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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Plagiatsjäger Heidingsfelder "Ich habe von der Habeck-Veröffentlichung abgeraten"

Der umstrittene Plagiatsjäger Stefan Weber erhebt Vorwürfe gegen Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck. Was hält ein anderer Experte davon?
Als Plagiatsjäger Martin Heidingsfelder am Sonntagnachmittag eine Nachricht von Plagiatsjäger Stefan Weber erhielt, wusste er: Das wird heikel.
Dass es um die Doktorarbeit des Grünen-Kanzlerkandidaten Robert Habeck aus dem Jahr 2001 ging, erwähnte Weber darin zwar nicht, aber Heidingsfelder hatte bereits von möglichen Plagiatsvorwürfen gehört. Inzwischen hat die Universität Hamburg nach einer ersten Prüfung der Arbeit erklärt, Habeck habe weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gegen die Standards der guten wissenschaftlichen Praxis verstoßen.
Martin Heidingsfelder spricht im Interview mit t-online darüber, was er von den Vorwürfen hält und was ihn an der Veröffentlichung von Weber stört.
Herr Heidingsfelder, wann haben Sie davon erfahren, dass sich Ihr Kollege mit der Doktorarbeit von Robert Habeck befasst?
Martin Heidingsfelder: Ich wusste seit Ende Januar, dass da etwas im Gange ist. In unserer Branche steht man untereinander im Austausch. Am Sonntag schickte mir Weber eine Nachricht mit der Bitte, am Morgen seinen Blog zu lesen. Manchmal schicken wir uns Untersuchungen auch vorab, um den anderen darauf schauen zu lassen.
Inzwischen haben Sie auf die Untersuchung geschaut. Was sagen Sie?
Für mich als Fachmann sind einige der Funde von Stefan Weber besonders interessant. Man sieht, dass er und sein Team enorm viel Zeit und Aufwand investiert haben. Sie sind sehr tief in die Recherche eingestiegen, haben umfangreich Originalquellen überprüft und zeigen in mehreren Fällen plausibel, dass Habeck das wohl nicht immer selbst getan hat.
Das ist der Vorwurf?
Weber weist nach, dass es in der Doktorarbeit einige Stellen gibt, an denen Habeck Zitate aus Büchern angibt, die er offenbar selbst nicht vorliegen hatte. Da geht es manchmal um Bücher, die man in irgendeiner Bibliothek oder einem Archiv findet und nur mit Handschuhen anfassen darf. Das ist Aufwand und war es vor 25 Jahren noch mehr, weil die Digitalisierung da auch noch nicht so weit war. Wenn man sich dann auf Sekundärliteratur bezieht, die das Original zitiert, dann sollte man das aber deutlich machen. Dann sollte man schreiben, dass man das Zitat "nach XY" wiedergibt, also dem Autor, der es selbst schon zitiert.
Wie deckt man solche Fälle auf?
Durch intensive Lektüre und den Vergleich mit Originalquellen. Man muss sich sowohl die Primär- als auch die Sekundärliteratur besorgen und nach den zitierten Passagen suchen. Wenn ein Autor ein Zitat übernimmt, das nicht korrekt ist, und exakt derselbe Fehler in der Sekundärquelle auftaucht, ist das verdächtig. Oder wenn sich im Original ein Fehler findet, der in der vorliegenden Dissertation und in der Sekundärliteratur nicht übernommen wird. Das sind klare Hinweise darauf, dass sich der Verfasser nicht direkt auf die Originalquelle gestützt hat. Weber hat solche Muster in Habecks Dissertation nachgewiesen.
Hat sich an den wissenschaftlichen Regeln etwas geändert? Die Universität verweist auf veränderte Zitierstandards.
Das ist kein überzeugendes Argument. Zwar gibt es fachspezifische Unterschiede bei den Zitierregeln, aber sie ändern sich kaum. Eine grundlegende Regel bleibt immer gleich: Was von anderen kommt, muss dann auch so gekennzeichnet sein.
Wie gravierend ist das in diesem Fall?
In die Doktorarbeit hat Habeck garantiert sehr viel Aufwand und Zeit gesteckt. Er hat mit den Quellen nicht ganz sauber gearbeitet, da ist er nicht unbescholten. Er ist aber wirklich kein Freiherr zu Guttenberg.
Der damalige Verteidigungsminister Karl Friedrich zu Guttenberg verlor 2011 seinen Doktortitel wegen einer Plagiatsaffäre und trat zurück. Sie erwarten nicht, dass das in diesem Fall auch so enden könnte?
Das halte ich für äußerst unwahrscheinlich, wenn man den Fall mit anderen vergleicht. Ein Problem bleibt aber die Glaubwürdigkeit der Wissenschaft insgesamt.
Inwiefern?
Gravierende Plagiate sind selten. Doch es gibt Fälle, in denen Universitäten sich hinter Prominente stellen und den Doktortitel trotz klarer Plagiatsnachweise nicht aberkennen. Beispiele sind für mich Frank-Walter Steinmeier, Ursula von der Leyen oder der CDU-Europaabgeordnete Sven Simon. In letzterem Fall hat der Präsident der Universität Gießen eine bereits beschlossene Aberkennung des Titels durch den Promotionsausschuss wieder rückgängig gemacht.
Egal, wie eine Universität entscheidet – ist das Verfahren für Außenstehende überhaupt durchschaubar?
Nein, denn es gibt keine transparente Dokumentation. Und schon vor einer Entscheidung sind die Vorwürfe schwer einzuordnen. Das ist auch in diesem Fall problematisch: Die Öffentlichkeit erfährt von den Plagiatsvorwürfen, kann sie auf Webers Blog nachlesen – aber sie kann deren Bedeutung kaum bewerten.
Sie haben Herrn Weber deshalb von der Veröffentlichung abgeraten?
Ich habe ihm geschrieben, dass man als Österreicher zu bestimmten Themen zu bestimmten Zeitpunkten besser schweigt. Solche Recherchen kann man etwa drei Monate vor einer Wahl veröffentlichen – aber nicht zwei Wochen davor, wie er es getan hat. Deshalb habe ich ihm ausdrücklich per WhatsApp davon abgeraten.
Ist das ein Muster bei ihm?
Weber hat ähnlich kurz vor der Thüringer Landtagswahl Plagiatsvorwürfe gegen den CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt veröffentlicht und auch vor der US-Präsidentschaftswahl gegen Kamala Harris. Das ist nicht verboten. Und wenn solche Enthüllungen unmittelbar vor Wahlen publik gemacht werden, erzeugt das maximale Aufmerksamkeit. Das ist aber dann für die Demokratie nicht gut, weil solche Vorwürfe in der kurzen Zeit weder völlig entkräftet noch bestätigt werden können.
Der Beitrag erschien zunächst auf Webers Blog, doch das rechtspopulistische Portal "Nius" von Julian Reichelt hatte zuvor bereits Fragen zu Habecks Dissertation verschickt und später geschrieben, das Gutachten exklusiv zu haben. Was sagt das über den möglichen Auftraggeber aus?
Ob "Nius" der Auftraggeber war, kann ich nicht sagen. Ich habe Weber lediglich darauf hingewiesen, dass meinen Informationen zufolge ein "rechter Hetzjournalist" gegen Mittag eine Veröffentlichung zu Habeck plant.
Vielen Dank für das Gespräch.
- Telefonat mit Martin Heidingsfelder