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Streit um Geld im Europarat: Putin gewinnen lassen, damit Putin nicht gewinnt


Streit um Geld im Europarat
Putin gewinnen lassen, damit Putin nicht gewinnt


Aktualisiert am 22.05.2019Lesedauer: 5 Min.
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Ist Russland in internationalen Organisationen "too big too fail"?Vergrößern des Bildes
Ist Russland in internationalen Organisationen "too big too fail"? (Quelle: Alexei Nikolsky/imago-images-bilder)

Der Europarat macht Russland Zugeständnisse, Russland bleibt Mitglied. Doch der Streit um Sanktionen und Geld hat Folgen, die bleiben werden.

Im Februar 2014 tauchten russische Soldaten auf der ukrainischen Krim auf. Wenig später, nach einem Referendum in Gegenwart von bewaffneten Kämpfern, beansprucht Russland die Halbinsel für sich. Wenig später rückten russische Truppen in den Osten der Ukraine ein. Russland begann einen Krieg. Russland annektierte Land. Russland verschob Grenzen. Damals demonstrierte die Regierung Wladimir Putins, dass sie internationale Regeln nicht achtet.

Der Europarat wurde 1949 gegründet, um mehr Regeln in die Welt zu bringen. Er sollte dazu beitragen, Hass und Krieg durch Austausch und Regeln zu ersetzen, er sollte Menschenrechte in Europa schützen. "Der Europarat hat die Aufgabe, einen engeren Zusammenschluss unter seinen Mitgliedern zu verwirklichen", heißt es in Artikel 1 der Satzung. Er verbindet 47 Staaten, von Portugal bis Bosnien, von Island bis Aserbaidschan. Russland ist auch dabei – bald wohl wieder mit vollen Rechten.

Der Bruch ist abgewendet, der Schaden bleibt

Bis zum vergangenen Freitag noch drohte der Bruch, weil der Europarat die Krim-Annexion 2014 verurteilt hat, weil seine Parlamentarische Versammlung, in der sich Abgesandte aus den nationalen Parlamenten austauschen, den russischen Abgeordneten das Stimmrecht entzogen hat. Weil die russische Regierung daraufhin ihre Mitgliedsbeiträge eingefroren hat. Und weil Russland deswegen aus dem Europarat hätte geworfen werden können.

Das zumindest scheint abgewendet: Am vergangenen Freitag stimmten die Außenminister der Mitgliedstaaten in Helsinki mehrheitlich dafür, Russland wieder sein Stimmrecht zu gewähren und sogar die Abläufe zu ändern, damit solche Sanktionen gegen Staaten erschwert werden. Damit könnte Russland wieder dazu übergehen, seine Beiträge zu überweisen. Die Parlamentarische Versammlung muss dem allerdings noch zustimmen.

Selbst wenn es so kommt, sind nicht alle Wunden geheilt. Die russische Regierung hat seit der Krim-Annexion eine Situation herbeigeführt, in der Putin immer gewinnt und der Europarat nie. Einige werden enttäuscht sein. Eine Verstimmtheit wird bleiben.

Ein Scheitern des Europarats wäre ein Sieg Putins

Da ist einerseits die große, alles überwölbende Prinzipienfrage. Zu den größten Errungenschaften des Europarats gehört die Abschaffung der Todesstrafe auf seinem Gebiet. Seine Venedig-Kommission ist die wichtigste Instanz, wenn es darum geht, Rechtsstaatsverstöße zu ächten. Seine Menschenrechtserklärung und der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg ist ein Meilenstein der internationalen Justiz. Seine Menschenrechtserklärung garantiert auch Menschen in Diktaturen Rechte.

Am Scheitern hat vor allem Russland ein Interesse

All das hilft Menschenrechtlern enorm, gerade in Staaten wie Russland. Außerdem gibt es nicht viele Foren, auf denen sich Russland mit anderen europäischen Staaten formalisiert austauscht. Deshalb wollte auch Deutschland Russland unbedingt im Europarat halten. Außenminister Heiko Maas sagte vor dem Treffen der Außenminister der Mitgliedstaaten am vergangenen Freitag in Helsinki: "Russland gehört in den Europarat." Denn ein Interesse an einer Schwächung des Europarats wie am Scheitern aller Institutionen hat vor allem: Russland. Es wäre ein Sieg Putins.

Um das zu vermeiden und um die Institution Europarat in ihrer aktuellen Form zu retten, lässt man Russland allerdings mit einer militärischen Invasion eines Nachbarstaats davonkommen. Man lässt Putin gewinnen, um ihn nicht gewinnen zu lassen. Man könnte auch sagen: Russland ist international "too big too fail". Zum Entsetzen nicht nur der Ukrainischen Regierung. Der frühere estnische Präsident Toomas Ilves rief andere Staaten dazu auf, aus Protest den Europarat zu verlassen.

Jugendarbeit ist in Gefahr

Da ist aber auch noch das vermeintlich Kleine – die Frage etwa, wie ernst es den Regierungen mit der organisierten internationalen Zusammenarbeit ist. Jenseits von Beschwörungen, wie sie von der Kanzlerin und Außenminister Heiko Maas ständig zu hören sind. Und die Frage, wer zuerst fallen gelassen wird, wenn es heikel wird.

An diesem Donnerstag treffen sich die Haushälter des Europarats, sie haben einen Notfallhaushalt für die kommenden Jahre im Gepäck, erarbeitet für den Fall, dass das russische Geld dauerhaft ausbleibt. In dem Fall müsste überall gekürzt werden. In einem internen Schreiben warnen die Haushaltsexperten vor dem "Risiko, langsamer auf bestehende oder neu entstehende Herausforderungen auf dem Feld der Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu reagieren."

Besonders hart träfe es dem Plan nach die Jugendförderung, auch die beiden Jugendzentren in Budapest und Straßburg. Der Posten soll ohne das russische Geld ganz aus dem regulären Haushalt verschwinden, die Finanzierung soll dann auf freiwillige Basis gestellt werden, sie würde unsicher und abhängiger von Launen der Staaten. Das Europäische Jugendforum als Zusammenschluss europäischer Jugendorganisationen teilte in einem Statement mit: "Es ist schockierend, dass junge Menschen zum 70. Jahrestag des Europarats für ihre Rechte kämpfen müssen, statt zu feiern". Es knirscht und knarzt in Europas ältester internationaler Organisation.

Chronisch unterfinanziert

Insgesamt fehlen laut Budgetplan 32 Millionen Euro über die nächsten drei Jahre. Nicht viel, aber genug, um dem Europarat massiv zu schaden, der ohnehin chronisch unterfinanziert ist. Weil sein Budget seit Jahren nicht einmal an die Inflation angepasst wird, hat er faktisch jedes Jahr ein bisschen weniger Geld zur Verfügung.

Die Haushaltsexperten des Europarats wünschen sich bescheiden "reales Nullwachstum" statt "nominales Nullwachstum" – also nicht einmal mehr Geld, nur einen Inflationsausgleich. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es dazu nur knapp: Eine Abkehr vom Prinzip des nominellen Nullwachstums werde Gegenstand von Verhandlungen sein.

Auch sonst ist die Bereitschaft zu zahlen gering. Andere Staaten hätten einspringen und den russischen Fehlbetrag ausgleichen können. Damit hätte man den finanziellen Druck und damit Russlands Einfluss mindern können. Das forderte etwa der Deutsche Bundesjugendring. Rechtlich wäre das kein Problem – doch Deutschland wollte nicht. Frankreich auch nicht. Großbritannien sowieso nicht, denn die konservative Regierungspartei dort hat sogar schon öffentlich erwogen, aus der Menschenrechtscharta auszusteigen. Selbst der Generalsekretär des Europarats, Thorbjørn Jagland, sprach sich dagegen aus. Niemand wollte.

Deutschland zahlt nicht für andere

Man habe, heißt es im Auswärtigen Amt, nur "bestimmte, von Kürzungen betroffene Arbeitsbereiche und Institutionen gezielt durch freiwillige, projektbezogene Zuwendungen" unterstützt. Doch Deutschland zahlt in internationalen Institutionen generell nicht für andere Staaten. Das ist langjährige Praxis. Andernfalls, so die Befürchtung, könnten auch andere Staaten beschließen, dass sie mit Zahlungsverweigerung durchkommen. Dauerhaft, so das Argument, könnten so internationale Organisationen zerfallen.


Daran hält die deutsche Regierung offensichtlich fest, auch wenn Russland ohnehin ein strategisches Interesse erkennen lässt, das organisierte Europa zu zerstören. Obwohl es Putins Regierung womöglich nicht so sehr darum geht, Geld zu sparen, sondern eher darum, die Weltordnung in Stücke zu schlagen. Fürs Erste bleibt der Europarat bestehen. Aber der Eindruck bleibt: Wenn es eng wird, wird zuerst an der Jugend gespart.

Verwendete Quellen
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