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Angriff auf Kiew bei Guterres-Besuch: Russland macht seine Drohung wahr


Angriff auf Kiew bei Guterres-Besuch
Russland macht seine Drohung wahr


Aktualisiert am 29.04.2022Lesedauer: 6 Min.
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Explosionen in Kiew: Bilder zeigen Rauchsäulen über der ukrainischen Hauptstadt. (Quelle: t-online)

Während der Chef der Vereinten Nationen Kiew besucht, schlagen nur wenige Kilometer von seinem Aufenthaltsort russische Raketen ein. Ist das ein gezielter Affront Wladimir Putins gegen Guterres und die UN?

Zum ersten Mal seit zwei Wochen greift Russland Kiew mit Raketen an. Der Zeitpunkt ist symbolträchtig: Nach seiner Moskau-Reise traf UN-Generalsekretär António Guterres am Donnerstag den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in der ukrainischen Hauptstadt. Die Delegation um den Portugiesen war am Abend noch nicht wieder im Hotel angekommen, als zwei Explosionen im Stadtteil Schewtschenko gemeldet wurden.

Den Angaben des ukrainischen Katastrophenschutzes zufolge wurde ein Wohnhaus getroffen. Zehn Menschen wurden verletzt, am Morgen wurde bekannt, dass eine Leiche unter den Trümmern gefunden worden war.

Russland: Angriff mit "hochpräzisen Langstreckenwaffen"

Russland bestätigte am Freitag, die ukrainische Hauptstadt angegriffen zu haben. "Hochpräzise, luftgestützte Langstreckenwaffen der russischen Luftwaffenkräfte haben die Produktionsgebäude des Raketen- und Raumfahrtunternehmens Artem in Kiew zerstört", erklärte das russische Verteidigungsministerium. Fotos, die der ukrainische Katastrophenschutz veröffentlichte, zeigten brennende Häuser, die sich hinter oder auf der Rückseite des Artem-Geländes in Kiew befinden. Der Raketenhersteller Artem gehört zum staatlichen ukrainischen Rüstungskonzern Ukroboronprom.

Bürgermeister Vitali Klitschko berichtete auf Telegram, auch ein 25-geschossiges Wohnhaus sei getroffen worden. Es handle sich um einen Neubau, der bislang kaum bewohnt gewesen sei, daher die geringe Opferzahl. Der Katastrophenschutz schrieb auf Telegram, auch hier habe es gebrannt, fünf Menschen seien aus dem Gebäude gerettet worden.

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Bei der Toten soll es sich um eine Journalistin handeln. Der Radiosender Radio Liberty teilte mit, dass eine seiner Mitarbeiterinnen durch den Angriff getötet worden sei. "Wira Gyritsch starb an den Folgen des Einschlags einer russischen Rakete in das Gebäude, in dem sie wohnte", erklärte der von den USA finanzierte Radiosender auf seiner Internetseite. Ihr Körper sei am Freitag unter den Trümmern entdeckt worden.

Außerdem trafen Luftangriffe nach russischen Angaben mehrere Umspannwerke an ukrainischen Eisenbahnknotenpunkten, zum Beispiel nahe der Stadt Fastow bei Kiew. Der Leiter der Militärverteilung des Oblasts Kiew, Oleksandr Pavliuk, berichtete auf Telegram am Donnerstagabend von einem Angriff auf die Infrastruktur der Stadt.

Russland warnte vor Angriffen auf Kiew

Der Kreml hatte zuvor vor Angriffen auf Kiew gewarnt. Mitte der Woche war in der russischen Region Belgorod an der ukrainischen Grenze russischen Behördenvertretern zufolge ein Munitionsdepot in Brand geraten. Schon seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine vor rund zwei Monaten gab es mehrmals Berichte von russischen Behördenvertretern über Zwischenfälle und Beschuss von Orten auf russischer Seite. Mancher Vorfall löste auch Spekulationen darüber aus, ob von Nato-Staaten an die Ukraine gelieferte Waffen auf russischem Gebiet zum Einsatz gekommen sein könnten. Belege für die Behauptungen legte Russland bisher allerdings nicht vor.

Moskau hatte der Ukraine angesichts der Zwischenfälle damit gedroht, in der Hauptstadt Kiew wieder verstärkt Kommandostellen für Raketenangriffe ins Visier zu nehmen. Auch wenn sich dort "westliche Berater" befänden, wäre deren Anwesenheit "nicht unbedingt" ein Problem, wenn Russland Entscheidungen über Vergeltungsmaßnahmen treffe, hieß es am Dienstag aus dem russischen Verteidigungsministerium.

Selenskyj: Russland will die UNO "demütigen"

Diese Drohung, Kiew auch bei Anwesenheit ausländischer Politiker anzugreifen, hat sich nun bewahrheitet. Neben Guterres war auch Bulgariens Ministerpräsident Kiril Petkow in Kiew zu Gast. Der Schlag kurz nach Guterres' Treffen mit Wladimir Putin im Kreml wurde, insbesondere von ukrainischer Seite, dennoch als klarer Affront gegen den UN-Generalsekretär und die Vereinten Nationen gewertet.

Präsident Selenskyj sagte in einer Ansprache, die Angriffe zeigten Russlands wahre Haltung gegenüber der Institution. Die russische Regierung wolle die UN "demütigen". Seine Berater wählten deutliche schärfere Formulierungen: Michail Podoljak sagte, vor Kurzem noch habe Guterres im Kreml gesessen und "heute gibt es nur einen Kilometer von ihm entfernt Explosionen. Ist das ein Gruß aus Moskau?"

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Präsidentenberater: "Dümmste Variante überhaupt"

Olexyj Arestowytsch bezeichnete den Luftschlag als "dümmste Variante überhaupt". Russland habe Guterres mit diesem Angriff "in den Rücken geschossen", sagte Arestowytsch nach Angaben der Agentur Unian weiter. "Für einen Marschflugkörper ist die Entfernung zwischen Einschlagsort und Aufenthaltsort von Guterres etwa so viel wie zwei Millimeter für eine Pistole. Der Schuss ging also an seiner Schläfe vorbei." Berichten zufolge soll sich das Hotels von Guterres' Delegation nicht weit von dem Einschlag befunden haben. "Sie (die Russen) haben ihm einfach in den Rücken gespuckt, so saftig, mit Blut."

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba schrieb auf Twitter von einem "hasserfüllten Akt der Barbarei". Russland habe "ein weiteres Mal seine Haltung gegenüber der Ukraine, Europa und der Welt gezeigt". Verteidigungsminister Oleksij Resnikow sprach von einem "Angriff auf die Sicherheit des UN-Generalsekretärs und die Sicherheit der Welt".

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Bundesregierung nennt russisches Vorgehen "menschenverachtend"

Die Bundesregierung verurteilte den russischen Raketenangriff auf Kiew am Tag des Besuchs von UN-Generalsekretär António Guterres scharf. "Das Vorgehen der russischen Seite ist menschenverachtend", sagte der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner am Freitag in Berlin. "Es offenbart vor den Augen der Weltgemeinschaft zudem erneut, dass Putin und sein Regime keinerlei Respekt vor dem internationalen Recht haben."

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Auch Guterres zeigte sich nach dem Angriff "geschockt", wie er dem britischen Sender BBC sagte. Ein UN-Sprecher bestätigte noch am Abend, der Generalsekretär und sein Team seien in Sicherheit. Die kurz vor dem Einschlag abgehaltene Pressekonferenz mit Selenskyj hatte nur etwa 3,5 Kilometer vom Einschlagsort stattgefunden.

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Guterres-Reise sollte Rolle der UN kräftigen

Bislang spielten die Vereinten Nationen bei den Bemühungen um eine Beendigung des Konflikts nur eine untergeordnete Rolle. Dies liegt unter anderem daran, dass der Konflikt zu Zerwürfnissen zwischen den fünf ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats geführt hat. Dem Gremium gehören neben Russland die ständigen Mitglieder USA, China, Frankreich und Großbritannien an. Alle fünf haben ein Vetorecht.

Bei seinem Treffen Wladimir Putin am Dienstag hatte UN-Chef Guterres laut eigenen Angaben vom russischen Präsidenten eine prinzipielle Zusage für die Beteiligung der Vereinten Nationen am Aufbau eines Fluchtkorridors aus dem Stahlwerk Asowstal in Mariupol erhalten. Dort sind nach ukrainischen Angaben neben Soldaten und Kämpfern des nationalistischen Asow-Regiments auch bis zu 1.000 Zivilisten eingesperrt. Nun gebe es intensive Beratungen dazu, wie der Vorschlag in die Realität umgesetzt werden könne.

Russland schränkte jedoch ein, einen Korridor werde es, wenn überhaupt, nur für Zivilsten geben. Putin habe es ganz klar gesagt: "Die Zivilisten können gehen und zwar in jede Richtung, die Militärs müssen rauskommen und ihre Waffen niederlegen", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der staatlichen Nachrichtenagentur Tass. Es gebe keinen Spielraum für Verhandlungen.

Guterres bei Besuch in Vororten tief getroffen

Aus Moskau reiste Guterres weiter in die Ukraine. Vor einem Treffen mit Selenskyj und Kuleba in Kiew besuchte er mehrere zerstörte Vororte und zeigte sich dort tief betroffen. "Ich stelle mir meine Familie in einem dieser Häuser vor, die nun zerstört und schwarz sind. Und ich sehe meine Enkeltöchter in Panik davonlaufen", sagte er in der Kleinstadt Borodjanka.

In Butscha, wo russische Soldaten mutmaßlich Gräueltaten an der Zivilbevölkerung begangen hatten, betonte Guterres, es sei wichtig, diesen Horror "sorgfältig aufzuklären" und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die Bilder getöteter ukrainischer Zivilisten aus Butscha hatten Anfang des Monats weltweit für Entsetzen gesorgt. Mehr als 400 tote Zivilisten wurden gefunden.

Auch mit Selenskyj sprach Guterres über die Lage in Mariupol. "Mariupol ist eine Krise innerhalb einer Krise, Tausende Zivilisten brauchen lebensrettende Hilfe", sagte er nach dem Treffen. Selenskyj betonte am Abend noch einmal die Wichtigkeit des Besuchs. "Es war sehr wichtig, dass der Generalsekretär Borodjanka in der Region Kiew besuchte und mit eigenen Augen sah, was die russischen Besatzer dort anrichteten. Es besteht kein Zweifel daran, dass die russische Armee in der Ukraine die Grundlagen der nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen Weltordnung mit Füßen getreten hat", so der Präsident.

UN: Hinweise für Kriegsverbrechen

Bereits vor dem Besuch Guterres' hatten die UN von möglichen Kriegsverbrechen in der Ukraine gesprochen. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Michelle Bachelet nannte dabei den willkürlichen Beschuss von Städten und Wohngebieten und warf den russischen Truppen Vergewaltigungen sowie den Einsatz von Streubomben vor. Russland dementiert derartige Vorwürfe vehement.

Bachelet appelliert allerdings nicht nur an Russland, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten, sondern auch an die Ukraine. Folter, Misshandlungen und kollektive Hinrichtungen gebe es von beiden Seiten. Es sei “entscheidend, dass alle Konfliktparteien den Kombattanten klare Anweisungen geben, das humanitäre Völkerrecht und die internationalen Menschenrechtsnormen strikt einzuhalten”.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters
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