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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Große Übung an Nato-Ostflanke Ihre Pläne alarmieren den Westen

Russland und Belarus halten im September die "Sapad"-Übung ab. Westliche Militärs blicken mit Argwohn auf das Manöver – immerhin nutzte der Kreml die Übung früher bereits als Deckmantel für Größeres.
Noch sind knapp zweieinhalb Monate Zeit, doch die Vorbereitungen für die russisch-belarussische Militärübung "Sapad" laufen offenbar bereits. Seit Anfang Juni haben sich in mindestens acht Fällen Transportflugzeuge der russischen Luftwaffe auf den Weg zum Militärflugplatz Machulischchy im Zentrum von Belarus gemacht, wie die auf Luftfahrt spezialisierte Analysegruppe "Avivector" notiert hat. Die Beobachter halten es für wahrscheinlich, dass die Flüge in Verbindung mit dem "Sapad"-Manöver stehen.
Die Übung, die im September stattfinden soll, wird voraussichtlich auch Thema des Nato-Gipfels sein, der am Dienstag beginnt. Schon jetzt bereiten die Partnerstaaten Polen und Litauen eine Reaktion auf "Sapad 2025" vor: Im selben Zeitraum soll in Polen die Übung "Tarassis 25" mit Nato-Soldaten der Expeditionstruppe Joint Expeditionary Force (JEF) stattfinden. Litauische Truppen üben gleichzeitig während des Manövers "Thunder Strike" die nationale Verteidigung.
Zuletzt hatte es mehrfach Warnungen über russische Militäraktivitäten entlang der Nato-Ostflanke gegeben. So baut Russland langfristig seine Präsenz an der finnischen Grenze aus. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnt außerdem vor Plänen für einen Angriff an der rumänischen Grenze. Auch in der sogenannten Suwałki-Lücke wächst das Unbehagen. Was also kommt im Herbst auf die Nato zu? Wagt Kremlchef Wladimir Putin unter dem Deckmantel von "Sapad" einen neuen Angriff, dieses Mal auf einen Nato-Staat, um das Militärbündnis zu testen?
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Russland will seine "potenten Fähigkeiten" zeigen
Die Übung, deren Name übersetzt "Westen" bedeutet, beschäftigt Militärexperten in Europa bereits seit Monaten. Manche sehen darin mögliche Vorbereitungen Russlands für einen Angriff auf ein Nato-Land. Angesichts dessen sprach der Historiker Sönke Neitzel gar vom womöglich "letzten Sommer in Frieden" für Deutschland. Die Sorge ist nicht unbegründet: Immerhin bereitete Russland im Herbst 2021 mit demselben Manöver bereits seinen Überfall auf die Ukraine im folgenden Februar vor.
Der Militärexperte Markus Reisner erklärt im Gespräch mit t-online, es gehe Russland bei der Übung darum, der Nato zu signalisieren, dass die eigenen Streitkräfte über "potente Fähigkeiten" verfügen. "Das kann alle Domänen der modernen Kriegsführung betreffen: also Luft-, Land- und Seestreitkräfte, aber auch den sogenannten Cyberraum sowie den Informationsraum", sagt der Oberst des österreichischen Bundesheeres. Es gehe dabei auch um Abschreckung: "Putin will zeigen, dass er diese Fähigkeiten im Fall der Fälle auch tatsächlich einsetzen kann."

Zur Person
Oberst Markus Reisner (geboren 1978), ist Militärhistoriker und Leiter des Instituts für Offiziersausbildung des österreichischen Bundesheeres an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 analysiert Reisner den Kriegsverlauf auf dem YouTube-Kanal "Österreichs Bundesheer".
"Ob die Übung auch einen Aufmarsch an der Nato-Ostflanke vorbereiten soll, lässt sich derzeit schwer abschätzen", schränkt Reisner ein. "Sicher ist jedoch eines: Russland wird auch parallel zu dem Manöver aktiv werden." Das könne von Desinformationskampagnen zur Beeinflussung des Gegners bis zu hybriden Angriffen reichen, wie sie zuletzt häufig in der Ostsee beobachtet wurden.
Belarus versucht zu beschwichtigen
Seit Kurzem versucht vor allem Belarus, die Sorgen des Westens zu zerstreuen. Verteidigungsminister und Generalleutnant Wiktar Chrenin erklärte Ende Mai im Rahmen eines Treffens mit seinen Amtskollegen der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OKVS), dass die Übung von der westlichen Grenze von Belarus weiter ins Landesinnere verlegt werde. Zudem werde die Zahl der teilnehmenden Soldaten reduziert. Die OKVS besteht neben Russland und Belarus aus weiteren früheren Sowjetstaaten, etwa Kasachstan.
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Laut Aussage von Chrenin hat Belarus dabei Dialogbereitschaft sowie den Abbau regionaler Spannungen im Sinn. "Ehrlich gesagt tun wir dies, ohne auf eine konstruktive Antwort zu hoffen", zitiert ihn die staatliche Nachrichtenagentur BelTA. "Wir tun dies besonders, um unseren Verbündeten und Partnern weltweit die wahrhaft friedliche Position der Republik Belarus zu demonstrieren."
Russland setzt wohl auf Verschleierungstaktik
Experte Reisner erkennt in diesen Aussagen eine mögliche Verschleierungstaktik. "Der Kreml lässt den Westen bewusst im Unklaren über den Umfang der Übung", sagt er. "Dafür gibt es zwei Interpretationen: Einerseits könnte das Ausmaß von 'Sapad' heruntergespielt werden, um im Verborgenen etwas vorzubereiten. Andererseits könnte Putin eine reine Machtdemonstration planen, wenn dann doch deutlich mehr Soldaten aufmarschieren als zuvor kommuniziert."
Den Experten des US-Thinktanks Institute for the Study of War (ISW) zufolge steckt womöglich noch eine andere Motivation hinter der Maßnahme. Belarus könne diese Entscheidung nicht ohne Russland treffen, analysierte das ISW Ende Mai. Es sei wahrscheinlich, dass der Umfang der Übung reduziert worden sei, weil viele russische Einheiten, die bei früheren "Sapad"-Übungen teilnahmen, mehrheitlich in der Ukraine kämpften. Das ISW erinnerte daran, dass das Manöver 2023 aus diesen Gründen bereits abgesagt worden sei.
Wie viele Soldaten marschieren im September auf?
Über den geplanten Umfang gibt es derzeit unterschiedliche Angaben. Russische Staatsmedien hatten noch vor Chrenins Aussagen berichtet, dass etwa 13.000 Soldaten involviert sein würden. Zum Vergleich: 2021 beteiligten sich etwa 200.000 Soldaten, mehr als 80 Flugzeuge und Hubschrauber, mehr als 290 Panzer, Mehrfachraketenwerfer und 15 Schiffe an der "Sapad"-Übung. Wenige Monate später startete die russische Vollinvasion der Ukraine, die auch von belarussischem Territorium ausging.
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Manche westliche Militärs wollen den offiziellen Zahlen jedoch keinen Glauben schenken. Der lettische General Andis Dilāns erklärte dem ukrainischen Sender RadioNV Anfang Juni, dass zwischen 100.000 und 150.000 Soldaten an "Sapad 2025" teilnehmen könnten: "Sie verwenden immer falsche Zahlen und behaupten beispielsweise, es seien 12.000 oder 13.000 Teilnehmer, was die nach dem Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa zulässige Höchstzahl ist", so der General. "Da Russland jedoch nicht mehr Vertragspartei ist, können sie beliebige Zahlen verwenden."
Der litauische Stabschef und Generalleutnant, Remigijus Baltrėnas, zieht mit Blick auf die russisch-belarussische Übung einen Vergleich zum "Sapad"-Manöver aus dem Herbst 2021: "Niemand kann leugnen, dass Russland und Weißrussland nach wie vor feindselige Absichten hegen – wir sehen ja, was vor sich geht –, aber die diesjährige 'Sapad'-Übung ist nicht größer oder bedrohlicher als die von 2021", erklärte er Ende Mai laut der Nachrichtenagentur BNS.
Er rechnet mit dem offiziellen Umfang von 13.000 Soldaten. "Angesichts der Lage in der Ukraine können sich Russland und Belarus eine großangelegte Übung einfach nicht leisten – das ist physisch unmöglich." Weder der litauische Geheimdienst noch die Nato rechneten seiner Aussage nach mit "Überraschungen" im Herbst.
"Das russische Selbstvertrauen wächst zusehends"
Mit Blick auf die Vorbereitungen rät Oberst Markus Reisner jedoch dazu, Russland nicht zu unterschätzen – insbesondere wegen des Verlaufs des Ukraine-Kriegs: "Im vergangenen Jahr haben die Russen das Momentum auf ihre Seite gebracht und seitdem behalten", analysiert er die Lage. "Das russische Selbstvertrauen wächst dadurch zusehends, die Kremlführung tritt zunehmend gestärkt auf."
Reisner verweist dabei auf Aussagen des russischen Vizeaußenministers Sergej Rjabkow. Demnach werde der Krieg in der Ukraine erst enden, wenn sich die Nato aus Osteuropa zurückziehe. Tatsächlich hatte die russische Vollinvasion der Ukraine dazu geführt, dass sich mit Schweden und Finnland wegen Sicherheitsbedenken sogar weitere Staaten der Nato anschlossen.
Mit Blick auf solche Aussagen erklärt Reisner: Es bedeute, dass Russland "Sapad" durchaus nutzen könne, um der Nato Schaden zuzufügen. "Das muss nicht gleich ein Einmarsch von Truppen sein, sondern kann in allen Bereichen der modernen Kriegsführung stattfinden", so der Militärexperte.
Der Oberst sieht durchaus Hinweise für mögliche Vorbereitungen eines neuen Angriffs auf russischer Seite. "Es ist interessant, dass Russland auch im vierten Kriegsjahr noch in der Lage ist, seine Rüstungsproduktion zu stärken." Er berichtet von Videos neuer Panzer, die in Russland vom Band rollen. "Dieses neue Gerät sehen wir aber noch nicht an der Front in der Ukraine", erklärt der Militärexperte. Dort gehen laut seinen Beobachtungen die Verluste von schweren Militärfahrzeugen in letzter Zeit sogar zurück. "Russland baut also im Verborgenen durchaus Kapazitäten auf. Das sieht auch die Nato."
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Oberst Markus Reisner am 18. Juni 2025
- jamestown.org: "Belarus Downsizes Zapad-2025 to Reduce Escalation Risks" (englisch)
- understandingwar.org: "Russian Offensive Campaign Assessment, May 28, 2025" (englisch)
- militarnyi.com: "Russia Begins Delivering Military Cargo to Belarus via Il-76 Aircraft" (englisch)
- belta.by: "Хренин: основные маневры учения "Запад-2025" перенесут вглубь Беларуси" (russisch)
- balticsentinel.eu: "Poland and Lithuania to Hold Military Exercises in Response to Russian-Belarusian Zapad 2025 Drills" (englisch)