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Frankreichs Regierung tritt zurück: Macron will den großen Knall


Frankreichs Regierung am Ende
Macron will den großen Knall

Von Patrick Diekmann

03.07.2020Lesedauer: 6 Min.
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Emmanuel Macron und der ehemalige Premierminister Eduard Philippe: Beide Politiker waren zuletzt in der Corona-Krise oft unterschiedlicher Meinung.Vergrößern des Bildes
Emmanuel Macron und der ehemalige Premierminister Eduard Philippe: Beide Politiker waren zuletzt in der Corona-Krise oft unterschiedlicher Meinung. (Quelle: Christian Hartmann/Reuters-bilder)

Zuletzt erhielt Frankreichs Präsident Macron an den Wahlurnen einen Denkzettel, der Rücktritt der Regierung soll nun ein Befreiungsschlag werden. Aber der große Knall droht zum Blindgänger zu werden.

Emmanuel Macron steht gewaltig unter Druck. Die Corona-Krise trifft die französische Wirtschaft hart, bei den Kommunalwahlen in Frankreich bekam seine Partei La République en Marche außerdem Ende Juni eine heftige Ohrfeige von den Wählern. Nach diesen verheerenden Ergebnissen brauchte Macron einen politischen Befreiungsschlag.

Der Rücktritt der französischen Regierung ist nun der von vielen Experten erwartete große Knall, der aber zum Teil nur ein Blindgänger ist. Der französische Präsident will offiziell zwar einen neuen Kurs, aber mit der Ernennung des Konservativen Jean Castex zum neuen Premier verpasste Macron eine Neuausrichtung seiner Politik. Trotz neuer Köpfe im Kabinett bleibt in Frankreich Vieles beim Alten, und das könnte am Ende Macron genau dann auf die Füße fallen, wenn sich der 42-Jährige für eine zweite Amtszeit zur Wahl stellt. Der große Knall ist für den Präsidenten vielmehr ein Ablenkungsmanöver, um den Kurswechsel zu vermeiden.

Dämpfer für den Präsidenten

Der politische Erdbeben kam am Freitagmorgen. Die komplette französische Regierung trat zusammen mit Premierminister Eduard Philippe zurück. Der radikale Austausch der Regierung soll ein politisches Symbol für einen Neuanfang sein – und der ist eigentlich bitter nötig. Zuletzt haben die Wähler in Frankreich Macron einen empfindlichen Dämpfer verpasst. Nach der zweiten Runde der Kommunalwahlen räumte eine Regierungssprecherin am Sonntag "enttäuschende Ergebnisse" für seine Partei La République en Marche ein. Sieger waren vor allem die Grünen. In der Hauptstadt Paris sicherte sich die sozialistische Bürgermeisterin Anne Hidalgo im Bündnis mit den Grünen die Wiederwahl für sechs Jahre.

Deshalb verlor der Präsident keine Zeit: Bereits wenige Stunden nach dem Rücktritt von Philippe ernennt Macron den Konservativen Jean Castex zum neuen Premierminister. Die restliche Zusammensetzung des Kabinetts könnte noch im Laufe des Freitags bekannt gegeben werden. Es wird damit gerechnet, dass mehrere führende Minister ihren Hut nehmen müssen. Unter Druck steht insbesondere Innenminister Christophe Castaner, der wegen seines Umgangs mit den "Gelbwesten"-Protesten in die Kritik geraten war. Seit Macrons Amtsantritt sind insgesamt 17 Minister zurückgetreten.

Macrons Kampf um eine mögliche Wiederwahl

Der französische Präsident sucht einen neuen politischen Kurs, die Meinungsumfragen sind im Keller. Macron kämpft schon jetzt um den Erfolg dieser Amtszeit und um eine mögliche Wiederwahl im Jahr 2022. Die Unzufriedenheit in Frankreich wurde zuletzt größer, weil die Corona-Pandemie das Land vor allem wirtschaftlich hart trifft und die Regierung bisher keinen klaren Kurs verfolgte. Außerdem wünschen sich immer mehr Französinnen und Franzosen eine ökologischere und sozialere Politik – nicht gerade die Kernthemen des französischen Präsidenten.

Mit Philippe muss außerdem ein Premierminister gehen, der in der Corona-Krise deutlich aus dem Schatten des Präsidenten tritt und an Profil gewonnen hat. Er geht als Bürgermeister nach Le Havre und könnte dort die Zeit nutzen, um sich als künftiger Gegner von Macron in Stellung zu bringen – vielleicht schon bei der Präsidentschaftswahl 2022.

Philippe beliebter als Macron

Denn Rücktritte in Frankreich können immer auch einen Wandel in der Geschichte mitbringen, das weiß besonders Macron. Er trat im Jahr 2016 als Wirtschaftsminister zurück, um dann im Frühjahr 2017 seine Kampagne für die Präsidentschaftskandidatur zu starten.

Philippe hatte das Amt des Premierministers drei Jahre lang inne, nun wird er wohl nicht Teil des neuen Kabinetts sein. Dabei ist Philippe in Frankreich äußerst populär, sogar derzeit beliebter als als der französische Präsident. Laut einer Umfrage des französischen Meinungsforschungsinstituts "ifop" zeigten sich im Juni nur 38 Prozent der Befragten mit der Arbeit von Macron zufrieden, bei Philippe waren es 50 Prozent.

Dieses Ergebnis ist vor allem deshalb erstaunlich, weil der Premierminister in Frankreich meist im Schatten des Präsidenten steht, der vor allem bei allen wichtigen nationalen und internationalen Entscheidungen im Rampenlicht steht. So vertritt der Staatschef Frankreich bei EU-Gipfeln oder anderen internationalen Spitzentreffen. Der damalige konservative Präsident Nicolas Sarkozy, der von 2007 bis 2012 regierte, bezeichnete seinen Premier François Fillon einmal herablassend als seinen "Mitarbeiter". Auch Macron opfert nun seinen Premier, lediglich um ein Zeichen zu setzen.

Doch Philippe trat in den letzten Monaten immer weiter aus Macrons Schatten. In den französischen Medien lieferten sich beide einen Konkurrenzkampf beim Thema Corona. So drückte der Präsident beim Lockern der strikten Ausgangsbeschränkungen aufs Tempo, während Philippe bremste. Der Premier hat deswegen in der Corona-Krise, die Frankreich mit rund 30.000 Toten schwer trifft, als ruhig wirkender Krisenmanager deutlich an Statur und Beliebtheit gewonnen. Der großgewachsene, ruhige 49-Jährige navigierte Frankreich durch die Krise – gab den Menschen Verlässlichkeit. Macron tauchte fast nur als Nebendarsteller in Fernsehansprachen auf.

"Monsieur Lockerungen" wird Premierminister

Die Corona-Krise bleibt in Frankreich das alles bestimmende Thema. Auch deshalb holte sich Macron mit Castex wieder einen Corona-Krisenmanager ins Boot. Der 55-Jährige ist künftig für die Umsetzung der politischen Pläne des Präsidenten zuständig.

Castex ist ein hochrangiger Politikfunktionär, kommt von den bürgerlichen Rechten und ist in der Öffentlichkeit nicht besonders bekannt. Aktuell koordiniert er die Lockerungen in der Corona-Krise. Der Vertraute des früheren konservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy ist Bürgermeister der Stadt Prades in Südwestfrankreich. In der französischen Presse hat er den Spitznamen "Monsieur déconfinement" – das Wort "déconfinement" steht für die Lockerungen der Ausgangsbeschränkungen in der Corona-Krise.

Damit setzt Macron auch ein Zeichen. Die Wirtschaft muss wieder in Schwung gebracht werden, obwohl es noch zehntausende akute Infektionen in Frankreich gibt. Castex soll nun Lockerungen möglichst schnell und effektiv umsetzen. Gleichzeitig will sich Macron aber mit seiner Wahl vieler kritischer Stimmen entledigen. Dabei ist die Benennung von Castex kein Aufbruch an neue Ufer, denn auf den ersten Blick gibt es nicht all zu viele Unterschiede zu seinem Vorgänger: Beide gelten als konservativ, beide arbeiten eher als Macher im Hintergrund. Der Präsident wählte einen Krisenmanager, keinen Revolutionär.

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Es soll kein Debakel werden

Dabei braucht Macron eigentlich beides. Mit seiner Reformpolitik ist er durch Corona gescheitert. Bis zum Ende seiner Amtszeit wird er die französischen Finanzen nicht sanieren können – das Land hat sich in der Pandemie massiv verschuldet. In absehbarer Zeit wird man mit Deutschland wirtschaftlich nicht mithalten zu können. Macron bleiben keine zwei Jahre mehr – voraussichtlich steht am Ende seiner Präsidentschaft keine Erfolgsgeschichte. Aber es soll auch kein völliges Debakel werden.

Doch für den Präsidenten gibt es noch Krisen neben Corona. Baustellen, die momentan einfach auf Eis liegen: Die "Gelbwesten"-Proteste und die wochenlangen Streiks gegen die Rentenreform. Die Menschen im Land vertrauten ihrem Staatschef nicht mehr, gingen gegen dessen Politik auf die Straße. Mit seinen Rentenplänen zog er zuletzt die Wut der Bürgerinnen und Bürger auf sich.

Macron bewegt sich langsam

"Diese Reform kann nach dem Ende der Krise nicht unverändert wieder aufgenommen werden", betonte Macron nun in einem Interview mit Regionalzeitungen. Aber in den Mülleimer gehörten die Pläne auf keinen Fall. Doch der Präsident gibt sich auch selbstkritisch: "Ich habe manchmal den Eindruck erweckt, dass ich Reformen gegen das Volk durchsetzen will."

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Viele Franzosen wünschen sich ein sozialeres Land, auch die Klimakrise solle effektiver bekämpft werden. Außerdem: "Macron soll mehr zuhören und volksnah sein. Das fehlt momentan sehr", sagt die Pariserin Brigitte Coutrier im Interview mit der ARD-Tagesschau.

Macron muss sich nun bewegen und setzt auch wegen des massiven Drucks auf sozialere Themen: Er will sich gegen Jugendarbeitslosigkeit einsetzen und für ein besseres Gesundheitssystem starkmachen. Pflegepersonal verspricht er mehr Geld, Steuererhöhungen schließt er aus. Er deutet an, dass die Menschen im Land länger arbeiten müssen und ein bequemes Sozialsystem kein Anreiz für Arbeitslosigkeit sein darf. Grüne Politik – ja, das möchte er, aber dann doch in Maßen. An der Atomkraft hält er fest.

Der große Knall könnte mit Verzögerung kommen

Castex sei dafür in der derzeitigen Lage der richtige Mann, da er "dafür bekannt ist, durch Dialog und im Geiste des Zusammenschlusses zu arbeiten", teilte der Elysée-Palast mit. Er komme aus dem politisch konservativen Lager, sei in sozialen Fragen aber "ein Gaullist".

Aber eines steht fest: Der Austausch der Regierung und des Premierministers war ein Symbol für einen Neuanfang – auch wenn Macron prinzipiell mit der Arbeit der Regierung zufrieden war. Mit der Entscheidung für Castex hat er nicht mit dem Mitte-Rechts-Lager gebrochen – ein radikaler Schwenk in Richtung links blieb aus.

Natürlich bleibt abzuwarten, wie am Ende das Kabinett aussieht, aber der große politische Neuanfang in Frankreich wird auch nach der Kabinettsumbildung ausbleiben. Denn es geht Macron eigentlich nur um Zugeständnisse, nicht um ein Umsteuern. "Ich glaube, dass der Kurs, den ich 2017 eingeschlagen habe, nach wie vor richtig ist", erklärte er zuletzt in einem Interview. Deshalb ist der Rücktritt der Regierung, der Knall am Freitag, momentan noch nicht mehr als ein Symbol. Aber wenn Macron in seiner Corona-Politik weiter einen Zickzack-Kurs fährt, die wirtschaftliche Krise nicht bewältigt bekommt und die Wut und sozialen Probleme vieler Franzosen unterschätzt, könnte es bei der Präsidentschaftswahl in zwei Jahren für Macron tatsächlich zu einem großen Knall kommen.

Verwendete Quellen
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