Nach Bundestagswahl "Schwierige Lage": Merz geht auf SPD, FDP und Grüne zu

Die Lage in Europa ist instabil, die Bundeswehr braucht dringend mehr Geld. CDU-Chef Merz will deshalb schon vor der Regierungsbildung ungewohnte Wege gehen.
CDU-Chef Friedrich Merz will noch im alten Bundestag Gespräche über die Finanzierung von Verteidigungsausgaben abseits der Schuldenbremse führen. Zuvor hatten sich die Grünen dafür ausgesprochen, dass das Parlament noch in seiner alten Zusammensetzung eine Reform beschließt. Merz schließt das ebenso wie die Einrichtung eines Sondervermögens für die Ukraine-Hilfen nicht aus. "Unsere Überlegungen dazu sind nicht abgeschlossen", sagte Merz. Er kündigte Gespräche darüber mit SPD, Grünen und FDP an. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) reagierte zurückhaltend.
Dass eine Lockerung der Schuldenbremse "praktisch unumgänglich" wäre, erklärte am Freitagabend Verteidigungsminister Boris Pistorius der "Bild". Der Haushalt seines Ministeriums werde sich in den kommenden Jahren verdoppeln, so Pistorius. "Wir reden über mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts."
Für eine Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse braucht es eine Zweidrittelmehrheit. Im neuen Bundestag aber haben AfD und Linke knapp mehr als ein Drittel der Sitze. Die beiden Parteien an den politischen Rändern verfügen damit gemeinsam über eine sogenannte Sperrminorität. Selbst wenn Union, SPD und Grüne sich auf eine Reform einigen würden, hätten sie im neuen Bundestag nicht die erforderliche Mehrheit.
Nach Artikel 39 Grundgesetz muss der neue Bundestag spätestens am 30. Tag nach der Wahl zusammentreten. Das wäre der 25. März. Eine Reform der Schuldenbremse noch vom alten Bundestag müsste unter großem Zeitdruck vonstattengehen, auch mit einer Sondersitzung. Union, SPD und Grüne kämen zusammen auf die erforderliche Mehrheit. Auch der Bundesrat müsste mit einer Zweidrittelmehrheit zustimmen.
Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) sagte im ARD-"Morgenmagazin": "Wir haben keine Zweidrittelmehrheiten mehr im neuen Deutschen Bundestag, um die Verfassung zu ändern, damit wir mehr für Bildung, mehr für Infrastruktur, mehr für Verteidigung tun können. Wir könnten aber noch in diesem Monat mit dem bestehenden Bundestag uns zusammensetzen mit Bündnis 90/Die Grünen, mit der CDU/CSU, mit der SPD, um dafür zu sorgen, dass wir mehr ausgeben können für die Landesverteidigung."
Für eine Reform noch innerhalb der nächsten Wochen sprachen sich auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck aus. Angesichts der Annäherung der US-Regierung von Donald Trump an Russland steht vor allem die Frage im Raum, wie Deutschland steigende Verteidigungsausgaben bewältigen kann. Habeck plädierte auch für Investitionen im großen Stil zur Ankurbelung der Wirtschaft.
"Dann haben wir keine Mehrheiten mehr"
Über eine Reform der Schuldenbremse, die neue Schulden nur in einem begrenzten Umfang zulässt, wird seit Langem debattiert. Ein Streit darüber, wegen der Ukraine-Milliardenhilfen eine Ausnahmeregelung der Schuldenbremse zu nutzen, war ein Hauptgrund für das Scheitern der Ampel. Die FDP lehnte dies ab.
Merz sagte, der aktuelle Bundestag sei noch bis einschließlich 24. März im Amt. "Das heißt also, wir haben jetzt noch vier Wochen Zeit, darüber nachzudenken." Es gebe im nächsten Bundestag eine Sperrminorität "der ganz linken und der ganz rechten Seite", sagte Merz. Ein solcher Fall könne schon bei Stimmenthaltung oder der Ablehnung eines Vorschlages eintreten. "Dann haben wir keine Mehrheiten mehr, um das Grundgesetz zu ändern" und etwa Richter zum Bundesverfassungsgericht zu wählen. "Das ist eine schwierige Lage", räumte Merz ein.
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Die Bundeswehr brauche sehr viel mehr Geld. Er sei generell der Meinung, dass der Staat mit dem Geld auskommen muss, das die Steuerzahler zahlten, so Merz. Zuvor hatte Unionsfraktionsmanager Thorsten Frei eine Reform noch durch den bestehenden Bundestag abgelehnt. Er sagte, der Staat nehme etwa 1.000 Milliarden Euro Steuern pro Jahr ein. Die aktuelle Situation erfordere eine Neupriorisierung staatlicher Aufgaben.
"Alles andere macht gar keinen Sinn"
Kanzler Scholz sagte mit Blick auf eine schnelle Reform der Schuldenbremse, wenn, dann müsse sich ein solcher Vorstoß aus Kontakten zwischen Union und SPD ergeben. "Alles andere macht gar keinen Sinn, und deshalb will ich da nicht vorgreifen." Bisher habe es keinen Kontakt gegeben. Sollte es zu Gesprächen kommen, müsse man in dem Zusammenhang "alles Mögliche erörtern, mit größter Vorsicht selbstverständlich". Es sei selten, aber nicht unmöglich, dass der alte Bundestag nach einer Bundestagswahl noch einmal zusammenkomme.
Die Linke könnte einer Grundgesetzänderung zur Reform der Schuldenbremse unter der Bedingung zustimmen, dass mehr staatliches Geld in die soziale Infrastruktur gesteckt wird. Für Aufrüstung werde man hingegen nicht stimmen, sagte Parteichefin Ines Schwerdtner.
- Nachrichtenagentur dpa
- bild.de: "Pistorius macht brisante Geld-Ansage an Merz"