Meint der das wirklich ernst?
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Er wollte doch eigentlich auch mitkΓ€mpfen. Doch nun droht Olaf Scholz im Wettbewerb ums Kanzleramt unterzugehen. Selbst viele in der SPD verlieren den Glauben. Aber war's das wirklich schon?
Bei der SPD steht Martin Schulz gerade wieder hoch im Kurs. Ja, genau, der Martin Schulz, der vor vier Jahren fΓΌr die Partei als Kanzlerkandidat erst zu ungeahnten HΓΆhenflΓΌgen ansetzte, nur um am Wahltag eine schmerzhafte Bruchlandung hinzulegen.
Und doch fΓ€llt der Name Martin Schulz gerade oft, wenn man sich in der SPD umhΓΆrt, um zu erfahren, wie es denn eigentlich weitergehen soll mit der einst so stolzen Volkspartei.
Das liegt nicht etwa daran, dass die Genossen den Namen ihres aktuellen Kanzlerkandidaten vergessen hΓ€tten. Den wiederholen sie geradezu mantraartig, vielleicht nΓΌtzt es ja was.
Es hat vielmehr damit zu tun, dass sich viele auch dieses Mal wieder einen Schulz-Effekt erhoffen. NatΓΌrlich nicht fΓΌr die SPD selbst, dafΓΌr mΓΌsste es ja erst einmal aufwΓ€rts gehen. Aber fΓΌr die politische Gegnerin: die in den Umfragen gerade scheinbar ΓΌber den Wolken fliegende GrΓΌnen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock.
Es sagt viel ΓΌber das Schlamassel der SPD aus, wenn die eigenen Hoffnungen fΓΌr die Wahl darauf ruhen, dass die anderen es noch verbocken. Und doch ist es eine durchaus realistische EinschΓ€tzung der Lage. Es gibt wenig, das derzeit fΓΌr Olaf Scholz und viel, das gegen ihn spricht. Allein aus eigener Kraft schafft er es wohl nicht mehr ins Kanzleramt. In der SPD wΓ€chst langsam, aber sicher die Kritik.
Und doch sollte man Scholz noch im Auge behalten.
Scholz nirgendwo
Es brauche "ein gewisses Wohlwollen", um Olaf Scholz ΓΌberhaupt fΓΌr einen "ernsthaften Kanzlerkandidaten" zu halten, schrieb der "Spiegel" vor zwei Wochen. Immerhin kam er da noch vor. Die "Zeit" titelte: "Sie oder er?" Sie war Baerbock. Er war Laschet.
Scholz nirgendwo.
Und genau das ist sein grΓΆΓtes Problem. Der Wahlkampf spitzt sich auf ein Duell zwischen den GrΓΌnen und der Union zu. Durch die perfekt inszenierte Nominierung Annalena Baerbocks und die perfekt versemmelte Nominierung Armin Laschets ist zwar Bewegung in die Umfragen gekommen, das betont die SPD gerade gerne. Doch diese Bewegung spart die Sozialdemokraten eben weitgehend aus.
WΓ€hrend die GrΓΌnen an der abstΓΌrzenden Union vorbeiziehen, ist die SPD bei rund 15 Prozent festgetackert. Als sie vor fast einem halben Jahr Olaf Scholz in trauter Einigkeit zum Kanzlerkandidaten kΓΌrte und die Aufholjagd starten wollte, passierte: nichts. Als sie vor zwei Monaten vor allen anderen ihr Wahlprogramm prΓ€sentierte und wieder durchstarten wollte, passierte: noch immer nichts.
Eigentlich passiert schon seit dreieinhalb Jahren kaum noch was bei der SPD. Seit Anfang 2018 ist sie nicht mehr ΓΌber die 20-Prozent-Marke hinausgekommen.
Die Grenzen sind flieΓend
Die SPD-Spitze verweist gerade gerne auf die vergangenen Landtagswahlen in Hamburg oder in Rheinland-Pfalz, wenn sie erklΓ€ren will, warum noch alles drin sei fΓΌr sie. Oder sich das zumindest selbst einreden will, die Grenzen sind flieΓend. In Hamburg gewann SPD-Amtsinhaber Peter Tschentscher, nachdem die GrΓΌnen ihm in den Umfragen gefΓ€hrlich nahegekommen waren. In Rheinland-Pfalz gewann SPD-Amtsinhaberin Malu Dreyer, nachdem die CDU sie zwischenzeitlich sogar ΓΌberholt hatte.
Das Problem ist nur: Nichts stimmt an diesem Vergleich. Die SPD kΓ€mpft gerade nicht um Platz eins, sondern erst einmal um einen Platz unter den ersten zweien. Und Scholz ist zwar der einzige Kandidat mit Erfahrung in einer Bundesregierung, aber einen Kanzlerbonus hat er nicht. Genau das ist ja seit Jahren das Problem der SPD in der groΓen Koalition.
Und kΓ€mpft die SPD ΓΌberhaupt? Ausgerechnet aus Rheinland-Pfalz meldete sich vor gut einer Woche der fΓΌr gewΓΆhnlich eher zurΓΌckhaltende Landeschef Roger Lewentz mit deftiger Kritik zu Wort. "Wir verpassen gerade den Wahlkampfstart", sagte er der "SΓΌddeutschen Zeitung". "In so einer Lage ist es wie im FuΓball: Wenn du 0:2 hinten liegst, kannst du doch nicht auf Ergebnis halten spielen."
Das Interview erregte Aufsehen, weil es sich einzig um die Kritik am Wahlkampf drehte, und weil ΓΆffentliche Kritik in der oft raufbrΓΌderhaften SPD zwischenzeitlich tatsΓ€chlich selten geworden war.
Ein frΓΌher wichtiger Genosse, der viele WahlkΓ€mpfe miterlebt hat, wird zumindest hinter vorgehaltener Hand noch wesentlich deutlicher als Lewentz: Die SPD stehe eigentlich gar nicht auf dem Platz, sagt er. Weder gebe es begeisternde Botschaften, noch eine Euphorie fΓΌr den Kandidaten. Nicht mal in der SPD selbst. Die Parteispitze? Nicht geeignet fΓΌr die erste Liga. Strategie, Organisation, Kommunikation? Sei einfach alles nichts.
Es klingt ziemlich vernichtend.
Scholz ΓΌberall
Man kann Olaf Scholz allerdings schwer vorwerfen, nichts zu versuchen im Kampf gegen die eigene Bedeutungslosigkeit. Schon seit Februar tourt er quer durch die Republik, an einem Tag von Potsdam bis nach Niederbayern, von Starnberg in den Spreewald. Zwei bis drei Auftritte pro Woche, um mit den Menschen ins GesprΓ€ch zu kommen.
Digital natΓΌrlich, es ist Corona, so richtig nah dran geht gerade nicht. Doch fΓΌr Scholz mit seinem hanseatischen Charme sei das wahrscheinlich gar kein groΓer Nachteil, sagen einige im Willy-Brandt-Haus. Sozialdemokratische Bierbank-Geselligkeit ist ohnehin nicht seine StΓ€rke. Die Massen elektrisiert er auch eher selten. Deshalb probiert er es ja mit FleiΓ.
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Seit einigen Wochen schnappt sich Scholz jedes grΓΆΓere bundespolitische Thema und versucht, es zu seinem eigenen zu machen. Egal, ob er als Finanzminister zustΓ€ndig ist oder nicht: Hauptsache, es sieht so aus, als gehe Scholz voran und die anderen hinterher.
Nur nΓΌtzt es eben nichts. Vielleicht noch nicht?
Aufregend unaufregend
Die SPD hofft, auf ihrem Parteitag am Sonntag so etwas wie Aufbruchstimmung erzeugen zu kΓΆnnen. Sie wird ihr Wahlprogramm offiziell beschlieΓen und Scholz eine groΓe BΓΌhne bereiten. Allerdings ist unklar, warum das dieses Mal mehr bringen sollte als bei der Scholz-Nominierung oder der Programmvorstellung.
Nur weil die anderen jetzt auch Kandidaten haben, wird Scholz ja nicht plΓΆtzlich interessanter.
Seine aufregendste QualitΓ€t ist es, vΓΆllig unaufregend zu sein. Er ist der Mann, der Deutschland mit seiner Erfahrung solide regieren will, das ist sein stΓ€rkstes Argument. FΓΌr einen plΓΆtzlichen Schub in den Umfragen ist das eher nichts. Deshalb hofft die SPD, dass sich die Menschen jetzt irgendwann fragen, ob sie das Land wirklich der regierungsunerfahrenen Annalena Baerbock oder dem Corona-Tollpatsch Armin Laschet anvertrauen wollen.
Doch auch das ist natΓΌrlich: nur eine vage Hoffnung.
Der Politikberater Frank Stauss, der fΓΌr die SPD schon viele Wahlkampagnen konzipiert hat und der Partei deshalb nicht gerade fernsteht, sagt: "Ohne massive Fehler der anderen Parteien kann die SPD nicht Kanzlerpartei werden." Allerdings hΓ€tten Union und GrΓΌne schon die ersten groΓen Fehler gemacht, indem sie mit den schwΓ€cheren Kandidaten ins Rennen gingen β und sich die Union auch noch zerlegt habe.
Zwischen Olaf Scholz und dem Kanzleramt steht natΓΌrlich trotzdem mindestens ein Konjunktiv-Reigen. Das wohl einzige halbwegs realistische Szenario geht so: Das Wahlergebnis im Herbst mΓΌsste fΓΌr eine Ampelkoalition aus SPD, GrΓΌnen und FDP reichen. Die FDP mΓΌsste regieren wollen, auch mit den fernstehenden Sozialdemokraten und GrΓΌnen. Die SPD mΓΌsste auf jeden Fall ein bisschen stΓ€rker werden als die GrΓΌnen, um den Kanzler zu stellen. Und dann mΓΌsste das Wahlergebnis eine Koalition aus Union und GrΓΌnen wohl auch noch unmΓΆglich machen, weil die GrΓΌnen sich sonst fΓΌr diese Option entscheiden kΓΆnnten.
Ist das wahrscheinlich? NatΓΌrlich nicht. Ist es unmΓΆglich? Auch nicht. Noch nicht.
- Eigene Recherchen und Beobachtungen
- "SZ": Roger Lewentz: "Wir verpassen gerade den Wahlkampfstart"