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Rettet diese Frau Amerikas höchstes Gericht?


Neue US-Verfassungsrichterin Ketanji Brown Jackson
Die letzte Hoffnung der Demokraten

  • Bastian Brauns
Von Bastian Brauns, Washington

Aktualisiert am 01.10.2022Lesedauer: 5 Min.
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"So wahr mir Gott helfe": Ketanji Brown Jackson hat ihren Amtseid abgelegt. (Quelle: Anna Moneymaker/getty-images-bilder)

Für die Partei von US-Präsident Biden ist sie ein letzter Hoffnungsfunken. Ketanji Brown Jackson soll im Supreme Court Trumps Richter in Schach halten.

Putin hatte gerade die Annexion der ukrainischen Gebiete verkündet. Joe Biden kommt etwas zu spät in jenen Raum am Capitol Hill, in dem Politik eigentlich nichts zu suchen haben soll. Im Hauptsaal von Amerikas höchstem Gericht ist es an diesem Freitagmorgen totenstill. So will es die Zeremonie, die im Supreme Court gleich stattfinden wird.

Keine Fotos, keine Telefone und auch keine Smartwatches sind erlaubt. Nur ein Gerichtszeichner kritzelt schon flink an dem einzigen Bild, das diesen historischen Moment festhalten soll: Ketanji Brown Jackson wird als neue, von Joe Biden ernannte Richterin ihren Eid ablegen.

Die Amtseinführung der ersten schwarzen Frau als Verfassungsrichterin in der Geschichte des Landes ist eben dann doch so politisch, dass nicht nur der US-Präsident und seine Ehefrau, sondern auch Vizepräsidentin Kamala Harris und ihr Ehemann gekommen sind. Die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, und auch ihr republikanischer Amtsvorgänger Paul Ryan sind anwesend. Der politische Gegner ist allerdings aus rein familiären Gründen hier. Seine Schwägerin ist mit dem Schwager von Ketanji Brown Jackson verheiratet.

Ein überfälliger Schritt

Im Publikum sitzen deutlich mehr schwarze Amerikaner als bei früheren Amtseinführungen von Supreme-Court-Richtern. Auch das macht deutlich, wie überfällig das Wahlversprechen von Biden gewesen ist. Wenn er die Möglichkeit bekomme, sagte Biden damals im Wahlkampf, dann werde er erstmals eine schwarze Frau an den Supreme Court bringen. Jetzt ist es endlich so weit. Jackson nimmt Platz auf einem fast 200 Jahre alten, mit schwarzem Leder bezogenen Stuhl aus Holz.

In der 233-jährigen Geschichte des Gerichts waren von den bislang 116 auf Lebenszeit ernannten Richtern alle bis auf acht weiße Männer. Aktuell bekleiden immerhin drei Frauen das höchste Richteramt. Sonia Sotomayor, Elena Kagan und die von Donald Trump bestimmte Amy Coney Barrett.

Die vierte Frau von insgesamt neun Richtern wird nun Ketanji Brown Jackson. Sie lächelt, als auch sie den Saal betritt und vorbeigeht an ihren künftigen Kolleginnen und Kollegen, mit denen sie auch heftige Auseinandersetzungen haben wird. Freude, Aufregung und zugleich Erleichterung sind ihr anzumerken.

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Ein völlig politisiertes Gericht

Was wird sie ausrichten können an einem Gerichtshof, der in seiner wohl tiefsten Krise seit Bestehen steckt? Das Vertrauen in unabhängige Entscheidungen dieser wichtigen amerikanischen Institution ist laut regelmäßiger Umfragen an einem absoluten Tiefpunkt angekommen. Am Supreme Court, der schon rein definitionsgemäß unpolitisch sein müsste, ist auch Jackson am Ende eine politische Besetzung der derzeit liberalen Regierung in Washington. Was blieb ihr aus anderes übrig?

Jackson ist für viele Demokraten das letzte Fünkchen Hoffnung, am Supreme Court mit ihrer individuellen Meinung zumindest eine gewisse Öffentlichkeit und damit Aufmerksamkeit für eine liberale Rechtssprechung zu schaffen. Denn die Konservativen haben eine so deutliche Mehrheit auf der Richterbank wie seit Jahrzehnten nicht. Sechs den Republikanern nahestehende Richter können die drei verbliebenen liberalen einfach überstimmen. Wie konnte es so weit kommen?

Widerstreitende Rechtsauffassungen

Als Donald Trump das Weiße Haus verließ, hatte er geliefert. Im ganzen Land hat er es vermocht, mehr als 200 Richter an Bundesgerichten einzusetzen. Das sind fast so viele, wie sein Amtsvorgänger Barack Obama in acht Jahren ernannt hat. Dieses geschickte Vorgehen gehört wohl zu den am wenigsten beachteten, aber zugleich zu den klügsten Schachzügen des ehemaligen US-Präsidenten. Im vergangenen Jahr waren mehr als ein Viertel der amtierenden Bundesrichter von Trump ernannte Juristen. Biden versucht nachzulegen und hat inzwischen selbst 84 Bundesrichter ernannt.

Früh war Trump klar: Wer die Tendenz der Rechtsprechung der Gerichte in den USA mit vergebenen Richterposten beeinflussen kann, gewinnt am Ende auch gesetzgeberisch und damit politisch und damit Macht. Zuletzt wurde das bei den beschlagnahmten Dokumenten aus Mar-a-Lago deutlich. Eine von ihm einst eingesetzte Bundesrichterin war in der Lage, zumindest kurzzeitig die Ermittlungen des Justizministeriums gegen Trump zu verzögern.

Was ihm seine Wählerinnen und Wähler bis heute wohl am höchsten anrechnen, ist aber der größte konservative Erfolg seit Jahrzehnten. Wohl noch weit über die kommenden Wahlperioden hinaus werden die Republikaner an Amerikas höchstem Gericht, dem Supreme Court, eine komfortable Mehrheit von sechs zu drei Richtern haben.

Trump hatte das Glück und das Geschick, insgesamt drei Richterstellen mit Personen zu besetzen, welche die mehr als 200 Jahre alte amerikanische Verfassung deutlich konservativer und quasi wörtlich auslegen im Vergleich zu liberaleren Richtern.

Rückfall in längst vergangene Zeiten

Mit schwerwiegenden Folgen: Ob Waffenrechte, Abtreibungs- oder Antidiskriminierungsrechte, alles gerät derzeit ins Rutschen. Der Vorwurf der politischen Gegner lautet: Amerikas höchstes Gericht werde von Rechtsextremen als ideologische Waffe eingesetzt, die die Demokratie gefährdet, anstatt sie zu schützen.

Im Zusammenspiel mit extremen politischen Positionen, etwa aus den republikanisch regierten Bundesstaaten, würden Trump und seine Anhänger eine reaktionäre Wende schaffen, welche die Gesetzgebung der USA teils um Jahrzehnte zurückwerfen kann.

Wer die Mehrheit am Supreme Court hat, ist in den USA im Vergleich etwa zum deutschen Bundesverfassungsgericht umso entscheidender. Denn seit jeher gilt die Rechtsprechung am höchsten US-Gericht als politischer, auch weil die Verfassung Amerikas viel weniger detailliert die Gesetze regelt als etwa das deutsche Grundgesetz. Das heißt, die Richter haben einen viel größeren Spielraum, solange das Parlament keine eindeutigen Gesetze verabschiedet. Und das ist in dem notorisch gespaltenen Kongress eine ungleich schwerere Aufgabe als im Deutschen Bundestag.

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Der Kampf beginnt

Viele Schlachten werden ab kommenden Montag, dem Beginn der neuen Supreme-Court-Saison geschlagen werden. Es wird um Wahlrecht gehen, um die Rechte von Schwulen und Lesben oder um Zuschneiden von Wahlkreisen. Es werden Entscheidungen fallen, die den Wahlausgang der Präsidentschaftswahlen im Jahr 2024 maßgeblich mitbestimmen können. Ketanji Brown Jackson wird eine Stimme von neun sein. Wie laut sie diese vortragen wird, hängt auch von ihrem Stil ab.

An diesem Freitag schreitet sie die altehrwürdige Stuhlreihe ihrer Kolleginnen und Kollegen ab. Sie spricht ihren Amtseid und setzt sich auf den einzigen leeren Platz, ganz rechts außen. Keine Fotos. Kein Applaus. Keine Reaktionen. So will es die Tradition. Nur die Stifte auf dem Papier des Gerichtszeichners.

Es ist der Moment, in dem ihr Ehemann Patrick Jackson sich ganz weit zurücklehnt. Er streckt seinen rechten Arm aus, um die Schultern der beiden Töchter Talia und Leila zu berühren. Sie blicken einander in die Augen. Sie atmen tief durch. Was sie hier heute miterleben, ist einmalig, weil es erstmalig ist. Ihre Mutter schreibt jetzt Geschichte und spricht Recht für die Vereinigten Staaten von Amerika. Auf Lebenszeit.

Verwendete Quellen
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