpereigenen Stoff, das sogenannte GLP1 (Glucagon-like Peptide 1) nach. Das bewirkt, dass der Hunger weniger wird und das Sättigungsgefühl stärker wird. Semaglutid senkt außerdem den Blutzucker und verbessert die Aufnahmewirkung des Insulins im Körper und senkt damit den Blutzuckerspiegel.

Stimmt es, dass die Spritze auch die Lust auf fett- und zuckerhaltige Lebensmittel vertreibt?

Ja. Viele Patienten berichten, dass ihnen bestimmte ungesunde Lebensmittel wie zum Beispiel Fritten oder Süßigkeiten plötzlich nicht mehr schmecken. Allerdings muss man auch klar sagen, dass eine Behandlung mit Wegovy immer mit einer Verhaltenstherapie und Ernährungsberatung verbunden sein muss. Das bewirkt natürlich auch gleichzeitig, dass die Betroffenen eine andere Einstellung zu gesunder Ernährung und gesunden Essgewohnheiten bekommen.

Wer bekommt die Abnehmspritze verschrieben?

Adipöse Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) von über 27, mit einer Begleiterkrankung, die auf ihr starkes Übergewicht zurückzuführen ist, wie zum Beispiel Bluthochdruck. Wenn keine Begleiterkrankung vorliegt, ist eine Verschreibung erst ab einem BMI von 30 möglich.

Wie wird Wegovy verabreicht?

Das Medikament muss einmal die Woche gespritzt werden. In der Regel beginnt man am Anfang mit einer geringeren Dosis und steigert diese monatlich bis zum dritten Monat. Viele Patienten benötigen die Maximaldosis gar nicht, sondern kommen auch dauerhaft mit weniger aus. Wie hoch dosiert wird, ist immer unterschiedlich und wird individuell mit dem Arzt abgesprochen.

Wie lange dauert es, bis sich der Abnehmerfolg zeigt?

Eine große Studie hat gezeigt, dass eine Gewichtsreduktion von durchschnittlich 15 Prozent in 68 Wochen möglich ist. 38 Prozent der Studienteilnehmer nahmen in dem Zeitraum sogar mehr als 20 Prozent ab. Das Medikament ist also ähnlich effektiv wie eine Magenverkleinerung.

Also könnte die Spritze stark übergewichtigen Menschen eine Magen-OP ersparen?

Das ist richtig. Wegovy kann bei der Behandlung von Adipositas daher als echter Gamechanger bezeichnet werden, da mit dem Medikament erstmalig ein anhaltender Abnehmerfolg möglich ist, der vergleichbar ist mit einer Magen-OP. Allerdings kann es sein, dass Betroffene die Spritze ein Leben lang nehmen müssen. Dieser Gedanke mag sicherlich viele abschrecken, sodass sie sich deswegen doch eher einer Magen-OP unterziehen oder andere Methoden des Abnehmens bevorzugen.

Man kann also Wegovy nicht einfach absetzen, ohne dass sich ein Jo-Jo-Effekt einstellt und das Gewicht wieder in die Höhe schießt?

Wenn man Wegovy absetzt, besteht immer das Risiko, dass man danach wieder zunimmt. Dennoch kann man nach einiger Zeit ja auch mal ausprobieren, was passiert, wenn man die Spritze weglässt. Manche Patienten haben während der Behandlungszeit viel über gesunde Lebensweise gelernt und neue Ernährungsgewohnheiten haben sich verfestigt. Wenn man das verinnerlicht und beherzigt, braucht man das Medikament eventuell nicht mehr.

Eine Änderung des Lebensstils parallel zur Therapie zahlt sich also aus.

Richtig. Was aber auch wichtig ist und häufig vernachlässigt wird, ist die psychotherapeutische Begleitung. Denn für viele Menschen mit Adipositas ist das emotionale Essen typisch. Gegessen wird häufig aus Lust, aus Frust, aus Stress und Langeweile. Wenn diese Auslöser nicht erkannt und behandelt werden, wird es schwierig. Die Behandlungsleitlinien empfehlen daher, dass die medikamentöse Therapie von einer Ernährungsberatung und Verhaltenstherapie begleitet werden sollen.

Wegovy wird in den Medien als Wundermittel gehypt. Eignet es sich für Normal- oder leicht Übergewichtige, um schnell ein paar Pfunde abzunehmen?

Das Mittel ist kein Lifestyle-Medikament. Deshalb wird es in Deutschland auch nur bei Adipositas verschrieben. Wer leicht übergewichtig ist und innerhalb weniger Wochen ein paar Kilos für die Bikinifigur abnehmen will, ist mit der Abnehmspritze schlecht beraten. Denn sobald das Medikament abgesetzt wird, nimmt man schnell wieder zu. Das Geld ist dann zum Fenster herausgeworfen. Außerdem sind solche "Schaukeleien" des Gewichts aufgrund fehlgeschlagener Diätmaßnahmen nicht gut für den Körper.

Bei einer Dauerbehandlung mit Wegovy können auch Nebenwirkungen auftreten. Welche sind das?

Übelkeit, Erbrechen und Blähungen, besonders am Anfang. Ungeklärt sind noch die Auswirkungen auf die Schilddrüse. Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA rät daher Personen, bei denen in der Familie Schilddrüsenkrebs aufgetreten ist, von dem Medikament ab. Außerdem könnten Entzündungen der Bauchspeicheldrüse ausgelöst werden.

Wie teuer ist eine Behandlung mit Wegovy?

Wegovy wird nicht von den Krankenkassen erstattet. Im Gegensatz zur Abnehmspritze Ozempic, die ebenfalls den Wirkstoff Semaglutid enthält und für übergewichtige Diabetespatienten verordnet werden kann. Für eine Behandlung mit Wegovy müssen Patienten mit etwa 300 Euro Eigenkosten pro Monat rechnen. Oft kommen die Patienten aber mit weniger als der Maximaldosis aus, sodass dann der Preis entsprechend niedriger ist.

Das ist ein stolzer Preis. Sind die günstigeren Abnehm- und Diätpillen eine Alternative?

Solange solche Pillen Ballaststoffe enthalten oder man unterstützend ein Eiweißpulver nimmt, kann das durchaus sinnvoll sein. Aber alles andere wie zum Beispiel hoch dosiertes Koffein oder Grüner Tee kann man vergessen. An Koffein gewöhnt sich der Körper recht schnell, sodass man nach 14 Tagen weder einen Wachmach-Effekt noch einen Abnehmeffekt mehr hat. Und Grüner Tee ist zwar gesund, doch "schlank trinken" kann man sich nicht damit.

Was empfehlen Sie, um auf gesunde Weise ein paar Kilo abzunehmen?

Der wichtigste Tipp lautet: Wenn Sie essen, dann essen Sie. Dann ist nicht der Fernseher an, dann liegt nicht das Smartphone daneben. Und Sie lesen nebenher nicht die Tageszeitung. Denn sonst essen wir zu schnell, merken nicht, wann wir satt sind und kauen nicht mehr richtig.

Und vor allem: Wir genießen nicht richtig. Das will das Gehirn dann nachholen, und sucht weiter danach, bis es was findet. Wir kennen das alle, wenn wir doch mal bei laufendem TV gegessen haben. Dann heißt es oft: "Ach, irgendwas könnte ich noch essen". Man steht auf, geht zum Kühlschrank, isst das wieder vor dem TV, und ist immer noch nicht zufrieden, weil der Genuss nicht im Gehirn ankam. Denn das war gerade mit dem spannenden Spielfilm beschäftigt.

Und Ihre Tipps für die Ernährung?

Hier lautet die goldene Regel: Fünf Portionen Obst, und Gemüse und Salat am Tag. Dabei ist eine Portion eine Handvoll. Wenn man das beherzt, ist gar nicht mehr viel Platz für Junkfood. Wichtig sind auch Ballaststoffe, da sie einen hohen Sättigungsgrad haben. Sie sind reichlich in Vollkornprodukten und Gemüse enthalten.

Zum gesunden Abnehmen gehört immer auch Bewegung. Wie hoch sollte das tägliche Pensum sein?

Die allgemeine Empfehlung lautet 10.000 Schritte pro Tag. Aber das ist für Untrainierte schon ganz schön viel, denn man muss dafür schon eine Stunde richtig flott gehen. Es ist daher auch in Ordnung, mit 3.000 Schritten anzufangen und das Pensum dann kontinuierlich zu steigern, bis man dann irgendwann auf die 10.000 kommt.

Welche Sportarten empfehlen Sie?

Eine Sportart, die für alle geeignet ist, gibt es nicht. Jeder sollte den Sport praktizieren, der ihm Spaß macht und möglichst den ganzen Körper beansprucht. Zum Beispiel Walken, Joggen, Radfahren, Rudern oder Schwimmen. Aber auch Cardiotraining und Krafttraining im Fitnessstudio sind effektiv.

Krafttraining unterstützt vor allem den Muskelaufbau. Wieso ist der so wichtig?

Mit Krafttraining kann man die Zahl der Mitochondrien in den Muskeln vergrößern. Das sind kleine "Verbrennöfen", die Kohlenhydrate und Fette aus der Nahrung in Energie umsetzen. Wenn es gelingt, vier Kilo Muskelmasse aufzubauen, verbrennt man jeden Tag so viele Kalorien, wie in einer Portion Spaghetti enthalten sind. Ohne an diesem Tag Sport zu machen und nur, weil dann der Ruheumsatz des Körpers dauerhaft erhöht ist.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Kurscheid