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Corona: "Freedom Day"? In Deutschland fehlt eine Voraussetzung


Für den "Freedom Day" fehlt eine entscheidende Voraussetzung

  • Daniel Mützel
Von Daniel Mützel

25.10.2021Lesedauer: 5 Min.
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Corona-Kontrolle in Berlin: Die Polizei fährt durch den Mauerpark Streife.Vergrößern des Bildes
Corona-Kontrolle in Berlin: Die Polizei fährt durch den Mauerpark Streife. (Quelle: Sabine Gudath/imago-images-bilder)

Das Ende des Corona-Ausnahmezustands nähert sich – doch wie wahrscheinlich ist ein deutscher "Freedom Day"? Drei Lehren aus Großbritannien,

Die Debatte um das Ende der "epidemischen Lage nationaler Tragweite" am 25. November ist weiter im vollen Gange. Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rief am Sonntag erneut dazu auf, den Ausnahmezustand nicht zu verlängern. Die Feststellung der "epidemischen Lage" durch den Bundestag ist Rechtsgrundlage für viele Corona-Auflagen und ermächtigt die Regierung, Maßnahmen ohne Parlamentsbeteiligung zu erlassen.

Spahn warnte zugleich vor einem Ende aller Einschränkungen: Corona sei nicht vorbei. 3G, Maskenpflicht und die AHA-Regeln müssten weiterhin gelten. Als Pflicht, nicht als Empfehlung.

In Deutschland häuften sich zuletzt aber die Stimmen, die eine Aufhebung sämtlicher Maßnahmen fordern. Für einen deutschen "Freedom Day" plädierte auch der Chef der Kassenärzte, Andreas Gassen. Auch die FDP, die vermutlich bald in der Regierung sitzt, pocht schon lange darauf, statt verpflichtenden Regeln nur noch Empfehlungen auszusprechen.

Epidemische Lage light?

Ein Ende der Einschränkungen in Deutschland ist allerdings wenig wahrscheinlich – obwohl auch Grüne und die SPD voraussichtlich gegen eine Verlängerung der "epidemischen Lage" stimmen werden.

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Beide Ampel-Partner haben bereits angedeutet, dass sie nach einer Übergangsregelung streben, die in ein Bundesgesetz gegossen wird. Eine Art "epidemische Lage light", nur eben mit parlamentarischer Beteiligung. So soll ein regionaler Flickenteppich an Corona-Auflagen verhindert werden.

"Freedom Day" für wen?

Trotzdem hält sich die Debatte über einen "Freedom Day" hartnäckig und stiftet Verwirrung. Ursprünglich wurde damit der 19. Juli in Großbritannien bezeichnet, als das Land die Zeit der Corona-Auflagen mit großem symbolischem Tamtam hinter sich ließ. Auch Dänemark feierte bereits seine Rückkehr in die Normalität.

Hierzulande ist der Begriff "Freedom Day" zu einer Projektionsfläche für immer mehr Menschen geworden – insbesondere die vollständig Geimpften –, die sich nach einer Rückkehr zu einem Leben ohne Maßnahmen sehnen: ohne 3G oder gar 2G, ohne die Pflicht zum Maskentragen, ohne Platzbeschränkungen im Büro oder bei Kulturveranstaltungen.

Aber wäre das ein kluger Schritt? Dazu lohnt ein Blick in die Länder, die bereits ihren "Freedom Day" hinter sich haben.

Dänemark und Portugal: Impf-Könige unter sich

In diesem Zusammenhang werden Dänemark und Portugal häufig genannt. Allerdings lassen sich die beiden Fälle nur bedingt auf Deutschland übertragen. Dänemark und Portugal verdeutlichen vielmehr, wie wichtig eine hohe Impfquote ist, um zur Normalität zurückzukehren.

► 75 Prozent der Dänen sind inzwischen vollständig geimpft. Zwar stieg auch in Dänemark die Inzidenz auf über 130, aber die Zahl der Todesfälle und der Intensivpatienten bleibt – dank der großen Impfbereitschaft – auf einem niedrigen Level. Das Land feierte schon vor sechs Wochen das Ende aller Beschränkungen. Hygienemaßnahmen sind seither keine Pflicht mehr, sondern eine Empfehlung. Corona wurde in Dänemark für beendet erklärt.

► In Portugal wurde die Impfkampagne generalstabsmäßig organisiert, mit einem Vizeadmiral der portugiesischen Armee an der Spitze. Militärischer Drill und logistisches Genie haben das kleine südeuropäische Land zum Impfweltmeister gemacht: 85 Prozent der Portugiesen sind vollständig geimpft. Rechnet man die unter 12-Jährigen heraus, für die es ohnehin noch kein Vakzin gibt, landet man bei einer Impfrate von 98 Prozent. Seit Anfang Oktober genießt das Land einen Großteil seiner Freiheiten wie vor Corona. Allerdings gilt in Clubs und Bars weiter die 3G-Regel, ebenso die Maskenpflicht im Supermarkt und in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Dänemark und Portugal machen vor, wie mit einer Impfquote von 75 Prozent plus X die Aufhebung der meisten Maßnahmen erfolgreich sein kann, ohne in die nächste Pandemiewelle zu rutschen. Das unterscheidet sie vom Pionier im "Freedom Day"-Lager: Großbritannien.

Vereinigtes Königreich: Auf den Booster kommt es an

Neben den multiplen Krisen, die die Briten derzeit durchleben – Sprit-Krise, leere Supermarktregale, Attentat auf einen Politiker –, springen auch wieder die Infektionszahlen nach oben. Vergangene Woche meldeten britische Gesundheitsbehörden im Schnitt 46.000 neue Corona-Fälle pro Tag – fast so viele wie Mitte Juli, als die Regierung trotz neuer Tagesrekorde den "Freedom Day" ausrief.

Die vierte Welle trifft dabei besonders Jüngere: Laut der deutsch-britischen Mathematikerin Christina Pagel infizieren sich derzeit täglich über 10.000 Kinder zwischen 5 und 14 Jahren. Vor allem in England spitzt sich die Lage in den Schulen zu: Rund acht Prozent der Schüler in weiterführenden Schulen wurden zuletzt positiv auf Sars-Cov-2 getestet.

Bei der Hospitalisierungsrate sieht es nicht besser aus: Rund 8.200 Corona-Erkrankte werden derzeit in britischen Krankenhäusern behandelt – fast doppelt so viele wie am "Freedom Day" vor drei Monaten. Auch bei den Todeszahlen nähern sich die Briten wieder dem Stand vom Sommer an: In der vergangenen Woche starben rund 1.000 Menschen am oder mit dem Coronavirus.

Im Gegensatz zu Dänemark und Portugal ging das Ende der Corona-Maßnahmen im Vereinigten Königreich also mit einem höheren Wert an Infektionen, Krankenhauseinweisungen und Todeszahlen einher. Der entscheidende Unterschied ist die britische Impfquote, die mit 67,8 Prozent vollständig Immunisierter nur leicht über dem deutschen Wert liegt.

Das Beispiel Großbritannien zeigt zweierlei:

► Bei einer großen Masse Ungeimpfter hat die Sieben-Tage-Inzidenz als zentrale Maßzahl der Pandemie nicht ausgedient. Steigt die Inzidenz signifikant, gehen zeitverzögert auch die Zahlen bei den Todesfällen und die Hospitalisierungsrate nach oben. Das trifft auch auf Deutschland zu: Rund 26 Millionen Ungeimpfte dürften hierzulande die Kliniken im Herbst und Winter auf die Probe stellen.

► Zeit für den Booster: Parallel zu den steigenden Infektionszahlen in Großbritannien melden Kliniken immer mehr Impfdurchbrüche. Betroffen sind vor allem Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen. Bei vielen liegt der zweite Piks bereits über sechs Monate zurück, die Immunisierung nimmt ab. In Deutschland empfiehlt die Ständige Impfkommission daher eine Auffrischungsimpfung für über 70-Jährige. Laut einer neuen Studie aus Israel bietet eine Booster-Impfung mit dem Biontech-Vakzin Jüngeren sogar noch höheren Schutz: Die Wahrscheinlichkeit, schwer zu erkranken oder zu sterben, reduziere sich um das 17,6-fache.

Politik ist in der Pflicht

Am Beispiel Großbritannien lässt sich anschaulich ablesen, was eine Aufhebung aller Maßnahmen bedeuten kann, wenn noch Dutzende Millionen Bürger nicht geimpft sind – entweder weil sie partout nicht wollen oder weil sie noch unsicher sind.

Damit ist die politische Debatte um den "Freedom Day" allerdings mit Sicherheit noch nicht erledigt. Die Frage, ob und wann – trotz ansteigender Zahlen – ein Ende der Maßnahmen anstehen könnte, müssen die nächste Regierung und der neue Bundestag beantworten.

Mit dem Ende der "epidemischen Lage" verschwindet auch die Rechtsgrundlage vieler Einschränkungen. Um neue zu beschließen oder bestehende zu erhalten, bedarf es neuer Gesetze – und einer öffentlichen Debatte.

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