Ex-Kinderarbeiter gegen Ex-Taxifahrer Wer kommt nach dem Putschversuch an die Macht?

Südkoreas letzter Präsident hat die Demokratie des Landes in eine Krise gestürzt. Zwei Politiker kämpfen um die Nachfolge – und streben sehr unterschiedliche Beziehungen zu den USA und China an.
Rund 44 Millionen Wahlberechtigte sind am Dienstag in Südkorea zur Wahl aufgerufen. Es geht um die Nachfolge des abgesetzten Präsidenten Yoon Suk Yeol. Der ehemalige Politiker der konservativen Volkspartei People Power Party (PPP) hatte im vergangenen Dezember im Machtkampf mit der liberalen Parlamentsmehrheit der Demokratischen Partei (DP) das Kriegsrecht verhängt. Chaotische Wochen folgten. Es gab Demonstrationen für den Präsidenten und Demonstrationen gegen seinen Verbleib im Amt.
Im April hatte das oberste Gericht des Landes Yoons Amtsenthebung einstimmig bestätigt. Eine Untersuchungshaft wurde zuvor aufgehoben. Doch das Land ist weiterhin tief gespalten und die Stabilisierung der demokratischen Institutionen dauert an.
- Tiefer Sturz: Südkoreas Präsident des Amtes enthoben
- Machtkampf: Südkorea: Angeklagter Präsident soll aus U-Haft freikommen
Südkorea gehört zu den führenden Industrienationen der Welt, doch die Wirtschaft des 50-Millionen-Einwohner-Landes ist ins Stocken geraten. Diese Entwicklung wird durch den voranschreitenden demografischen Wandel verstärkt. Die Geburtenrate ist niedrig und die Gesellschaft altert stark. Außerdem muss die Exportnation mit der Belastung durch Trumps Zölle umgehen und sich gegen das übermächtige China behaupten.
Ein Blick auf Favoriten, Positionen und was bei der Abstimmung für Deutschland und Europa auf dem Spiel steht.
Der Favorit (und sein umstrittenes Verhältnis zu China)
Lee Jae Myung (61) ist das Gesicht der Opposition in Südkorea. Diesen Status erhielt er spätestens, als er im vergangenen Dezember im Machtkampf mit Präsident Yoon den Zaun zum Präsidentenpalast erklomm.
Lee ist ein Kämpfer – immer schon gewesen. Der Menschenrechtsanwalt stammt aus einer armen Familie. Sein genaues Alter ist nicht bekannt und kann nur abgeschätzt werden. Sein Vater versäumte schlicht, ihn beim Standesamt zu registrieren. Nach der Grundschule begann Lee, in einer Fabrik zu arbeiten. Bei einem Arbeitsunfall wurde sein Handgelenk von einer Industriepresse gequetscht. Die Verletzung wurde nicht behandelt und führte zu einer Behinderung seines Arms.
Anfang vergangenen Jahres überlebte er eine Messerattacke. Hintergrund waren Korruptionsvorwürfe gegen ihn. Diese zogen auch zahlreiche Gerichtsverfahren nach sich, die jedoch bislang versandeten. Ein Prozess wegen falscher Behauptungen im Wahlkampf endete zuletzt mit einem Freispruch. Nur deshalb kann Lee jetzt zur Präsidentschaftswahl antreten.
Der linksliberale Lee gilt als Favorit für die Abstimmung am Dienstag. In den Umfragen liegt er bei 49 Prozent. Seine Karriere startete er als Bürgermeister der Stadt Seongnam im Süden von Seoul, danach war er Gouverneur der Gyeonggi-Provinz. Vor drei Jahren unterlag er bei der Präsidentschaftswahl gegen Yoon.
So positioniert sich Lee im Wahlkampf:
- Harte Linie gegen Donald Trump: Der US-Präsident verhängte nicht nur Strafzölle gegen Südkoreas kriselnde Wirtschaft. Trump fordert auch, dass sich Südkorea mit 10 Milliarden Dollar an den Kosten der Stationierung von rund 28.500 US-Soldaten im Land beteiligt, die Südkoreas Sicherheit gegen Nordkorea garantieren sollen. Lee hatte schon früh eine "übermäßig unterwürfige Haltung" gegenüber den USA kritisiert. Im Wahlkampf sagte er: "Wenn wir aufgeben, was auch immer von uns verlangt wird, verlieren wir nur alles." Er setzt im Zollstreit auf Verhandlungen – wie auch die EU.
- Ausgleich mit China: Die Volksrepublik hat großen Einfluss auf die gesamte koreanische Halbinsel. So stützt China einerseits die kommunistische Diktatur in Nordkorea. Andererseits bleibt die Volksrepublik auch ein wichtiger Absatzmarkt für Südkoreas exportorientierte Wirtschaft. Lee verfolgt eine pragmatische Position. Seine Linie ist im Zweifelsfall für die USA. Dennoch sagt er: "Wir sollten nicht alle Eier in einen Korb legen."
- Atomwaffen-Abrüstung: Kim Jong Un rüstet Nordkorea auf und verunsichert die Region mit regelmäßigen Raketentests. Lee lehnt dennoch eigene Atomwaffen für Südkorea ab. Er befürwortet aber die zivile Nutzung der Atomenergie.
- Dialog mit Nordkorea: Gegenüber dem kommunistischen Norden setzt Lee auf Entspannungspolitik. Dazu gehört auch die Wiedereinführung eines roten Telefons zwischen den beiden Militärstäben des Landes.
Lee sagt "viele richtige Dinge", zitiert die "New York Times" den Experten für internationale Beziehungen, Leif-Eric Easley. Es bleibe jedoch offen, ob die Äußerungen eine Vorausschau auf die künftige Politik oder nur Wahlkampfaussagen seien.
Der Kontrahent (und sein Atomwaffenprogramm)
Kim Moon Soo (73) durchwanderte das politische Spektrum einmal von links nach rechts. Als Gewerkschaftsfunktionär gehörte er in den 70er-Jahren zu den führenden Kämpfern gegen die Militärdiktatur in Südkorea. Sein Engagement brachte ihn zeitweise ins Gefängnis, übergangsweise jobbte er als Taxifahrer. Zuletzt war er Arbeitsminister im Kabinett von Präsident Yoon. Nach dessen Putschversuch trat er zurück und sagte sich von Yoon los. Der verließ im vergangenen Monat die konservative Volkspartei PPP – auch, um deren Chancen im Wahlkampf zu erhöhen.
Derzeit liegt Kim in Umfragen bei rund 35 Prozent. Sein Wahlprogramm lautet:
- Strikter Kurs gegen China: Kim fährt gegen Peking hart auf. "China war unser Feind, dessen Kommunistische Partei während des Koreakriegs in unser Land einmarschierte", so seine Position in einer TV-Debatte. "Wie können wir China dann auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten behandeln?", fragte er rhetorisch. Mit dieser Position kann er vor allem bei älteren Wählern und jungen Männern punkten.
- Eigenes Atomwaffenprogramm: Um sich gegen Nordkorea und China zu wappnen, setzt Kim auf eigene nukleare Waffen. Eine durchaus populäre Haltung in Südkorea. Im Fall eines Wahlsieges beabsichtigt er bei Donald Trump, die Erlaubnis einzuholen, Uran anzureichern.
- Abschreckung gegenüber Nordkorea: Kim setzt im Wahlkampf stark auf Abgrenzung seines ehemaligen Parteifreunds Yoon. Nur in einem Punkt bleibt er strikt an der Seite des abgesetzten Präsidenten: Er teilt dessen harte Haltung gegen Kim Jong Un. Die Halbinsel ist seit dem Ende des Koreakriegs 1953 geteilt. Kim setzt auf Abschreckung gegen das nordkoreanische Atomwaffenprogramm. "Ein Friede ohne starke Abschreckung gegen Nordkoreas Atomwaffenprogramm ist ein falscher Friede", so der Kandidat im Wahlkampf.
- Stabil an der Seite Trumps: Kim baut auf eine Allianz mit Donald Trump gegen China, Nordkorea und Mitkonkurrent Lee. Im Handelsstreit mit den USA hofft der konservative Kandidat auf ein weiteres Aussetzen der US-Strafzahlungen. Viele im Land sehen seine Nähe zu Donald Trump kritisch, doch Kim steht dazu. Auf die Frage in einer Talkrunde, ob er eine Mütze mit Trumps Wahlkampfslogan "Make America Great Again" (MAGA) tragen würde, sagte der Kandidat nur: "Ich würde sogar einen Pullover mit der Aufschrift tragen."
Kim hofft auf einen späten Umschwung am Wahltag. Doch der Abstand zu Lee ist groß.
Mehr als eine nationale Wahl
Die Wahl in Südkorea betrifft auch die westlichen Bündnispartner. Die EU und Südkorea verbindet ein Freihandelsabkommen. Beide setzen auf Export und haben viel durch Trumps Zollpolitik zu verlieren.
Der European Council on Foreign Relations (ECFR) urteilt in einer Analyse: "Die neue geopolitische Lage hat ein einzigartiges – fast zwingendes – Fenster für engere strategische Beziehungen zwischen der EU und Südkorea geöffnet."
Der liberale Anwärter Lee wäre für Deutschland und Europa wohl der zugänglichere Kandidat. Erst aber muss am Dienstag die Wählerschaft in Südkorea entscheiden.
- www.nytimes.com: "South Korea’s Election Likely to Reset Ties With China" (Englisch)
- www.boell.de: "Wie Asien auf Trumps zweite Amtszeit reagiert"
- www.ecfr.eu: "Polls, peril and partnership: Why South Korea and the EU are natural allies"
- www.hss.de: "Amtsenthebung von Präsident Yoon bestätigt"
- www.koreaherald.com: "D-day showdown: Lee aims to seal ‘solid win’ as Kim hopes for reversal"
- www.latimes.com: "How South Korea’s next president wants to deal with Trump and his tariffs"