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Türkei | Erdoğan gewinnt Präsidentschaftswahl: Es herrscht große Wut


Erdoğan gewinnt Präsidentschaftswahl
Es herrscht große Wut

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 29.05.2023Lesedauer: 6 Min.
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Ankara: Recep Tayyip Erdoğan spricht vor dem Präsidentenpalast nach seinem Wahlsieg bei der Präsidentschaftswahl.Vergrößern des Bildes
Ankara: Recep Tayyip Erdoğan spricht vor dem Präsidentenpalast nach seinem Wahlsieg bei der Präsidentschaftswahl. (Quelle: UMIT BEKTAS/rtr)

Trotz anhaltender Wirtschaftskrise in der Türkei hat Recep Tayyip Erdoğan erneut die Präsidentschaftswahl gewonnen. Wie konnte die Opposition verlieren? Für Deutschland und die EU droht nun neuer Streit mit dem Langzeitpräsidenten.

Er hat es wieder geschafft, auch wenn es am Ende deutlich knapper wurde, als erwartet. Recep Tayyip Erdoğan ist in der Stichwahl erneut zum türkischen Präsidenten gewählt worden. Seine Anhänger feierten am Abend in vielen türkischen Städten auf den Straßen, schwenkten türkische Fahnen. Aber es ist nur die Hälfte der türkischen Bevölkerung, die an diesem Abend jubelt. Diese Präsidentschaftswahl hat vor allem eines gezeigt: die Türkei ist gespaltener denn je.

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Erdoğan musste sich bei dieser Wahl nicht nur gegen den CHP-Kandidaten Kemal Kılıçdaroğlu durchsetzen. Für den türkischen Langzeitpräsidenten war es auch ein Kampf gegen die Versäumnisse seiner Regierung, gegen die fatale Wirtschafts- und Finanzkrise. Sein Erfolg wiederum ist nun auch ein Sieg der Angst vieler Türkinnen und Türken vor einer Zukunft ohne Erdoğan und vor einem möglichen Chaos im Land, sollte die Opposition an die Macht kommen.

Das ist auch ein fatales Signal für die Türkei. Der Präsident hat bei dieser Wahl die Früchte der Spaltung und des gegenseitigen Misstrauens geerntet, die er zur Festigung seiner Macht im vergangenen Jahrzehnt genährt hatte. Nach seinem letzten Wahlsieg wird Erdoğan versuchen müssen, sein Land zu einen. Das wird schwierig, denn in der Türkei herrscht vor allem eines: große Wut.

AKP konnte mit Angst mobilisieren

Viele Anhänger der Opposition können nicht nachvollziehen, wie die andere Hälfte der Bevölkerung in dieser Krise noch Erdoğan wählen können. Sie möchten mehr Meinungsfreiheit, das Ende der staatlichen Repressionen und einen wirtschaftlichen Kurswechsel. Erdoğan und seine AKP dagegen werden von nationalistischen Gruppen weiter nach rechts getrieben. Die Türkei-Wahl war auch ein ideologischer Kampf – und Erdoğans Seite hat gewonnen.

"Wir werden das Land in den kommenden fünf Jahren regieren", rief der Wahlsieger in Istanbul vom Dach eines Busses aus seinen versammelten Anhängern zu. Die Menschen vor dem Bus jubeln, auch in Ankara hatten sich Menschenmassen vor dem Präsidentenpalast versammelt. Der Palast ist in rot und orange erleuchtet – rot für die Türkei, orange für die AKP. Dort hielt Erdoğan nach Mitternacht (Ortszeit) seines Siegesrede.

Seine Botschaft in Ankara war versöhnend. "Ich möchte jedem Bürger meines Landes danken, egal für welchen Kandidaten, für welche Partei er sich entschieden hat", sagte Erdogan. "Heute hat keiner verloren, 85 Millionen haben gesiegt."

Schon nach dem ersten Wahlgang am 14. Mai machte Erdoğan klar, dass er der Präsident aller Türkinnen und Türken seien wolle. Für ihn war das Ergebnis am 14. Mai durchaus eine Ohrfeige. In der Vergangenheit machte Erdoğan auch vor parteiinternen Rivalen immer wieder klar, dass er persönlich Wahlen gewinnen würde, während seine Partei in den vergangenen zehn Jahren an Rückhalt verlor. Nun musste aber auch der 69-Jährige erstmals in eine Stichwahl.

Und die zweite Runde der türkischen Präsidentschaftswahl fiel knapper aus als gedacht. Vieles sprach am 28. Mai für den Amtsinhaber: Im ersten Wahlgang hatte Erdoğan fast fünf Prozent Vorsprung und der Nationalist Sinan Oğan, der am 14. Mai noch fünf Prozent der Stimmen holte, forderte seine Anhänger dazu auf, Erdoğan zu wählen. Die AKP machte außerdem damit Wahlkampf, dass nach ihrem Sieg bei der Parlamentswahl nun auch Erdoğan gewählt werden müsse. Ihr Narrativ: Sonst wäre die Türkei unregierbar.

Dementsprechend ist es durchaus eine Überraschung, dass Kılıçdaroğlu seinen Rückstand noch auf vier Prozent verkürzte. Schließlich war der Wahlkampf nicht fair, die AKP und Erdoğan sind in den Medien viel präsenter als die Konkurrenz. Doch am Ende wird es dem Präsidenten wahrscheinlich gleichgültig sein, mit welchem Vorsprung er gewann. Gewonnen ist gewonnen. Er hat noch einmal fünf Jahre Regentschaft bekommen und versprach im Wahlkampf, dass es seine letzten Jahre werden sollen.

Erdoğan: Landesvater oder das bekannte "Übel"?

Aus westlicher Perspektive ist Erdoğans Wahlsieg bemerkenswert. Immerhin leidet die Türkei unter einer extrem hohen Inflation, zwischenzeitlich lag sie im vergangenen Herbst offiziell bei 85 Prozent, in Wahrheit vermutlich noch deutlich höher. Zwar ist sie seitdem gesunken, doch noch immer liegt die Teuerungsrate bei rund 50 Prozent – und lässt die Kaufkraft der Türken weiter schwinden. Seit Jahren läuft dieser wirtschaftliche Niedergang und Erdoğan wirkt hilflos.

Doch selbst das hat nicht gereicht, um eine ausreichend große Wechselstimmung im Land zu erzeugen. Das liegt einerseits am Präsidenten selbst, denn er weiß, welche Themen er bedienen muss, um seine Anhänger zu mobilisieren. Die AKP machte Angst vor religiöser Verfolgung durch die Opposition. Das verfängt bei vielen gläubigen Muslimen. Und die Partei Erdoğans warnte vor einem Chaos im Land, wenn sich plötzlich sechs unterschiedliche Oppositionsparteien auf eine gemeinsame Politik einigen müssen.

An diesem Punkt ist durchaus etwas dran. Kılıçdaroğlus Oppositionsbündnis wird vor allem davon zusammengehalten, dass alle Parteien Erdoğan absetzen wollen. Darüber hinaus gab es wenig politische Schnittmengen. In den vergangenen zwei Wochen fiel Kılıçdaroğlu vor allem auch durch Hetze gegenüber Geflüchteten aus Syrien auf. Beide Seiten versuchten im Endspurt, die Nationalisten in der Türkei zu umgarnen – der Wahlkampf wurde schmutzig.

Erdoğan dagegen stellte sich bei seiner Stimmabgabe am Sonntag vor das Wahllokal in Istanbul und verteilte Geldscheine an seine Anhänger. Das Symbol ist klar: Ich kümmere mich um euch. Diese Strategie, sich als Landesvater zu inszenieren, verfängt, trotz der großen Probleme im Land. Doch das knappe Ergebnis spricht eher dafür, dass die Türken am Sonntag keinen Landesvater wählten, sondern sie wählten das "Übel", das sie kannten.

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Türkei steht vor weiterem Rechtsruck

Für die Opposition sind die Rückschlüsse dieser Wahl klar: Sie braucht bei der Wahl in fünf Jahren mehr gemeinsame Inhalte. Die Chancen werden wahrscheinlich besser sein, weil der Erdoğan-Nachfolger der AKP keinen Amtsbonus besitzen wird – zumindest wenn Erdoğan gesundheitlich die gesamte Legislatur regieren kann.

Für den türkischen Langzeitpräsidenten dagegen war diese Wahl ein Warnschuss. Noch nie war er so kurz davor, seine Macht zu verlieren und das hätte für ihn persönlich Folgen gehabt. Denn an Erdoğans Macht hängt auch das Geld und die Sicherheit seiner Familie und seiner Günstlinge. Er hat in 20 Jahren an der Macht nicht nur Gericht, Polizei und Medien unter seine Kontrolle gebracht, sondern auch lukrative Wirtschaftsposten sind von Menschen besetzt, die ihm nahestehen. Sein Traum, den Einfluss seiner Familie auch in Zukunft zu festigen, wäre nun fast zerplatzt.

Durch diesen knappen Wahlsieg wird sich für die Türkei nun folgendes ändern:

  • Erdoğan wird die Wirtschaftskrise in den Griff bekommen müssen. Der wirtschaftliche Aufschwung war immer ein Pfeiler seiner Macht in der Türkei. Sollte die Krise weitergehen, würde das die AKP weiter schwächen.
  • Die Türkei wird noch nationalistischer werden. Egal welche Seite am Ende gewonnen hätte, der Sieger wäre immer der Nationalismus gewesen. Erdoğan hat sich seine Macht auch durch Bündnisse mit rechtsradikalen Gruppen und Parteien wie der MHP gesichert. Von diesen ist er nun teilweise abhängig.
  • Die Geflüchteten aus Syrien sind einem immer größeren Teil der türkischen Bevölkerung ein Dorn im Auge, weil sie in dieser Krisenzeit als Konkurrenten um Arbeitsplätze und Wohnraum wahrgenommen werden. Auch die neue türkische Regierung wird wahrscheinlich mit dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad über die Rückführung der Geflüchteten verhandeln.
  • Erdoğan kann nicht gegen die Hälfte der Bevölkerung regieren, die ihn nicht gewählt hat. Die Türkei leidet schon jetzt unter der Abwanderung von vielen jungen Fachkräften. Deshalb wird der Präsident wahrscheinlich etwas gemäßigter auftreten, um die zerrissene Türkei zumindest etwas zu einen.
  • Letztlich muss Erdoğan nun einen Nachfolger installieren. Als Favorit für den inoffiziellen Posten gilt derzeit sein Schwiegersohn, der ehemalige Finanzminister und Geschäftsmann Berat Albayrak.

Deutsche Perspektive: Putin behält einen Verbündeten

Und was bedeutet dieses Wahlergebnis am Ende für Deutschland, die Nato und die Europäische Union? Letztlich wird sich in der türkischen Außenpolitik nicht viel ändern und die alten Streitpunkte bestehen weiterhin.

Erdoğan wird im Angesicht des russischen Angriffskrieges in der Ukraine weiterhin so wenig tun, wie möglich, ohne zu viel Ärger von seinen Nato-Partnern zu riskieren. Wladimir Putin dürfte nach diesem Wahlergebnis aufatmen, denn er hat seinen Freund und Partner in Ankara nicht verloren. Auch die neue türkische Regierung wird sich als Regionalmacht positionieren, die vor allem türkische Interessen vertritt – eventuell wird die türkische Außenpolitik noch protektionistischer, weil der Präsident von den rechtsradikalen Kräften im Land getrieben wird.

Das birgt in jedem Fall erhebliches Konfliktpotential. Der Flüchtlingsdeal zwischen der Türkei und der EU könnte auf der Kippe stehen, wenn Erdoğan das Problem nicht mit Assad lösen kann. Hinzu kommen die Uneinigkeit über den Nato-Beitritt von Schweden und die Gebietsstreitigkeiten mit Griechenland im Mittelmeer. Die alten Probleme werden daher bleiben, so wie Erdoğan in seinem Palast bleibt. Die gute Nachricht für den Westen ist lediglich, dass der türkische Präsident sich nun in keinem Wahlkampf mehr befindet und sich weniger Streit suchen könnte. Das könnte die Beziehungen entspannen, zumindest etwas.

Verwendete Quellen
  • tagesschau.de: "Wahlgewinner ist der Nationalismus"
  • fr.de: Erdogans schmutzige Tricks in letzter Stunde
  • faz.net: "Die Wahl in der Türkei ist weder fair noch frei"
  • Eigene Recherche
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