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Julian Assange: Wie er es sich mit allen verscherzte


Whistleblower
Kompromisslos und egomanisch – Assange hat Ansehen verspielt

  • Gerhad Spörl
MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 15.04.2019Lesedauer: 7 Min.
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Julian Assange nach seiner Festnahme vergangene Woche: Er machte sich mit russischen Staatshackern gemein.Vergrößern des Bildes
Julian Assange nach seiner Festnahme vergangene Woche: Er machte sich mit russischen Staatshackern gemein. (Quelle: Victoria Jones/PA/ap-bilder)

Was passiert mit dem Mann, der Wikileaks gründete und geheimes Material veröffentlichte? Die Antwort ist nicht nur für Julian Assange entscheidend, sondern auch für die demokratische Öffentlichkeit.

Vor zwei Jahren heckten russische Diplomaten einen Plan aus, wie sie Julian Assange aus der ecuadorianischen Botschaft schleusen, in ein Flugzeug nach Moskau setzen und ihm Asyl gewähren könnten. Es scheint ihnen ernst gewesen zu sein. Sie gaben die Absicht nur deswegen auf, weil das Unternehmen einfach zu schwierig und zu gefährlich war.

Vor allem in Amerika setzte die bloße Überlegung, Assange nach Russland zu holen, die Fantasie frei. War das die Belohnung dafür, dass Assange die gehackten E-Mails von Hillary Clinton verbreitete, wofür ihm damals Donald Trump überschwänglich dankte ("I love Wikileaks")? Natürlich wusste Assange, woher das Material gekommen war. Trotzdem behauptete er, den Scoop hätte ihm ein Amerikaner namens Seth Rich verschafft, der für die Demokratische Partei gearbeitet habe und nicht etwa Putins Trolle. Passenderweise war Rich ermordet worden und konnte nicht widersprechen.

Ansehen und Kredit verspielt

Noch immer ist Assange eine Größe im digitalen Zeitalter, ein Anarchist, kompromisslos und egomanisch, in seinen Augen ein Vorkämpfer für Freiheit im Netz und ein Weltbürger, den die amerikanische Regierung unbedingt möglichst bald möglichst lange hinter Gitter bringen möchte. Auf Solidarität in den USA kann er allerdings nicht mehr bauen. "The Atlantic", das liberale Intelligenzblatt, schrieb nach seiner spektakulären Verhaftung in London, er sei wie Saddam Hussein aus einem Loch gezogen worden, verwahrlost und zerzaust: "Julian Assange got what he deserved" – "Er hat bekommen, was er verdient."

So ist das Echo in Amerikas linken Zirkeln, die ihm vor noch nicht allzu langer Zeit Bewunderung gezollt hatten. Das ist vorbei. Assange hat Ansehen und Kredit verspielt.

Anderswo fiel das Echo gemischter aus. Aus Moskau meldete sich Edward Snowden und warnte vor den Folgen einer Verurteilung für die Presse- und Meinungsfreiheit. In Amerika bekam Chelsea Manning Beugehaft, weil sie nicht bereit war, über ihre Verbindungen zu Assange noch einmal vor Gericht auszusagen.

Die digitalen Informanten

Assange, Snowden, Manning: Da kommen sie wieder zusammen, drei Menschen, die einiges auf sich nehmen, weil sie sich einer Sache verschrieben, die ihr Leben bestimmt. Sie tragen die Konsequenzen einer Entscheidung, die sie vor einiger Zeit fällten. Wir nennen sie Whistleblower, in Ermangelung eines besseren Wortes. Sie sind digitale Informanten aus einer Welt, in der es Geheimnisse gibt, die Regierungen und Geheimdienste und Diplomaten gerne für immer und ewig gehütet hätten. Deshalb waren und sind sie hinter den Dreien her und freuen sich über jeden, den sie ins Gefängnis werfen und vor Gericht stellen können.

Edward Snowden ist die Königsbeute. Er arbeitete zuerst für die CIA und dann für die Firma Booz Allen Hamilton, die einen Vertrag mit der NSA besaß. Dank ihm erfuhren wir über das globale Überwachungsprogramm der NSA, die mit Telekommunikationsfirmen und europäischen Regierungen zusammenarbeitete. Am 20. Mai 2013 flog Snowden, ohne seiner Familie oder Freunden Bescheid zu sagen, von Hawaii nach Hongkong, nahm Verbindung zu Glenn Greenwald und Laura Poitras auf und ließ sie in seinem Hotelzimmer das Material sichten.

Laura Poitras drehte einen vielfach preisgekrönten Film ("Citizenfour", das war Snowdens Codewort), an dem ich eine Szene typisch fand: Es trifft der "Guardian"-Reporter Ewan MacAskill in Hongkong ein, er ist skeptisch und fragt ihn, wer er eigentlich ist. Snowden antwortet ernst und linkisch: "My name ist Edward Joseph Snowden. I go by Ed."

Abhängig von größeren Mächten

Snowden wusste, was seine Flucht bedeutet: ein anderes, ein reduziertes Leben, ohne Aussicht auf Rückkehr nach Amerika, immer auf der Hut, abhängig von anderen, von größeren Mächten mit eigenen Interessen, die keine Rücksicht auf ihn nehmen werden, sobald ihnen danach ist, immer in der Angst, dass er irgendwann doch noch ausgeliefert werden könnte.


Er ist der Gentleman unter den digitalen Informanten. Keine Faxen, keine Extratouren, Demut und Bescheidenheit, auch wenn keiner von uns genau wissen kann, wie ihn die Jahre auf der Flucht verändert haben. Sein Asyl in Moskau reicht bis ins nächste Jahr. Dann wird er sehen, dann werden wir sehen, wie es mit ihm weiter geht. Er ist bald 36 Jahre alt. Nur 36.

Chelsea hieß noch Bradley Manning, als sie im Jahr 2009 im Irak zu einer Einheit der Armee stieß und geheime Informationen analysieren sollte. Worüber sie beim Lesen und beim Stöbern im Netz stolperte, verstörte sie so sehr, dass sie Kontakt zu Wikileaks aufnahm und 482.832 Armeeberichte aus dem Irak und aus Afghanistan zuspielte, dazu auch noch diplomatische Kabel, in denen die ansonsten in Formelsprache geübten Diplomaten in allem Freimut über Regierungen und Politiker herzogen. Aufklärung in riesigem Umfang.

Verraten von einer Internetbekanntschaft

Allerdings beging Manning den Fehler, dass sie einer Internetbekanntschaft namens Adrian Lamo erzählte, was sie heimlich kopierte und heimlich weitergab. Lamo verriet sie. Manning stand im Jahr 2010 vor einem Militärgericht und wurde zu 35 Jahren Haft verurteilt. Sieben davon hatte sie abgesessen und nannte sich nach einer Hormonbehandlung Chelsea, als Barack Obama sie kurz vor Ende seiner Amtszeit begnadigte.

Chelsea Manning ist mittlerweile 31 Jahre alt und lebt von Vorträgen. Anders als Snowden war sie dem neuen Leben nicht gewachsen, behielt nicht für sich, was sie trieb und flog auf. Paradoxerweise fand sie im Gefängnis zu sich und musste auch nicht 35 Jahre dort bleiben, weil ein verständnisvoller Präsident sie amnestierte, was ihm massive Kritik von den Rechten eintrug.

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Julian Assange wäre nicht weltberühmt geworden, wenn Edward Snowden und Chelsea Manning eine andere Entscheidung getroffen hätten. Als er im Jahr 2006 Wikileaks gründete, war er nur einer kleinen Gemeinde bekannt gewesen. Sobald er berühmt war, legte er sich ein abweisendes Verhalten zu und gab sich unnahbar. In der Öffentlichkeit lächelte er so gut wie nie. Die "Süddeutsche Zeitung" schrieb über ihn: "Gespräche mit ihm waren von einer beinharten Humorlosigkeit. Auch in seiner Arbeit gab es viele Gründe, ihn nicht leiden zu können."

Beweggründe sind eigentlich nebensächlich

Seine Arbeit fasste Assange anders auf als die deutschen und amerikanischen Journalisten, mit denen er sein Material teilte. Die sichteten die Dateien, überlegten lange, ob sie mit der Veröffentlichung Menschen in Gefahr brächten, waren skrupulös, wie es sich gehört. Er hingegen stellte ins Netz, was in seinen Händen war. Er neigte nicht dazu, schwierige Fragen zu stellen, auf die es nichts als komplizierte Antworten gibt. Ihm waren die Folgen der weltweiten Verbreitung egal. Was passierte, passierte. Was soll’s.

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In seinen besten Zeiten pilgerten Journalisten aus der ganzen Welt zu ihm und rissen sich um sein Material. Jetzt war er so berühmt, wie er es sein wollte. Das spricht nicht unbedingt gegen ihn, nur für das Ausmaß seines Geltungsdrangs. Aber auf solche moralisch grundierten Betrachtungen kommt es nicht an. Aus welchen Beweggründen digitale Informanten auftreten und ihr Ding machen, ist eigentlich nebensächlich.

Unsere Frage muss sein: Ist ihr Material wichtig genug, dass wir es unbedingt kennen sollten? Dient es der Wahrheitsfindung, indem es Geheimnisse von Regierungen und Geheimdiensten ans Tageslicht bringt? Wissen wir dann mehr über den Lauf der Dinge auf der Welt und hat es Konsequenzen?

Assange machte sich mit russischen Staatshackern gemein

Julian Assange geriet nicht wegen seiner Veröffentlichungen in Verruf. Er quartierte sich in der ecuadorianischen Botschaft ein, als zwei Schwedinnen ihn der Vergewaltigung bezichtigten und die schwedischen Behörden ihn vor Gericht stellen wollten. Dann machte er sich mit russischen Staatshackern gemein, die Wikileaks benutzen wollten, um Hillary Clinton zu schaden. Er stritt ab, er log, er behauptete, der tote Seth Rich sei der Informant gewesen. Das war übel genug.

Vor Kurzem verlor er auch noch den unverzichtbaren Gönner, das ist der Präsident Moreno mit dem schönen Vornamen Lenin. Über ihn stellte er Material ins Netz, das Moreno der Korruption bezichtigte. Natürlich wüsste man gerne, ob Assange so kompromisslos ist, dass er sich lieber selber schadet, als interessantes Material einfach liegen zu lassen. Egal. Moreno entzog ihm die Staatsbürgerschaft und beendete das Asyl in der Botschaft nach sieben Jahren.

Die Bilder vom weißbärtigen Assange mit dem V-Zeichen und dem Ruf "Britain must resist" werden sich ins Gedächtnis einbrennen. Da war er noch einmal, der Freiheit-im-Netz-Kämpfer in den Fängen seiner analogen Häscher. So schnell werden wir ihn nicht wiedersehen, sondern erst vor einem britischen Gericht, wenn es um seine Auslieferung geht.

Clinton-Mails sind nicht Teil der Anklage

Die schwedischen Behörden nehmen die Ermittlungen wieder auf. Die amerikanische Regierung bereitet eine Anklage vor. Sie beschränkt sich auf die Zusammenarbeit mit Chelsea Manning, worauf bis zu fünf Jahre Haft stehen. Wie zu erwarten steht nichts von der Verbreitung der gehackten Clinton-Mails in der Anklage, da sonst ja wieder Fragen nach dem Nutznießer im Weißen Haus und dessen Kontakten in Moskau aufgeworfen würden. Außerdem drängt Assanges Vater die australische Regierung, sie solle doch die Auslieferung seines Sohnes beantragen, dem es erkennbar schlecht gehe.

Das wird sich ziehen, da wird einige Zeit verstreichen. Britische Gerichte werden darüber entscheiden, welches Land ihn haben darf. Amerika hat wohl die besten Chancen und wird sich im Zeitalter Trumps nicht entgehen lassen, im Prozess einiges klarzustellen.


Nicht zufällig müssen wir Journalisten Repressalien befürchten, falls Assange irgendwann in Amerika verurteilt werden sollte, weil er seinem Geheimnislieferanten dabei half, digitale Spuren zu verwischen und Bradley/Chelsea Manning dazu ermunterte, noch mehr Dateien zu beschaffen. Beides tun investigative Kollegen gemeinhin, was denn sonst. Aber ihr Geschäft darf nicht kriminalisiert werden, denn darunter leiden nicht nur wir, sondern auch die demokratische Öffentlichkeit.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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