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Selenskyj bei Merz in Berlin: Vage Versprechen für Ukraine – reicht das?


Selenskyj in Berlin
"Was ist nun mit Taurus?"


28.05.2025 - 17:30 UhrLesedauer: 6 Min.
Ukrainischer Präsident Selenskyj in BerlinVergrößern des Bildes
Wolodymyr Selenskyj (l.) und Friedrich Merz: Deutschland und die Ukraine wollen gemeinsam weitreichende Waffen produzieren. (Quelle: Fabian Sommer/dpa/dpa-bilder)
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Wolodymyr Selenskyj besucht Friedrich Merz in Berlin. Es gibt viele gute Worte. Doch wie zufrieden der ukrainische Präsident wirklich nach Hause geht, bleibt ungewiss.

Manchmal, wenn alles ernst und aussichtslos erscheint, hilft ein bisschen Humor. Zumindest für den Augenblick. Es ist kurz nach halb zwei im Kanzleramt. Friedrich Merz und Wolodymyr Selenskyj sind vor die Presse getreten. Als der ukrainische Präsident zu reden beginnt, fasst sich der Kanzler an seinen Knopf im Ohr. Die Übersetzung funktioniert nicht. Merz packt Selenskyj am Arm, stoppt seine Rede und sagt: "German technology" – die berühmte deutsche Technik. Und dann lachen beide.

Es ist die Ausnahme an diesem Tag. Die Lage in der Ukraine ist bitterernst. Nur wenige Tage nach seinem Amtsantritt war Merz in Kiew, jetzt ist Selenskyj in Berlin, zum ersten Mal beim neuen Kanzler. Nur knapp drei Wochen liegen zwischen beiden Terminen, doch die Stimmung ist eine andere, deutlich mieser. Die zwischenzeitlichen Hoffnungen auf einen schnellen Waffenstillstand sind zerschlagen. Zerschlagen von Donald Trump und seinem Telefonat mit Moskau.

US-Präsident Trump will mit der Ukraine am liebsten gar nichts mehr zu tun haben, davon sind viele in Berlin überzeugt. Kremlchef Putin aber hat sein Interesse nicht verloren, im Gegenteil, er greift so stark an wie selten zuvor. Die Frage, die über Selenskyjs Berlin-Besuch steht, lautet deshalb: Wie ernst meint es Europa, wie ernst meint es Friedrich Merz mit seiner Unterstützung für die Ukraine? Die Antwort lautet: schwer zu sagen.

An Worten und Symbolen fehlt es nicht

Es ist nicht so, dass es an deutlichen Worten und Symbolen fehlen würde. Die sendet Friedrich Merz nun schon seit Wochen. In Litauen vergangene Woche etwa, an der Nato-Ostflanke, wo bald 5.000 deutsche Soldaten stationiert sein sollen, sagte er, von Russland gehe eine Bedrohung "für uns alle" aus. "Der Schutz von Vilnius ist der Schutz von Berlin." Es ist ein riesengroßes Versprechen.

Im finnischen Turku dann, Anfang der Woche, war wieder viel von Zusammenstehen und Geschlossenheit die Rede. Merz gestand ein, man habe sich wohl "auf eine längere Dauer" des Krieges einzustellen. Was in der Konsequenz bedeute, "dass wir unsere Anstrengungen eher noch verstärken müssen, damit die Ukraine sich verteidigen kann".

Auch jetzt, an diesem Mittwoch im Kanzleramt, ist das die Tonlage. "Unter großen Opfern", sagt Merz, verteidigten die Ukrainer "eben auch die Sicherheit Europas gegen den militanten Revisionismus Russlands". Sie verteidigten "ihr Leben, ihr Land und unsere gemeinsame Freiheit". Deutschland helfe, "so lange, wie es notwendig ist".

Nichts Genaues weiß man nicht

Das klingt gut. Wie aber diese Hilfe genau aussieht, darüber will die Bundesregierung am liebsten gar nicht mehr sprechen. Schon vor gut zwei Wochen hat Merz seinen Regierungssprecher Stefan Kornelius verkünden lassen, dass Schwarz-Rot nicht mehr über Details von Waffenlieferungen spreche.

Als Oppositionschef hatte Merz den damaligen Kanzler Olaf Scholz für zögerliche Informationspolitik scharf kritisiert, jetzt macht Merz sie zum Prinzip: Putin soll Informationen über Waffenlieferungen nicht einfach aus der Presse erfahren können. Strategische Ambiguität ist das Stichwort, das die Regierung Merz nun gerne verwendet.

Während Putin wohl im Zweifel seinen Geheimdienst für solche Informationen hat, macht das der Öffentlichkeit nun schwer, zu beurteilen, wie viel Deutschland wirklich tut. Denn auch an diesem Mittwoch bleibt Merz weitgehend dabei.

Nachdem er erst mal angekündigt hat, dass es Ende des Jahres deutsch-ukrainische Regierungskonsultationen geben solle, die wirtschaftliche Zusammenarbeit ausgebaut und auch die diplomatischen Bemühungen um einen Frieden fortgesetzt werden sollen, kommt Merz irgendwann zu den Waffenlieferungen. "Wir werden sie fortsetzen, und wir werden sie ausbauen", sagt Merz. So viel könne er sagen. Was objektiv gar nicht so viel ist, nicht mal eine Zahl in Euro und Cent nennt er.

Am Nachmittag veröffentlicht das Verteidigungsministerium zumindest ein paar mehr Details. Es soll weitere Luftverteidigungssysteme, Land- und Handwaffen sowie verschiedene Arten von Munition geben. Wie viel? Unklar. Nur dass das Paket insgesamt fünf Milliarden Euro kosten soll, wird offengelegt. Allerdings alles bezahlt mit Geld, das der Bundestag ohnehin schon bewilligt hat.

Video | Technik-Panne bei Selenskyj-Besuch in Berlin
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Quelle: t-online

Nur bei zwei Dingen wird Merz schon auf der Pressekonferenz konkret. Deutschland werde "einen beträchtlichen Teil" der Starlink-Abdeckung der Ukraine finanzieren, also die Satellitentechnologie für die Internetversorgung. Ein größerer Schritt scheint Merz' zweite Ankündigung zu sein, auch wenn unklar ist, wie groß wirklich.

Deutschland und die Ukraine wollen gemeinsam "weitreichende Waffensysteme" produzieren, verkündet der Kanzler. Es soll um Finanzierung und auch Zusammenarbeit auf industrieller Ebene gehen, die in der Ukraine, aber auch in Deutschland stattfinden könne. Offenbar eine Art Joint Venture.

Nähere Details will Merz dazu aber auch nicht nennen. Selenskyj erklärt immerhin, es gehe um Projekte, die schon liefen. Aus dem deutschen Verteidigungsministerium heißt es am Nachmittag, die ersten dieser Systeme könnten schon "in wenigen Wochen" zum Einsatz kommen. Noch dieses Jahr könne eine "erhebliche Stückzahl" produziert werden.

Schrödingers Waffen-Wende

Für die weitreichenden Waffen, sagt Merz dann noch, solle es keine Reichweitenbeschränkung geben. Und damit löst diese Ankündigung zumindest ein weiteres Ukraine-Rätsel aus dieser Woche auf: Schrödingers Waffen-Wende, frei nach Schrödingers Katze, die gleichzeitig da und nicht da ist.

Friedrich Merz hatte am Montag auf einem Podium gesagt, es gebe "keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen", auch aus Deutschland nicht. Die Ukraine könne "jetzt" also auch militärische Stellungen in Russland angreifen. Das wurde gemeinhin als Bruch mit einem zentralen Prinzip der Ukraine-Politik von Olaf Scholz interpretiert.

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Scholz nämlich hatte bis auf eine Ausnahme in Charkiw stets betont, die Ukraine dürfe mit deutschen Waffen nicht auf russisches Territorium schießen. Noch im November, als die USA der Ukraine gerade erlaubt hatten, die ATACMS-Raketen gegen Ziele in Russland einzusetzen, sagte Scholz: "Ich bin dagegen, dass wir das in gleicher Weise machen."

Welche Waffen man liefere und was damit gemacht werden könne, sagte Scholz, müsse man immer selbst verantworten. Die Überschriften lauteten: "Scholz will Reichweitenbegrenzung von Waffen nicht aufheben".

Die Wende, die keine sein soll

Friedrich Merz aber behauptete in dieser Woche wenig später, er habe nur wiedergegeben, was ohnehin Praxis sei. Die Beschränkungen gebe es schon länger nicht mehr. Was die Verwirrung eher vergrößerte als verkleinerte.

Jetzt, nach diesem Mittwoch, ist zumindest klar, warum Merz überhaupt auf die Sache mit den Reichweiten gekommen ist: Weil es für die gemeinsam produzierten weitreichenden Waffen entscheidend ist. Viel entscheidender als für die bislang gelieferten deutschen Waffen, die am ehesten hinter die Grenze feuern können: der Raketenwerfer Mars II mit 85 Kilometern und die Panzerhaubitze 2000 mit 35 Kilometern.

Für die Sache mit der Waffen-Wende gibt es derweil zwei denkbare Erklärungen: Möglich, dass sich Scholz irgendwann von seiner strikten Linie verabschiedet hat, ohne das ausführlich öffentlich zu machen. Aus demselben Grund, aus dem er damit lange betont zögerlich war: um Putin nicht zu provozieren. Möglich aber auch, dass Merz die Wende jetzt kleiner erscheinen lassen will, als sie eigentlich ist. Aus demselben Grund: Putin.

"Was ist nun mit Taurus?"

In der Sache bleibt es dabei, die Beschränkungen sind nun Geschichte, ob seit Tagen, Wochen oder Monaten. Mehr als die Vergangenheitsbewältigung dürfte Merz’ Gast Selenskyj ohnehin interessieren, was die Zukunft bringt. Und das ist offenbar auf absehbare Zeit eben nicht der berühmt-berüchtigte Marschflugkörper Taurus, den sich die Ukrainer schon lange von Deutschland wünschen.

Das wird an diesem Mittwoch schon bei der ersten Nachfrage klar. "Was ist nun mit Taurus?", fragt eine ukrainische Journalistin. In der Opposition habe er sich doch so für eine Lieferung eingesetzt. Merz lächelt schon, als die Frage gestellt wird. Er hat sie wohl erwartet, beantwortet sie dann aber nicht. Stattdessen weist er noch mal auf den Plan hin, gemeinsam weitreichende Waffen zu produzieren.

Wolodymyr Selenskyj, der auch an diesem Tag wieder betont dankbar für die deutsche Unterstützung ist, wird da deutlicher. Als er später gefragt wird, ob er trotz der nun gemeinsamen Produktion noch weitreichende Waffen aus dem Ausland braucht, sagt er: "Natürlich, wir brauchen diese Waffen."

Es ist schwer zu sagen, ob Wolodymyr Selenskyj trotzdem zufrieden ist mit dem, was er aus Berlin mit nach Kiew nimmt. Weniger schwer zu sagen ist: Merz wird die Frage, ob Deutschland wirklich genug tut, so schnell nicht loswerden. Genau wie die Frage nach dem Taurus.

Verwendete Quellen

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