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Regieren mit der Linken: Wie realistisch ist die "rote Gefahr"?


Rot-rot-grüne Koaliton
Wie realistisch ist die "rote Gefahr"?

  • Annika Leister
Von Annika Leister

01.09.2021Lesedauer: 5 Min.
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Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow und Olaf Scholz (Archivbild): Wie realistisch ist eine Koalition mit Beteiligung der Linken?Vergrößern des Bildes
Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow und Olaf Scholz (Archivbild): Wie realistisch ist eine Koalition mit Beteiligung der Linken? (Quelle: Jens Büttner/dpa-bilder)

Nach Umfragen ist eine rot-rot-grüne Koalition derzeit eine realistische Machtoption. Die Union belebt gleich die "Rote-Socken-Kampagne" wieder. Die Linke dankt – doch bleibt in entscheidenden Punkten stur.

Jan Korte ist in seinem Wahlkreis im Auto unterwegs. Zeit für ein Telefonat nimmt sich der Parlamentarische Geschäftsführer der Linken im Bundestag dennoch. Schließlich will Korte etwas sagen, was er nur selten zugibt: Er ist rundum zufrieden mit der Union.

Die Union befeuert zurzeit die Sorge vor einer Regierungskoalition aus SPD, Grünen und vor allem: der Linkspartei. Die CSU warnt schon seit Wochen vor der "buckligen Verwandtschaft" der SPD und "Linksrutschen" jedmöglicher Art. Beim Triell der Kanzlerkandidaten nahm CDU-Chef Armin Laschet die Konkurrenz gezielt mit Blick auf eine mögliche Koalition mit den Linken in die Mangel. Schließlich stimmte auch die Kanzlerin mit ein: Mit ihr würde es nie eine Koalition mit der Linken geben, sagte Merkel. Ob dies von SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz so geteilt werde, "das bleibt offen".

"Die Rote-Socken-Kampagne zeigt das ganze Elend der Union"

Eine simple Wahrheit, die für Wirtschaftsvertreter und viele konservative Wähler einer Drohung gleichkommt. Diese Form der "Rote-Socken-Kampagne" hat sich für die Union schon vor Jahrzehnten bewährt. Die Angst mancher Wähler vor der "roten Gefahr", vor dem Schreckgespenst eines sozialistisch regierten Deutschland, zahlt nämlich wunderbar auf das eigene Konto ein – die Rechnung ging zumindest in den 90ern für die Union auf.

Nun aber ist Wahlkampf 2021, die Linkspartei dümpelt auf Bundesebene vor sich hin, in Umfragen schafft sie nur knapp den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde. Die Neuauflage des Schreckgespenstes ist da willkommene PR.

"Ich danke der Union für die Rote-Socken-Kampagne", sagt Jan Korte im Gespräch mit t-online. "Sie zeigt das ganze Elend der Union und das Potenzial der Linken." Jetzt nämlich könne die Partei noch einmal zeigen, dass sie Garant für soziale Politik sei. Es sei wichtig, "ob wir sieben oder zehn Prozent holen".

Das Novum einer rot-rot-grünen Koalition im Bund, so seine Botschaft, könne in Deutschland nur mit einer starken Linken möglich werden. Wechselwähler, die mit Grünen oder SPD liebäugeln, sollen schon aus strategischen Gründen bleiben, wenn sie den Wandel denn wirklich wollen.

Will die Linke tatsächlich regieren?

Was aber wird die Linke anfangen mit den Prozenten, wenn sie sie erreicht? Will sie, die ewige Oppositionspartei, tatsächlich regieren? Und wird sie bereit sein, sich dafür zu verändern, zentrale Punkte ihrer Politik über Bord zu werfen? Das nämlich fordern Grüne wie SPD von ihr als möglichen Koalitionspartner.

Die Frage zur Regierungswilligkeit ist rasch beantwortet. Es findet sich zurzeit kaum ein Linker, der sie negiert. Auf "so 97,5 Prozent" beziffert Parteichefin Susanne Hennig-Wellsow die Lust in der eigenen Partei, im Herbst aus der Opposition in die Regierung zu wechseln. Sie selbst bringt Regierungserfahrung aus Thüringen mit, dem einzigen Bundesland, in dem die Linke den Ministerpräsidenten stellt. "Die Linke will gestalten, das ist klar", sagt sie t-online. Sie selbst habe "absolut Lust", die Politik im Lande umzukrempeln.

Auch Korte beantwortet die Frage rasch und positiv: Natürlich wolle man regieren. Bei ihm, wie auch bei Hennig-Wellsow, folgt aber auf die Bestätigung eine entscheidende Einschränkung. "Aber die Frage ist: Wie?", so Korte. Ein Mitte-Links-Bündnis müsse eine grundlegend andere Politik machen und – das ist Kortes Hauptforderung – den Sozialstaat wiederherstellen. Weg von Hartz IV, mehr Geld für Schulen, Bildung, Infrastruktur. "Einfach nur die Regierung auswechseln, das geht mit uns nicht", meint Korte. Hennig-Wellsow nennt es "regieren, um etwas zu verändern, nicht als Selbstzweck".

Allerdings dürfte es an einem Verhandlungstisch mit SPD und Grünen nur wenige unüberbrückbare Zerwürfnisse bei innenpolitischen Zielen geben. In ihrem Wahlprogramm fordert die Linke die Anhebung des Mindestlohns auf 13 Euro, eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche und eine Erhöhung des Urlaubsanspruchs auf 36 Tage. Hartz IV soll abgeschafft, stattdessen eine Grundsicherung in Höhe von 1.200 Euro eingeführt werden. Den Berliner Mietendeckel soll es bundesweit geben, Deutschland nach Vorstellung der Linken bis 2035 klimaneutral werden. Die Programme von SPD und Grünen gehen in vielen Punkten in dieselbe Richtung, wenn auch nicht so weit wie die Linke.

"Die anderen Parteien sollten ihre Außenpolitik überdenken, ganz sicher nicht die Linke"

Das zentrale Hindernis für ein rot-rot-grünes Bündnis ist nicht die Innenpolitik, sondern die Haltung der Linken in der Außenpolitik. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat ein klares Bekenntnis zur Mitgliedschaft in der Nato als Bedingung für eine Koalition gefordert. Auch Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat Verlässlichkeit im Nato-Bündnis als Bedingung genannt. Die Linke aber will die Nato auflösen und fordert ihre Ersetzung durch "ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands, das Abrüstung als zentrales Ziel hat". Auslandseinsätze der Bundeswehr lehnt sie rundherum ab.

Und das wird sich auch nicht ändern. Besonders nicht jetzt, nach dem Ende des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan. 20 Jahre lang hat die Linke gegen den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch gestimmt – und sieht sich jetzt vollkommen bestätigt. "Krachend gescheitert" sei der Einsatz, sagt Henning-Wellsow. Die Haltung ist eindeutig, Jan Korte formuliert sie so: "Nach dem Desaster in Afghanistan sollten die anderen Parteien ihre Außenpolitik überdenken, ganz sicher nicht die Linke."

Scholz' Forderung? "Bizarr"

Die Antikriegspartei bleibt voll auf ihrer Linie. "Bizarr" findet Korte Scholz‘ Forderung nach einem Nato-Bekenntnis, die im Militärbündnis vereinbarte Aufstockung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nennt er "Aberwitz und Wahnsinn". Statt aufzurüsten, will er in einem "ersten Schritt" die noch laufenden Auslandseinsätze der Bundeswehr – zum Beispiel in Mali – auswerten und auf den Prüfstand stellen.

Überraschend ist diese Haltung nicht. Das Nein zu Krieg und Militäreinsätzen ist Teil der politischen DNA der Linken. Sevim Dagdelen, Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag für Abrüstungspolitik, wertet Scholz‘ Forderung nach einem Nato-Bekenntnis deswegen als Bluff – um Möglichkeiten zu suggerieren, wo die Würfel in Wirklichkeit schon lange gefallen sind. Bezüglich der erklärten Offenheit für Rot-Rot-Grün beim SPD-Kanzlerkandidaten gebe es nun "ein großes Fragezeichen", sagt sie. Scholz‘ Ziel sei vielmehr eine "Weiter-so-Koalition" mit Union oder FDP.

Was SPD und Grünen bei den Linken kritisieren, wirft Dagdelen den potentiellen Bündnispartnern vor: "Offenbar will man weitermachen wie bisher", sagt sie. "Man hat es sich bequem gemacht, hat kein Interesse an einem wirklichen Politikwechsel, der das Land sozialer, friedlicher und ökologischer macht."

Ob nun Scholz oder Dagdelen recht hat: Die Gräben in der Außenpolitik scheinen derzeit nicht überwindbar. Deshalb dürfte die "Rote-Socken-Kampagne" der Union vorerst nicht mehr als ein Schreckgespenst bleiben. Zumindest bis zu den Koalitionsverhandlungen.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Jan Korte und Sevim Dagdelen
  • Anfrage an Susanne Hennig-Wellsow
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