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Russland: Ohne Olaf Scholz könnte es kritisch werden


Russland im Angriffsmodus
Ohne Scholz könnte es kritisch werden

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

Aktualisiert am 20.02.2023Lesedauer: 3 Min.
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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Olaf Scholz: Der Kurs des Bundeskanzlers sei umsichtig, meint Chrsitoph Schwennicke.Vergrößern des Bildes
Olaf Scholz: Der Kurs des Bundeskanzlers sei umsichtig, meint Christoph Schwennicke. (Quelle: Chris Emil Janssen/imago-images-bilder)

Die Ukraine fordert immer mehr Waffen, dabei ist Bedachtsamkeit angesagt. So wie es Kanzler Olaf Scholz praktiziert – meint Christoph Schwennicke, der zugleich zur Habermas-Lektüre rät.

Zwischendurch gibt es sie ja glücklicherweise noch, die guten und wirklich weltbewegenden Nachrichten. So stand vergangene Woche auch hier zu lesen, dass der Penis weltweit wächst. Also, jetzt nicht individuell oder erektiv-situativ, sondern generell-strukturell, gewissermaßen der globale Gesamtpenis. Der Befund ist empirisch vermessen, noch ist die Wissenschaft aber dabei, den Grund zu erforschen.

Bei so viel Bewegung und Wachstum grundlegender globaler Kräfte können andere Dinge ins Hintertreffen geraten. Wie etwa der ebenfalls vergangene Woche in der "Süddeutschen Zeitung" erschienene Aufsatz von Jürgen Habermas zum Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Er hat Aufmerksamkeit erhalten, ja. Aber beileibe nicht die, die er verdient gehabt hätte.

Intellektueller Graben

Geständnis: In den zurückliegenden rund zehn Jahren habe ich beinahe jeden politischen Essay von Jürgen Habermas, bei allem Respekt vor einem der ganz großen Intellektuellen dieses Landes, mit einer Mischung aus Augenrollen und Kopfschütteln gelesen. Und mit zunehmendem Kopfweh. Purer Lesegenuss war Habermas noch nie.

Aber dieses Stück: Mit das Beste und Differenzierteste, das man nach einem Jahr dieses furchtbaren Krieges in deutschen Medien lesen konnte. Nicht alles neu und erstmalig gedacht. Aber nie so strukturiert und argumentativ präzise aneinandergekettelt. Wer diesen Text wegen seines Plädoyers für Verhandlungen (so auch die Überschrift) in geistiger Nachbarschaft zum plumpen Manifest von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht wähnt, liegt voll daneben. Zwischen diesen beiden Texten liegen Welten intellektuellen Scharfsinns.

Weil es bei solchen Texten unfair und entstellend ist, sie zu einem zerhackten Mix aus Zitaten zu zerkneten und mit eigener Meinung abzuschmecken, soll das nicht passieren. Bitte im Ganzen lesen, und gerne auch, stellvertretend für einige andere, die beiden Kommentare dazu in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ) von Christian Geyer und im "Spiegel" von Tobias Rapp.

Beide gehen angemessen kritisch und ernsthaft auf die argumentativ schütteren Stellen des Habermas’schen Gedankengebäudes ein, der eine etwas kritischer (Geyer), der andere etwas wohlwollender (Rapp), wobei man sich bei solchen Rezensionen nie ganz frei machen kann vom Soupçon, dass auch "FAZ" und "Spiegel" diesen Aufsatz ganz gerne exklusiv veröffentlicht hätten.

Viel Freude

Kein Zitaten-Hackepeter also. Eine Formulierung tönt aber doch nach im Kopf. "Das Schlafwandeln am Rande des Abgrunds" als "reale Gefahr". In einem lesenswerten Interview bei t-online hat der frühere Außenminister Sigmar Gabriel die gleiche Figur benutzt. Mit konkretem Bezug auf den Urheber, mit dem sich der Begriff des Schlafwandelns hinein in einen großen Krieg verbindet. Christopher Clarkes gleichnamiges und epochales Werk darüber, wie die Politik seinerzeit in den Ersten Weltkrieg driftete.

Beide, Habermas und Gabriel, finden wohlwollende und lobende Worte für das besonnene und entschlossene Agieren des deutschen Bundeskanzlers. Damit war man eine Zeit lang sehr alleine, weil diejenigen die Debattenhoheit hatten, die der Kurt Tucholsky der Gegenwart, Kurt Kister, in einer Art Beipackzettel zum Habermas-Essay in einem Seitenhieb der "neoheroischen Empfindsamkeit" zeiht. Nie zuvor ist Anton Hofreiter in nur zwei Worten kürzer und treffender beschrieben worden, ohne dabei seinen Namen zu nennen.

Um es gerade heraus zu sagen: Ich bin froh, dass Deutschland in dieser Zeit einen Bundeskanzler vom Temperament eines Olaf Scholz hat. Der sich nicht vom seltsamen Kriegsgeheul und dem Schneller-Höher-Weiter der Herzenshelden bei den Waffenlieferungen treiben lässt. Und dennoch entschlossen handelt und führt. Ich bin froh, dass diese Erkenntnis am Beispiel von Scholz’ Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz es sogar in die "Bild"-Zeitung geschafft hat.

Ich bin auch froh darüber, dass in den USA aktuell Joe Biden regiert und nicht Trump, in Frankreich Emmanuel Macron und nicht Frau Le Pen, in Großbritannien Rishi Sunak und nicht Boris Johnson. Froh bin ich zudem, dass Jens Stoltenberg weiter Nato-Generalsekretär bleibt. Bekanntlich wollte er eigentlich aufhören, als der Ukraine-Krieg begann, hat das dann nicht getan und nun nochmals verlängert. Gut so.

Gedankenloser Gang am Abgrund

Temperamente dieser Art braucht das westliche Bündnis gerade. Es wäre zu hoffen gewesen, dass der Machtwechsel in Brasilien (einem der "neutralen" Staaten in diesem Krieg) der Weltbühne einen weiteren vernunftbegabten Akteur beschert hätte. Leider löste dort, wie der Scholz-Besuch deutlich machte, nur ein linksextremer Wirrkopf einen rechtsradikalen Wirrkopf ab.

Es ist alles tatsächlich schlimm. Aber es könnte schlimmer sein, wenn an zentralen Stellen jetzt die falschen Leute säßen. Und es ist ein hoffnungsvolles Zeichen, dass die lautstarke Vormacht der neoheroisch Empfindsamen schwindet. Denn sie sind die, die gedankenlos am Abgrund wandeln.

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