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Ukraine-Krieg: Was bedeutet Merz' Änderung der Waffenreichweite?


Friedrich Merz
Das wäre eine bemerkenswerte Wende


26.05.2025 - 19:07 UhrLesedauer: 4 Min.
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Im Video: Merz kündigt ein Umdenken im Umgang mit Waffenlieferungen für die Ukraine an. (Quelle: reuters)
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Friedrich Merz verkündet, die Ukraine dürfe mit deutschen Waffen nun auch auf Militärziele in Russland feuern. Es wäre ein bemerkenswerte Wende.

Friedrich Merz schaut ernst drein. Der Bundeskanzler sitzt auf der Bühne des WDR-Europaforums, es geht um die Ukraine und die erneute Eskalation des Krieges am Wochenende. "Offensichtlich versteht Putin Gesprächsangebote als Schwäche", sagt Merz. Man habe jedenfalls "alles getan, was möglich war, um mit Putin und Russland ins Gespräch zu kommen", bis auf "die weiße Fahne zu hissen, aufzugeben und das Land Russland zu überlassen". Zu allem Unglück nur leider: "Bisher erfolglos."

Was also jetzt? Wird Deutschland, will der Moderator wissen, die Ukraine nun qualitativ noch mal anders unterstützen?

Man werde "alles tun, was in unseren Kräften steht", verspricht Merz. Und dann verkündet der Kanzler etwas, das mit einem wichtigen Prinzip der Ukraine-Politik seines Vorgängers Olaf Scholz brechen würde. "Es gibt keinerlei Reichweitenbeschränkungen mehr für Waffen, die an die Ukraine geliefert worden sind", sagt Merz. "Weder von den Briten noch von den Franzosen, noch von uns, von den Amerikanern auch nicht."

Das heiße also, sagt Merz: "Die Ukraine kann sich jetzt auch verteidigen, indem sie zum Beispiel militärische Stellungen in Russland angreift." Das habe sie bis vor einiger Zeit nicht gekonnt. Jetzt könne sie es.

Wenn der Kanzler wirklich meint, was er da sagt, dann ist es ein Paradigmenwechsel, den er im Vorbeigehen verkündet. Selbst Merz’ sozialdemokratischer Koalitionspartner schien von der Ankündigung am Montag überrumpelt zu sein.

Welche Folgen könnte Merz' Waffen-Wende für die Ukraine haben? Und bereitet der deutsche Kanzler gar die Lieferung einer ganz neuen Waffe vor, über dessen Schlagkraft und Reichweite hierzulande so viel diskutiert wurde wie über keine andere – den Marschflugkörper Taurus?

Scholz und die deutsche Sonderregel

Bisher war es so: Die Ampelregierung hatte deutsche Waffen nach eigenen Aussagen in der Regel unter der Bedingung geliefert, dass die Ukraine damit keine Ziele auf russischem Gebiet angreift – obwohl das Völkerrecht es ausdrücklich erlaubt, dass ein angegriffener Staat auch militärische Ziele auf dem Gebiet des Angreifers bekämpfen darf. Doch der frühere Kanzler Olaf Scholz (SPD) glaubte, mit der Begrenzung eine Ausweitung des Krieges verhindern zu können, indem Putin nicht zusätzlich provoziert würde.

Es gab eine Ausnahme: Ende Mai 2024 gab Scholz den Ukrainern die Erlaubnis, deutsche Waffen auch auf Ziele in der russischen Grenzregion Belgorod einzusetzen. Die Freigabe galt allerdings nur für einen kleinen Streifen hinter der Grenze, von wo aus die russische Armee die ukrainische Grenzstadt Charkiw beschossen hatte. Für alle anderen russischen Regionen galt weiterhin die Reichweitenbeschränkung für Waffen aus Deutschland.

Zuletzt flammte die Diskussion um eine Freigabe im vergangenen November auf. Damals hatten die USA der Ukraine erlaubt, US-Raketen vom Typ ATACMS mit einer Reichweite von 300 Kilometern auch gegen Ziele in Russland einzusetzen – als Reaktion auf den Einsatz nordkoreanischer Soldaten durch Moskau. Auch Frankreich und Großbritannien hatten damals Kiew erlaubt, die von ihnen gelieferten Marschflugkörper auf russischem Territorium einzusetzen.

Möglich, dass Merz mit seiner Aussage beim WDR-Europaforum auf diese Wende des Westens anspielt. Allerdings blieb Scholz damals hart, anders als Frankreich, Großbritannien und die USA. Er bestand weiterhin auf die deutsche Sonderregel – kein Feuern mit deutschen Waffen auf russisches Gebiet.

Welche Waffen Merz meinen könnte

Nun soll es diese Reichweitenbeschränkungen nach Aussagen von Merz nicht mehr geben, auch nicht für deutsche Waffen. Doch welche kommen überhaupt für einen Einsatz auf russischem Gebiet infrage?

Laut dem Militärexperten und Politikberater Nico Lange könnte Merz vor allem zwei deutsche Systeme gemeint haben: die Panzerhaubitze 2000, die mit 155-Millimeter-Geschossen eine Reichweite von über 50 Kilometer erzielt; und den Mehrfachraketenwerfer Mars II, der bis zu 84 Kilometer weit schießen kann. Deutschland hat der Ukraine laut eigenen Angaben 25 Panzerhaubitzen und fünf Mars-II-Raketenwerfer geliefert.

Zunächst kaum Folgen für das Schlachtfeld

Lange verweist jedoch auf den akuten Munitionsmangel der Ukrainer und gibt zu bedenken: "Merz' Ankündigung ändert faktisch nur dann etwas, wenn Deutschland der Ukraine auch die entsprechende Munition mit hoher Reichweite liefert." Beim Mars-II-System sei die Munition besonders rar, nur die USA liefere derzeit noch Nachschub.

Auch könne die Panzerhaubitze ohnehin nicht in russisches Hinterland schießen, da das Gerät in Frontnähe zu leicht entdeckt und von den Russen abgeschossen werden könnte, so Lange. Mit anderen Worten: Merz' Ankündigung wird zunächst kaum praktische Folgen für die Ukraine haben.

Merz und die "long range fires"

Wenn es um die Reichweite von Waffensystemen geht, ist in Deutschland die Diskussion um den Taurus nicht weit. Bis zu 500 Kilometer kann der Marschflugkörper fliegen und damit deutlich weiter als das, was die Ukraine bisher an westlichen Waffen hat. Olaf Scholz hat sich in der Ampelregierung immer dagegen gesperrt, den Taurus zu liefern, um nicht zu einer weiteren Eskalation beizutragen, so jedenfalls das Argument.

Friedrich Merz zeigte sich hingegen als Oppositionsführer offen für eine Lieferung – in Absprache mit den westlichen Partnern. Als Kanzler aber will er nun nicht mehr über einzelne Waffensysteme sprechen und begründet das mit der sogenannten "strategischen Ambiguität": Putin soll nicht so genau wissen, was der Westen plant.

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Vor zwei Wochen ließ Merz seinen Regierungssprecher Stefan Kornelius trotzdem auf die Frage nach einer Taurus-Lieferung verkünden, dass die deutsche Unterstützung der Ukraine "auch das Thema long range fires, also Marschflugkörper mit einer gewissen Reichweite betrifft". Es würden "Entscheidungen in den nächsten Tagen getroffen und vorbereitet".

Pistorius dementiert Taurus-Lieferung

Seit dieser Ankündigung aber ist nichts passiert, zumindest nicht öffentlich. Ob mit ihr der Taurus gemeint war, ist mindestens fraglich. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) verneinte das in einem Interview mit der "FAZ" am Wochenende jedenfalls explizit.

Eine denkbare, aber unwahrscheinliche Alternative wäre, dass Deutschland ein Langstreckenwaffenprogramm der Ukraine mitfinanziert. Oder aber der Westen macht wieder einen Ringtausch: Deutschland könnte Briten und Franzosen mit deutschen Taurus-Lenkwaffen ausstatten, damit sie im Gegenzug Kiew mit weiteren Storm Shadow und Scalp ausstatten – die Typen Marschflugkörper, die sie der Ukraine schon geliefert haben.

Möglich, dass schon dieser Mittwoch etwas Licht ins Dunkel bringt. Dann nämlich kommt dem "Spiegel" zufolge der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj nach Deutschland und wird von Präsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Friedrich Merz empfangen. Eine gute Gelegenheit, um Selenskyj neben guten Worten auch neue handfeste Unterstützung mitzugeben.

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