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"Freedom Day": Ende der Corona-Maßnahmen kommt nicht bei allen gut an


"Freedom Day"
Ende der Corona-Maßnahmen kommt nicht bei allen gut an

  • Daniel Mützel
Von Daniel Mützel

Aktualisiert am 20.10.2021Lesedauer: 4 Min.
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Jugendliche feiern in einer Konzertarena: Auch deswegen sehen sich viele Menschen nach einer kompletten Aufhebung der Corona-Schutzmaßnahmen.Vergrößern des Bildes
Jugendliche feiern in einer Konzertarena: Auch deswegen sehen sich viele Menschen nach einer kompletten Aufhebung der Corona-Schutzmaßnahmen (Quelle: ANP | Paul Bergen)

Bald könnte die "epidemische Lage nationaler Tragweite" enden – mit Hilfe der Ampel-Parteien. Damit fallen dann auch viele Corona-Beschränkungen. Aber ist das wirklich sinnvoll?

Nach über anderthalb Jahren könnte der Corona-Ausnahmezustand in Deutschland im Herbst auslaufen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sich am Montag dafür starkgemacht, die "epidemische Lage nationaler Tragweite" nicht über den 25. November hinaus zu verlängern.

Auf dem Treffen der Landesgesundheitsminister am Montag sagte Spahn Berichten zufolge: Die aktuelle Impfquote und das laut Robert-Koch-Institut "moderate Risiko für geimpfte Personen" ermögliche es, den "mithin seit fast 19 Monaten bestehenden Ausnahmezustand" zu beenden. Zugleich mahnte Spahn zu weiterer Vorsicht und zum Einhalten von Hygienestandards.

Kommt für Deutschland also der "Freedom Day" im Dezember, die Aufhebung sämtlicher Maßnahmen, wie in Großbritannien und Dänemark?

"Völlig falsches Signal"

Der Spahn-Plan kam nicht bei allen gut an. Erwartungsgemäß kritisch bewertete der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach die Idee, das Land könne sich angesichts des anstehenden Winters die Aufhebung aller Maßnahmen leisten:

"Das ist das falsche Signal. Es klingt nach 'Freedom Day' durch den Minister. Wir brauchen mehr Erfolg beim Impfen, sinkende Inzidenz, Schutz unserer Kinder. Der Winter wird als Covid-Problem unterschätzt. Nach Erfolg kann der Bundestag die Epidemie beenden", so Lauterbach auf Twitter.

Auch die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Christine Falk, hält von Spahns Plädoyer wenig. Es gebe "Konsens über mehrere Fachrichtungen hinweg, dass wir noch Disziplin und Motivation zum Impfen und zum Einhalten von Maßnahmen brauchen", so Falk. Die Aufhebung der epidemiologischen Notlage könne von den Bürgern als "Entwarnung" missverstanden werden und sei ein "kontraproduktives Signal" an alle Impfunwilligen.

Was das Ende der "epidemischen Lage" bedeutet

Die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" wurde am 28. März 2020 erstmals vom Bundestag festgestellt. Sie ermächtigt Bund und Länder, über Verordnungen weitreichende Maßnahmen zu verhängen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Darunter fallen etwa Regeln zur Impf-Priorisierung oder ein Großteil der Beschränkungen, die in den vergangenen anderthalb Jahren verhängt wurden: Kontaktbeschränkungen, Ausgehbeschränkungen, Abstandsregeln und Maskenpflicht, Teststrategien und jetzt 3G oder 2G.

Gesetzlich verankert wurden die Befugnisse im Infektionsschutzgesetz, das zu diesem Zweck mehrmals geändert wurde. Allerdings kann der Bundestag nicht beliebig den Ausnahmezustand ausrufen. Zunächst muss eine "ernsthafte Gefahr für die öffentliche Gesundheit" vorliegen, etwa wenn die Weltgesundheitsorganisation eine gesundheitliche Notlage internationaler Tragweite ausgerufen hat und die dynamische Ausbreitung einer gefährlichen übertragbaren Krankheit in Deutschland droht. Mit den seit Wochen relativ stabilen, unter 100 liegenden Inzidenz könnte die Voraussetzung für den Notstand nun wegfallen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hält den "Freedom Day" daher für eine ausgemachte Sache, sollte die epidemische Lage nicht erneut ausgedehnt werden. "Nur das Feststellen der epidemischen Lage ist Basis und Rechtsgrundlage für die Infektionsschutzverordnungen der Länder. Dann hätten wir Ende November indirekt den Freedom Day."

Ob mit dem Ende der epidemischen Notlage automatisch sämtliche Corona-Beschränkungen ersatzlos gestrichen werden, ist jedoch umstritten. Viele Experten drängen auf eine gesetzliche Übergangsregelung, um zumindest Masken-, Abstands- und Hygieneregeln bundesweit einheitlich zu gestalten. Entscheidend wird, wie sich die Ampel-Koalitionäre in spe dazu verhalten.

Ruft die Ampel den "Freedom Day" aus?

Das am vergangenen Freitag vorgestellte Ampel-Sondierungspapier erwähnt den Corona-Ausnahmezustand mit keiner Silbe. Dabei liegen die Positionen der Ampel in dieser Frage relativ nah beieinander.

Die Grünen-Politikerin Manuela Rottmann mahnte auf Anfrage von t-online zwar weiter zur "Vorsicht in der bevorstehenden kalten Jahreszeit" und pochte auf die Einhaltung von Hygieneregeln und Abstandsgeboten. Dennoch stellt die grüne Obfrau für Recht und Verbraucherschutz klar: "Wie schon im August kommt eine unveränderte Feststellung der epidemischen Lange von nationaler Tragweite für uns dennoch nicht infrage." Man bevorzuge eine "rechtssichere Übergangsregelung, die die Bürgerrechte wahrt", zeitlich befristet sei und "grundlegende Maßnahmen wie die Maskenpflicht bundeseinheitlich regelt".

Auch bei der FDP-Fraktion, die ebenfalls bereits im August gegen die Fristverlängerung votierte, herrscht weitgehend Klarheit: "Eine erneute Verlängerung der epidemischen Lage darf es nicht geben. Ein Minister sollte nicht weiter über Verordnungen regieren, ohne das Parlament einbinden zu müssen", sagte der FDP-Obmann im Bundesgesundheitsausschuss, Andrew Ullmann t-online. Mit der FDP werde es keine Fristverlängerung geben.

"Wir haben eine Situation, in der wir keine Überlastung des Gesundheitssystems haben." Die "viel wichtigere" Frage sei nun: "Wie können wir vulnerable Gruppen durch Booster-Impfungen schützen?" Ullmann, der auch Facharzt für Innere Medizin ist, plädiert statt kollektiver Freiheitseingriffe für "individuelle Hygiene- und Schutzmaßnahmen" und eine Regionalisierung der Pandemiepolitik: "Die Bundesländer können weiter frei entscheiden, welche Maßnahmen sie für notwendig erachten. Dazu braucht es keinen Corona-Ausnahmezustand auf Bundesebene."

Auch SPD für Ende des Ausnahmezustands

Die SPD ziert sich noch – aber nicht sehr. Bärbel Bas, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion für Gesundheitspolitik, nennt den Spahn-Vorstoß am gestrigen Montag "dessen persönliche Sicht auf die Dinge", die gerade besondere Aufmerksamkeit erhalte, weil er "noch" Gesundheitsminister sei. Entscheidend sei aber der Bundestag als das Gremium, das den Ausnahmezustand verlängert oder eben nicht.

Man habe den Fristablauf für die epidemische Lage "im Blick", so Bas, wolle aber die Entwicklung weiter abwarten. "In jedem Fall" sollten jedoch die rechtlichen Möglichkeiten für die Länder bestehen bleiben, Schutzmaßnahmen wie die Maskenpflicht beizubehalten.

Hinter vorgehaltener Hand äußert sich so manch ein Genosse jedoch ähnlich wie ihre möglichen kommenden Koalitionspartner. "Die SPD unterstützt ein Auslaufen der 'epidemischen Lage von nationaler Tragweite' Ende November", heißt es aus Fraktionskreisen der Sozialdemokraten. "In diesem Punkt sind sich die Ampel-Partner einig."

Übergangsregelung wahrscheinlich

Es scheint also alles auf ein Ende des Corona-Ausnahmezustandes hinauszulaufen. Angesichts der Einigkeit im Ampel-Lager wird sich im Bundestag kaum eine Mehrheit für eine Verlängerung finden. Die wohl künftige Opposition aus Union, AfD und Linkspartei ist ebenfalls mehrheitlich dagegen. Ein Ende aller Maßnahmen bedeutet dies indes nicht. Rot-Grün-Gelb wird sich vermutlich auf eine Art Übergangsregelung einigen und auch sonst können die Länder künftig in Eigenregie Maßnahmen erlassen, nur eben auf einem anderen rechtlichen Fundament.

Der "Freedom Day" wird in Deutschland wohl nicht kommen – zumindest noch nicht diesen Herbst.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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