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Die "Neue Seidenstraße": Chinas Traum, unser Albtraum?


Die "Neue Seidenstraße"
Chinas Traum, unser Albtraum?

Von Erich Follath

Aktualisiert am 29.04.2019Lesedauer: 5 Min.
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Das National Convention Center in Beijing: Vor dem Gebäude steht eine goldene Brücke, die Chinas Prestigeprojekt, die "Neue Seidenstraße", repräsentieren soll.Vergrößern des Bildes
Das National Convention Center in Beijing: Vor dem Gebäude steht eine goldene Brücke, die Chinas Prestigeprojekt, die "Neue Seidenstraße", repräsentieren soll. (Quelle: imago-images-bilder)

China will mit der "Neuen Seidenstraße" seinen Außenhandel ankurbeln. Die Volksrepublik investiert dafür Milliarden. Ist das ein wohltätiger fernöstlicher Marschall-Plan oder ein Welteroberungsprogramm?

Mein Mönch, dessen Spuren ich jetzt ein Jahr lang gefolgt bin, hat sie noch in der Blütezeit erlebt, die "klassische" Seidenstraße. Mein Mönch Xuanzang brach im Jahr 629 gegen den Willen des Kaisers vom chinesischen Herzland aus zu einer abenteuerlichen Reise auf, um in Siddhartas indischer Heimat die Quellen des Buddhismus zu erforschen. Er beobachtete an so legendären Orten wie Turfan, Kaschgar oder Samarkand, was die Karawanen geladen hatten: Seide und Jade, Tee und Rhabarbarwurzeln wanderten auf dem Rücken der Kamele Richtung Westen, Lapislazuli und Elfenbein, Knoblauch und Rhizinusöl Richtung Osten. Aber die antike Seidenstraße war weit mehr als Transportweg für kostbare Güter von der südchinesischen Küste bis hin zum Mittelmeer. Sie funktionierte auch als eine intellektuelle Tauschbörse, Weltreligionen bahnten sich so ihren Weg, Kulturen befruchteten sich.

Erich Follath, geboren 1949, ist promovierter Politikwissenschaftler. Er war langjähriger Redakteur und Diplomatischer Korrespondent beim Nachrichtenmagazin "Spiegel". Follath ist Autor zahlreicher Bücher, sein neuestes Werk "Siddhartas letztes Geheimnis" ist kürzlich erschienen.

Xuanzang schaffte nach über 16 Jahren Wanderschaft mit dramatischen Erlebnissen auf 6.000 Meter hohen Bergpässen und in reißenden Flüssen, bedroht von Räubern, feindlichen "Barbaren"-Herrschern und mehr als einmal dem Tod nahe, unversehrt die Rückkehr. Als er mit seinen Schätzen in der damaligen chinesischen Hauptstadt Chang´an Einzug hielt, feierten die Gläubigen nach Aussagen von Zeitgenossen das größte Fest der buddhistischen Geschichte, aus dem einst Verfemten war ein Nationalheld geworden. Chang´an (das heutige Xian) hatte sich zu einer Multikulti-Metropole entwickelt. Die damals einzige Millionenstadt der Erde präsentierte sich weltoffen, mit Künstlervierteln und Märkten aller Art, tolerant gegenüber allen Religionen – eine Art mittelalterliches New York.

Wille zur Weltmacht

Im 14. Jahrhundert begann der Niedergang der historischen Seidenstraße, Verbrecher machten sie unsicher, der Handel über die Seewege gewann an Bedeutung. Aber auch beim folgenden Auf und Ab der Dynastien blieb China wirtschaftlich lange an der Spitze der Welt. Seine politischen Führer sahen dann im anhaltenden Abstieg, basierend auf der eigenen Arroganz wie der kolonialen Eroberungslust der Europäer, immer nur einen Betriebsunfall der Geschichte. Die Rückkehr zur Weltmacht Nummer eins: Nur eine Frage der Zeit.

Als Chinas Partei- und Staatschef Xi Jinping im September 2013 bei einem Staatsbesuch in Kasachstan die Neue Seidenstraße ins Spiel brachte, wurde der sonst so Nüchterne poetisch: "Wenn ich an die Glanzzeiten der Silk Road zurückdenke, dann kann ich das Echo der Kamelglocken hören, wie es von den Bergen hallt, sehe die Rauchschwaden der Feuer, die Händler nachts in der Wüste entfachen." Und dann erläuterte er seine Vision: Er wolle den Mythos wiederbeleben, die Handelsrouten von Ost nach West zu neuem Leben erwecken – und zwar in einem Ausmaß und mit einem Aufwand, wie es die Welt noch nie zuvor gesehen hat. Mehr als 60 Staaten sollen nach Xis Plänen an dem gigantischen Projekt beteiligt werden, gut die Hälfte der Menschheit. Mehr als 900 Milliarden Dollar will Peking für den Bau von Straßen und Eisenbahnschienen, Stromleitungen und Telekommunikationsnetze, Pipelines und Häfen investieren.

Zu dem weltumspannenden Vorhaben gehören neue Highways durch Zentralasien ebenso wie der Ausbau von Häfen in Griechenland, Tansania und Sri Lanka oder Strecken für Hochgeschwindigkeitszüge quer durch Ostafrika und Osteuropa. Zwei neue Eisenbahnstrecken führen auch nach Deutschland: von Zhengzhou nach Hamburg und von Chongqing nach Duisburg – verglichen mit dem Schiffsverkehr weitaus kostengünstigere und schnellere Transportwege für Elektronik und Autoteile.

Was will Xi Jinping?

In den vergangenen fünf Jahren ist Chinas Staatschef in kaum einer Rede ohne den Bezug auf "Yi dai Yi lu" (wörtlich: "ein Gürtel, eine Straße") ausgekommen, sein absolutes Lieblingsprojekt. Xi ist inzwischen Chinas Führer auf Lebenszeit. Er hat klargemacht, dass er sein politisches Vermächtnis mit dem Gelingen der Neuen Seidenstraße verknüpft. Nur – worum geht es Xi? Will er die nahen und weiten Nachbarn wirtschaftlich fördern, die Länder und Völker "zusammenbringen", wie es in der Parteipropaganda heißt? Brauchen Chinas Unternehmen die forcierte Globalisierung, um ihrer trotz Wachstumsraten von sechs Prozent ins Stottern geratenen Wirtschaft zu helfen, um neue Exportwege für die Überproduktion von Gütern zu schaffen? Ist die neue Seidenstraße ein wohltätiger fernöstlicher Marschall-Plan oder ein Welteroberungsprogramm, das China ökonomisch und politisch wieder zur Supermacht Nummer eins machen soll?

Ein Besuch in Kaschgar, der legendären Oasenstadt am Rande der Taklamakan-Wüste, weit im Westen der Volksrepublik China im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang gelegen, nur durch hohe Berge getrennt von Zentralasien und Pakistan, und viel näher zu Bagdad als zu Peking. Kaschgar gilt der Führung der Kommunistischen Partei als eines der Zentren der antiken Seidenstraße, es soll demnach auch ein Brennpunkt der neuen Seidenstraße werden.

Auf dem Sonntags-Viehmarkt Szenen wie aus dem Mittelalter. "Posch, posch, Platz da!", rufen die Männer auf ihren Pferdekarren. Staub wirbelt auf, ein einziges nervöses Wiehern, und Blöken, als spürten Pferde, Esel und Ziegen, dass sie nicht mehr lange angepflockt bleiben. Doch anders als noch vor ein paar Jahren spielt sich das Marktgeschehen jetzt draußen vor den Toren Kaschgars ab, die einst so romantische Altstadt ist abgerissen. Saniert, sagen die Chinesen, die hier alle wichtigen Ämter innehaben. Sinisiert, sagen die überwiegend muslimischen Einheimischen, die sich durch den Zuzug von so vielen Han-Chinesen überfremdet fühlen. Überall auf den breiten Highways und den Allerwelts-Hochhäusern sind Kameras installiert, Geheimdienstbeamte kontrollieren jedes Geschäft, suchen nach "Separatisten". Willkürliche Verhaftungen und die Überführung in "Umerziehungslager" sind an der Tagesordnung. Die "Autonome Region" Xinjiang gilt den Regierenden als Unruheherd.

Gewinner und Verlierer

Auf den Tischen der Parteifunktionäre liegen Machbarkeitsstudien für neue Schienenstränge Richtung Kirgisistan und Kasachstan, die über Hochgebirgspässe führen sollen, eine extreme technische Herausforderung, aber seit die Chinesen die Tibet-Bahn in mehr als 5.000 Meter Höhe gebaut haben, erscheint alles möglich. Viel weiter sind die Pläne für einen anderen Wirtschaftskorridor gediehen, der von Kaschgar aus bis ins pakistanische Gwadar führen soll, wo die Chinesen am Arabischen Meer Hafenanlagen aus dem Boden stampfen. Pakistans Erzfeind Indien sieht mit großem Misstrauen, was da in seiner Nachbarschaft vor sich geht, Neu-Delhi lehnt die "Neue Seidenstraße" ab. Auch die EU hält Distanz und klagt über fehlende Transparenz, die allein von Staatsbanken gelenkte Geldvergabe. Den Umstand, dass die Projekte fast vollständig von chinesischen Firmen und Arbeitern umgesetzt werden.

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Die Milliarden für Islamabad zeigen beispielhaft Vorteile wie Risiken, die Pekings Jahrhundert-Plan mit sich bringen. Manche der Baumaßnahmen hat die Weltbank schon als zu teuer und unrentabel abgelehnt, sie sind nur durch Chinas Engagement möglich. Und zweifellos werden die neu geschaffenen Handelswege die Lebensbedingungen verbessern. Aber sie machen das Empfängerland abhängig von seinem Geldgeber, Pakistan steckt in einer Schuldenfalle. Dass Xis weltumspannender Plan durchaus nicht nur altruistisch, sondern auch politisch-strategisch gemeint ist, zeigte sich kürzlich in Sri Lanka. Als die dortige Regierung die Kredite nicht mehr bedienen konnte, übernahmen die Chinesen kurzerhand den von ihnen ausgebauten Hafen Hambatota, sie werden ihn vielleicht bald für ihre Kriegsflotte nutzen. Ähnliches könnte den Pakistanern blühen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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