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Zum journalistischen Leitbild von t-online.AfD im Umfragehoch "Da wurde jede Grenze bereits überschritten"

Oft wird über AfD-Wähler geredet, aber nicht mit ihnen. Das wollte die Buchautorin Sally Lisa Starken ändern und hat mit zahlreichen Parteianhängern gesprochen. Was sie herausgefunden hat.
Die AfD steht kurz vor der Bundestagswahl stabil bei einem Wert um die 20 Prozent, im Vergleich zur vergangenen Bundestagswahl kann die Partei ihr Ergebnis vermutlich ungefähr verdoppeln. Bei den ostdeutschen Landtagswahlen im vergangenen Jahr war die Partei noch deutlich stärker.
Warum wählen so viele Menschen die AfD? Das hat sich die Journalistin Sally Lisa Starken gefragt und sich im Vorfeld der Landtagswahl auf die Suche nach Wählern gemacht – um mit ihnen zu sprechen und nachzuvollziehen, was die Menschen umtreibt. Daraus ist das Buch "Zu Besuch am rechten Rand" entstanden. Im t-online-Interview erklärt sie, warum sie von den Menschen überrascht war und weshalb sie glaubt, dass die Wähler zu anderen Parteien zurückkehren könnten.
t-online: Frau Starken, Sie haben mit zahlreichen AfD-Wählern und -Sympathisanten gesprochen. Was war die überraschendste Erkenntnis?
Sally Lisa Starken: Meine größte Sorge war, dass es schwierig werden könnte, mit den Menschen gut ins Gespräch zu kommen. Häufig, wenn wir über AfD-Wählerinnen und -Wähler sprechen, reden wir nur über sie – und nicht mit ihnen. Deswegen wollte ich Gespräche auf Augenhöhe führen. Und ich war überrascht, wie gut das möglich war. Die Stimmung war überall sehr politisiert, und alle waren emotional sehr zugänglich.
Was hat Sie inhaltlich überrascht?
Ich habe zum Beispiel mit einer Frau auf dem Görlitzer Marktplatz gesprochen, die ungefähr in meinem Alter war und von der ich dachte: Das könnte auch ich sein. Nach dem Gespräch mit ihr, anderen AfD-Wählerinnen sowie Expertinnen und Experten habe ich festgestellt: Frauen wählen die AfD oft aus einem Gefühl der Unsicherheit heraus – sie haben Angst vor einem staatlichen Kontrollverlust beim Thema Migration, wirtschaftliche Zukunftsängste, fürchten um ihre individuelle Sicherheit. Die AfD spricht sie mit einem traditionellen Frauenbild an, das Schutz und Stabilität verspricht, während die Partei gleichzeitig frauenfeindliche Narrative bedient und Geschlechtergerechtigkeit ablehnt. Einen solchen Zwiespalt habe ich auch bei Menschen mit Migrationshintergrund erlebt.

Zur Person
Sally Lisa Starken ist Journalistin und will Politik für die breite Masse verständlich erklären. Die 34-Jährige hat einen Newsletter und einen Podcast namens "Die Informantin". Ihr Buch "Zu Besuch am rechten Rand" ist am 19. Februar erschienen.
Inwiefern?
Dort habe ich erst gemerkt, dass AfD-Sympathisantinnen und -Sympathisanten mit Migrationshintergrund auch rassistisch sein können. Sie unterscheiden zwischen sich, die schon länger in Deutschland leben, und denen, die neu dazugekommen sind. Und durch zusätzliche Gespräche mit Expertinnen und Experten habe ich verstanden, dass es im AfD-Lager eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gibt, die sich nicht nur auf einzelne Personen bezieht. Für sie ist es einfach, zu sagen: Diese Gruppe von Menschen soll Deutschland verlassen. Aber sie selbst oder ihre Nachbarn, Personen, die man persönlich kennt, sind davon oft nicht betroffen.
Was für Menschen haben Sie denn auf Ihrer Reise erlebt?
Auf den AfD-Veranstaltungen gab es eigentlich oft eine bunte Mischung. Da waren Menschen mit eindeutigen rechtsextremen Erkennungszeichen, daneben begeisterte Anhänger der Jungen Alternative und direkt daneben Familien mit kleinen Kindern. Dieser Kontrast war krass: Während Björn Höcke die schlimmsten Dinge von der Bühne gerufen hat, gab es nebenan Stände, an denen Kinder geschminkt wurden. Aber auch die "normalen Familien" nahmen etwa die Äußerungen von Höcke oft gar nicht als schlimm wahr. Stattdessen waren sie davon überzeugt, dass ihnen die einfachen Antworten der AfD in ihrer Situation helfen.
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Wie haben Sie diese Menschen auf persönlicher Ebene erlebt?
Für mich erstaunlich: Die meisten waren freundlich. Ich habe versucht, zuerst eine emotionale Ebene zu der Person aufzubauen, um zu verstehen, wie die Person zu ihren Gedanken gekommen ist. Ich wollte niemanden beurteilen, sondern erst einmal zuhören. Das wird zu wenig gemacht. Wir müssen ihre Lebensumstände verstehen, verstehen, warum sie glauben, die AfD liefere ihnen die Antworten auf ihre Sorgen und Ängste. Nur so kann man ihnen passende politische Gegenentwürfe anbieten.
In Ihrem Buch wird klar, dass Sie den Menschen Raum geben, über ihre Sicht der Dinge zu reden. Obwohl Sie manchmal stundenlang mit Ihnen sprechen, bleiben diese Menschen am Ende oft bei ihren Ansichten und leugnen die Legitimität jedes Gegenarguments. Kann man diese Menschen wieder für das demokratische Spektrum gewinnen?
Dafür bräuchte es noch mehr Zeit, aber ich bin optimistisch, dass man viele Menschen wieder für die Demokratie gewinnen kann. Ich habe mit den Menschen über Stunden gesprochen, aber sie nicht wochenlang begleitet. Letztlich braucht es zwei Dinge: Einerseits sind das Verbindungsmenschen, also Personen, die eine emotionale Bindung zu den AfD-Wählerinnen und -Wählern haben. Mit denen können sie wieder reden und diskutieren, denn es fehlt aktuell an Debatten. Aber es ist die Aufgabe von uns allen, uns diesen Diskussionen wieder zu stellen. Man darf den Kontakt nicht verlieren. Denn wenn man nur sagt: "Ihr seid alle Nazis, wenn ihr die AfD wählt", warum sollte dann jemand zurückkommen?
Und andererseits?
Auf der anderen Seite braucht es politische Antworten. Es reicht nicht, wenn wir nur über Migration sprechen und alle anderen Themen nicht bedient werden. Themen wie wirtschaftliche Stabilität, Bildung oder ein gutes Leben im Alter werden vernachlässigt. Wenn Parteien ihre Zukunftsvisionen nicht aufzeigen, finden die Menschen im AfD-Spektrum auch keinen Anschluss bei einer anderen Partei. Denn der Verweis auf Fakten und Gesetze hilft oftmals nicht mehr, weil die Menschen schon in einer anderen Realität leben. Nur mit Zukunftsvisionen holt man sie ab.
Der aktuelle Wahlkampf spielt der AfD also in die Karten?
Absolut. Denn wenn wir in die Wahlprogramme schauen, gibt es diese Zukunftsvisionen. Es gibt Ideen, wie wir die Wirtschaft zum Laufen bringen, wie man für bessere Bildung sorgen kann, wie man neue Arbeitsplätze schaffen kann. Das sind die Dinge, die Probleme lösen könnten. Aber darüber reden wir nicht. Es wird nur über Migration geredet und vermittelt, dass Maßnahmen in diesem Bereich die gegenwärtigen Probleme im Land lösen könnten – aber das stimmt nicht. Es müsste viel eher Priorität sein, die Lebensrealität der Menschen zu sehen. Und das ist eigentlich so offensichtlich.
Aber warum wird es dann nicht umgesetzt?
Das habe ich mich auch gefragt und die Frage wiederum den Expertinnen und Experten in meinem Buch gestellt. Der Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer beschäftigt sich damit seit den 1980ern und sagt, genau das ist die 100.000-Dollar-Frage. Wissenschaftler warnen seit Jahren davor, dass die Leute weiterhin die AfD wählen, wenn die anderen Parteien über jedes Stöckchen springen, das ihnen die AfD hinhält. Aber es ändert sich dennoch wenig.
Nun verschiebt die AfD den Diskurs immer weiter nach rechts. Plötzlich steht etwa der Begriff "Remigration" im Wahlprogramm der Partei. Wie weit kann die AfD noch gehen, bevor sie Wähler verliert, die diese Radikalität ablehnen?
Als Alice Weidel gesagt hat, Hitler sei ein Kommunist gewesen, hat das ja bei der AfD-Basis kaum jemanden gejuckt. Ich merke, dass solche Aussagen meistens gar nicht ankommen. Eine junge Frau auf dem Görlitzer Marktplatz sagte mir: Sie habe gar nicht gehört, dass Alice Weidel über 'afghanische Bestien' und Gruppenvergewaltigung gesprochen hatte – obwohl das direkt vor ihr auf der Bühne gesagt wurde. Ich habe es ihr dann auf dem Handy vorgespielt, aber sie hat überhaupt nicht zugehört. Es wird oftmals ignoriert oder einfach in Kauf genommen. Dabei werden die extremen Positionen der AfD immer normaler, umso unkritischer wir als Gesellschaft damit umgehen.
Sie sehen also keine Grenze, ab der die AfD Wähler wegen ihrer Äußerungen verlieren könnte?
Ich befürchte, da wurde jede Grenze bereits überschritten. Weder die Verharmlosung des Nationalsozialismus noch die Recherchen zum "Remigrationstreffen" in Potsdam haben der AfD langfristig geschadet. Nach der nächsten schockierenden Aussage ist alles am Folgetag wieder normal. Der Schock bleibt aus.
Zuletzt hat die Union sogar gemeinsam mit der AfD im Bundestag abgestimmt. Was glauben Sie, würden die AfD-Wähler dazu sagen, mit denen Sie gesprochen haben?
Das würde ich die Leute auch gerne noch einmal fragen. Aber ich glaube, sie würden weiterhin die AfD wählen und sagen: "Wir hatten ja die ganze Zeit recht. Jetzt übernimmt die Union AfD-Positionen." Alice Weidel und Björn Höcke haben schon im Sommer die ganze Zeit gerufen: "Die CDU kopiert uns. Die haben nur Angst, ihre Stimmen zu verlieren." Ehrlicherweise stimmt das. In der Debatte über den Fall der Brandmauer im Bundestag ging es lediglich um einen Appell und einen migrationspolitischen Gesetzesentwurf, der ohnehin im Bundesrat gescheitert wäre. CDU-Chef Merz hat es auch nur für seinen Wahlkampf und die Aufmerksamkeit gemacht.
Nach all den Gesprächen, die Sie geführt haben: Wie sollte mit der AfD umgegangen werden?
Fakt ist: Wir haben kein Allheilmittel gegen Rechtsextremismus. Wir sind eines der letzten Länder in Europa, die einen Rechtsruck erleben. Für mich war das Buch auch nur ein Anfang, um weitere Fragen zu stellen.
- Interview mit Sally Lisa Starken