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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ukraine-Krieg Trump zeigt, wo er wirklich steht

Über das Verhältnis von Trump zu Putin wird viel spekuliert. Aber was treibt den US-Präsidenten in seiner Russlandpolitik wirklich an? Das sagen Experten.
Niemand hat wohl ernsthaft geglaubt, dass Donald Trump sein Versprechen einlösen und den Krieg gegen die Ukraine am ersten Tag nach seinem Amtsantritt beenden könnte. Doch die augenscheinliche Weigerung des US-Präsidenten, auch nur den geringsten Druck auf Russland auszuüben, ist aus ukrainischer und europäischer Sicht frustrierend.
Zwar äußert sich Trump wiederholt kritisch über Putin, zum Beispiel nach den jüngsten schweren russischen Luftangriffen auf Kiew und andere ukrainische Städte; Taten folgen den Worten bislang aber kaum.
Weder verhängt die Trump-Regierung neue Sanktionen gegen Russland, noch stellt sie der Ukraine neue Waffenlieferungen in Aussicht. Stattdessen scheint Trump das Interesse an dem Konflikt zu verlieren und nach einem Ausweg für sich zu suchen.
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Aber welche Motive treiben Trump an? Folgt seine Politik gegenüber Russland einer Strategie? Und wenn ja, welcher? Diese Frage hat t-online Experten aus verschiedenen Fachbereichen und Parteien gestellt – ihre Antworten im Überblick.
"Trump hat ein Faible für Autokraten"
Carlo Masala, Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München: "Die Ukraine ist für Trump nur eine Funktion. Sein eigentliches Ziel ist die Normalisierung der Beziehungen zu Russland, vor allem auf wirtschaftlicher Ebene. Dem steht Russlands Krieg gegen die Ukraine im Wege, auch innenpolitisch. Deshalb muss er diesen Konflikt lösen, aber er hat kein originäres Interesse an der Ukraine. Das zeigt sich auch darin, dass Trump immer nur russische Positionen einnimmt. Aus der gemeinsamen Linie mit den Europäern ist er direkt wieder ausgeschert, nachdem Putin ihm einen Brotkrumen hingeworfen hatte.
Ob Putin Trump in der Hand hat, weiß ich nicht. Klar ist, dass Trump ein Faible hat für Autokraten wie Putin oder Xi Jinping. Die können halt durchregieren und müssen sich nicht, wie er, mit einem Kongress herumschlagen. Und das bewundert Trump."
Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Verteidigungsexpertin der FDP: "Alles, was wir über den US-Präsidenten wissen, ist, dass wir nichts wirklich wissen, da sein politisches Ziel im Unklaren bleibt. Er hat inzwischen erkennen müssen, dass seine Ankündigung den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bis heute – geschweige denn in 24 Stunden – nicht beenden konnte.
- Er redet, Putin greift an: Trumps tödliche Friedensbemühungen
Nach den Telefonaten zwischen Trump und Putin, den Treffen der US- und der russischen Delegationen unter Leitung der jeweiligen Außenminister und dem öffentlichen, unschönen Druck auf Präsident Selenskyj im Weißen Haus, wird er wahrnehmen, dass Putin an einem Frieden null interessiert ist. Denn seitdem der Präsident mit Putin spricht, haben die Angriffe auf die Zivilbevölkerung in der Ukraine drastisch zugenommen. Das kann nicht spurlos an Trump vorbeigegangen sein.
"Trump hat womöglich eine Abneigung gegen Selenskyj"
Sein unberechenbares Verhalten und seine immer wiederkehrenden Botschaften in den sozialen Netzwerken sind vor allem für die Ukraine, aber auch für uns problematisch, weil nicht einschätzbar. Einzig deutlich ist, dass der Präsident, wie seine Vorgänger auch, klare Ansprüche an Europa hat, ihren verteidigungspolitischen Pflichten endlich nachzukommen."
Anton Hofreiter, Verteidigungsexperte von Bündnis90/Die Grünen: "Es ist erkennbar, dass Trump Putin bewundert, nicht zuletzt für sein imperialistisches Großmachtstreben. Es ist gleichzeitig erkennbar, dass Putin Trump um den Finger wickelt und Trump sich nicht mehr um Europa und den Ukrainekrieg kümmern will. In drei Wörtern zusammengefasst: Er agiert naiv, erratisch und unverantwortlich. Nicht unterschätzen darf man dabei die libertär bis rechtsextremistische Ideologie, die viele seiner Berater und vermutlich auch Trump selbst antreibt."
Andreas Umland, Politikwissenschaftler und Analyst am Stockholm Centre for Eastern European Studies (SCEEUS): "Trump hat wenig Interesse an der Ukraine und womöglich sogar eine Abneigung gegen Präsident Selenskyj wegen dessen Rolle im ersten Amtsenthebungsverfahren gegen Trump 2019.
Zugleich steht Trump innenpolitisch unter Druck durch die amerikanische Zivilgesellschaft und Teile seiner Republikaner. Er wollte die Ukrainer für ihr eigenes Leid verantwortlich machen, aber das funktioniert nicht. Die Mehrheit der Amerikaner sieht sehr wohl, dass Putin der Aggressor ist. Das könnte sogar noch eine wahlstrategische Bedeutung bekommen, wenn republikanische Kandidaten eine stärker pro-ukrainische Politik vom Präsidenten einfordern.
Dabei würde Trump viel lieber Deals mit Russland und Putin machen. Das erscheint paradox und hat vielleicht mit seiner Biografie zu tun. Trump war in den 80er-Jahren in Moskau und es gibt die Theorie, dass russische Geheimdienste damals 'Kompromat', also belastendes Material, gegen ihn erstellten. Eine andere Theorie lautet, dass Trump russisches Geld annahm, um Krisenzeiten als Geschäftsmann zu überstehen. Gesicherte Erkenntnisse gibt es dazu aber nicht."
Trumps Deal mit der Ukraine hinsichtlich deren Bodenschätze ist erfolgreich abgeschlossen. Die Hoffnung bleibt daher, dass auch das Interesse des US-Präsidenten an der Ukraine deutlich zunehmen könnte, will er sich seine zukünftigen Einnahmen nicht durch Russland nehmen lassen.
- Email-Austausch und Telefonate mit den genannten Personen