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Interview mit Ahmad Mansour: "Nicht jede Kritik an Muslimen ist islamfeindlich"


Islam-Experte Mansour
"Wir müssen klar benennen, was wir von Zuwanderern erwarten"

InterviewEin Interview von Stefan Rook

05.09.2018Lesedauer: 6 Min.
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Psychologe und Islam-Experte Ahmad Mansour: Warnung vor den fatalen Folgen misslungener Integration.Vergrößern des Bildes
Psychologe und Islam-Experte Ahmad Mansour: Warnung vor den fatalen Folgen misslungener Integration. (Quelle: Heike Steinweg)

Der Psychologe Ahmad Mansour benennt die Probleme von Migration und Integration, bietet aber im Gegensatz zu Thilo Sarrazin Lösungen an. Dennoch findet er:

Der Psychologe und Islam-Experte Ahmad Mansour spart nicht mit Kritik an einem Teil der Muslime in Deutschland. Er warnt jedoch eindringlich davor zu pauschalisieren und "den Islam" und "die Muslime" anzuprangern, wie Thilo Sarrazin es in seinem neuen Buch macht. Im Gegensatz zu Sarrazin hat Mansour Lösungsvorschläge. Und er warnt vor den fatalen Folgen misslungener Integration.

Herr Mansour, Thilo Sarrazin wirft in seinem Buch "Feindliche Übernahme" den Muslimen in Deutschland vor, sie betrieben eine schleichende Islamisierung durch Einwanderung und hohe Geburtenzahlen. Außerdem unterstellt er den Muslimen schlechte Sprachkenntnisse, ein Desinteresse an der deutschen Kultur, Reformunfähigkeit, Rückständigkeit, Wissensfeindlichkeit, Überheblichkeit, Integrationsunwilligkeit und Dialogunfähigkeit mit anderen Religionen. Hat er recht?

Nein. Nicht in dieser verallgemeinernden und undifferenzierten Weise. Natürlich haben wir Probleme. Es gibt unter Muslimen Gruppen, die patriarchalisch und bildungsfern sind. Es gibt auch Islamisten in Deutschland, die wir nicht unterschätzen dürfen. Aber diese Verallgemeinerung, dass jeder Muslim eine Gefahr für Deutschland ist, ist nichts anderes als Panikmache. Sie ist nicht wissenschaftlich, nicht konstruktiv und bringt uns definitiv nicht weiter.


Einige Statistiken wie die Geburtenzahlen bei muslimischen Flüchtlingen und Migranten sowie die höhere Kriminalitätsrate scheinen Sarrazins Thesen zu stützen ...

Das kommt immer darauf an, welche Statistik man nimmt und was man aus der Statistik lesen will. Wie gesagt, wir haben Probleme, aber wir müssen auch sehen, dass es unter den Muslimen eine ganz andere Gruppe gibt. Eine, die sich integriert, die auf Bildung setzt, die Zeit in die Erziehung ihrer Kinder investiert. All diese positiven Entwicklungen sieht Herr Sarrazin nicht. Wir müssen die Muslime differenziert und nicht als homogene Gruppe sehen. Was Herr Sarrazin nicht anbietet, sind Lösungen. Wie können wir kriminelle Migranten erreichen, wie können wir erreichen, dass es mehr Demokraten unter den Muslimen gibt? Es geht nicht um einen Kampf der Religionen oder Kulturen. Es ist ein Kampf zwischen Autoritären und Demokraten. Wir müssen aus den Muslimen Demokraten machen!

Sie fordern ein klares Bekenntnis der Zugewanderten zu den demokratischen Grundwerten und kritisieren in Ihrem Buch "Klartext zur Integration – Gegen falsche Toleranz und Panikmache" auch – aber eben nicht nur – das Verhalten einiger Muslime in Deutschland. Sie sagen: Integration ist und bleibt Bringschuld der Zugewanderten. Was läuft derzeit falsch bei der Integration in Deutschland?

Ahmad Mansour, geboren 1976, ist arabischer Israeli und lebt seit 2004 in Berlin. Er ist Diplom-Psychologe und arbeitet für Projekte gegen Extremismus. Anfang 2018 gründete er Mind Prevention (Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention). Für seine Arbeit erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Moses-Mendelssohn-Preis zur Förderung der Toleranz sowie den Carl-von-Ossietzky-Preis.

Vor allem die Kommunikation. Wir sind unsicher beim Umgang mit anderen Kulturen. Diese Unsicherheit spüren diejenigen, die zu uns kommen und einige versuchen, das zu instrumentalisieren und auszunutzen. Damit Integration funktioniert, muss zunächst die Möglichkeit entstehen, klar zu kommunizieren, was wir von diesen Menschen erwarten. Eine der Sachen, die wir erwarten müssen, ist zum Beispiel, dass jedes Mädchen in diesem Land zum Schwimmunterricht geht. Das ist keine Frage der Kultur, das ist eine Frage der Werte. Dazu gehört auch die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau.

Die andere Sache, die falsch läuft, ist die Definition von Integration. Ich treffe sehr oft Politiker und habe das Gefühl, dass sie Integration als Erwerb von Sprache und Arbeit minus Kriminalität definieren. Nach dieser Definition war Mohammed Atta, einer der Attentäter des Terroranschlags auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001, in Hamburg hervorragend integriert. Es gibt aber noch eine Dimension von Integration, die wir oft vergessen: die Werte. Ich bin erst Teil dieser Gesellschaft, wenn ich das Grundgesetz und damit auch die Gleichberechtigung der Geschlechter, die Religionsfreiheit und die Meinungsfreiheit als Bereicherung für mich und meine Familie begreife und danach lebe. Unsere Integrationskurse und unsere Politik sind derzeit nicht in der Lage, die Werte zu vermitteln.

Was muss Deutschland leisten, damit Integration besser gelingt?

Noch einmal: Wir müssen klar benennen, was wir von den Menschen, die zu uns kommen, erwarten. Das hat nichts mit Rassismus zu tun, sondern mit Entschiedenheit und Rechtsstaatlichkeit. Falsche Toleranz verhindert diese klare Sprache. Und wir müssen die Menschen belohnen, die sich integrieren wollen. Es kann nicht sein, dass Menschen – wie zum Beispiel in Bayern – unabhängig von Integrationsleistungen abgeschoben werden, weil sie aus dem falschen Land kommen. Wir müssen aber auch diejenigen sanktionieren, die nach Deutschland kommen, diese Gesellschaft verachten und Parallelgesellschaften aufbauen. Dazu gehört im Extremfall auch die konsequente Abschiebung von schwer Kriminellen. Denn diese Gesellschaft und ihr Rechtsstaat darf nicht als schwach wahrgenommen werden. Sie muss im Rahmen der Gesetze entschieden auftreten.

Was kann jetzt sofort unternommen werden?

Das Allerwichtigste ist, auch im Hinblick auf die Ereignisse in Chemnitz, die Debatte in der Mitte der Gesellschaft zu führen. In Chemnitz spiegelt sich etwas wider, was in dieser Gesellschaft seit mehreren Jahren zu beobachten ist: eine Polarisierung. Auf der einen Seite Rechtsradikale, die Jagd auf Menschen machen aufgrund ihrer Herkunft. Auf der anderen Seite Linke, die der Meinung sind, über bestimmte Themen dürften wir nicht reden, denn in dem Moment, wo wir darüber reden, bedienen wir die Rechten. Das ist eine polarisierte Gesellschaft, die ich aus Israel kenne. Die Folgen dieser Polarisierung können sehr gefährlich sein, wenn es unseren Politikern nicht gelingt, die Mitte der Gesellschaft zu aktivieren und die vorhandenen Probleme differenziert zu benennen. Wir haben Probleme mit kriminellen Flüchtlingen. Wir haben Probleme mit der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau. Wir haben Probleme mit Islamisten. Die dürfen wir jetzt nicht verschweigen, nur weil Sarrazin darüber schreibt. Was wir aber auch tun müssen: Wir müssen Lösungen und Konzepte zum Umgang damit anbieten. Das vermissen viele und das halte ich zunächst für das Wichtigste.

Sie selbst sind in die Kritik geraten, weil sie Muslime und deren Verhalten in Deutschland kritisieren. Welche Art von Diskurs brauchen wir zu diesem Thema?

Einen differenzierten. Zum Beispiel: Die meisten Menschen, die zu uns kommen, kommen, weil sie hier für sich und ihre Kinder eine bessere Zukunft haben wollen. Sie kommen zu uns, weil sie hier im Wohlstand leben wollen. Was sie aber nicht begreifen, ist, dass diese Errungenschaften ein Produkt der Aufklärung sind. Aufklärung ist Meinungsfreiheit, Religionskritik. Zur Aufklärung gehört, Autoritäten infrage zu stellen und vor allem mündig zu sein. Man kann aber nicht mündig sein, wenn man seinen Glauben buchstabengetreu ausübt. Man kann nicht mündig sein, wenn man an einen Gott glaubt, der nur bestrafen will. Man kann nicht mündig sein, wenn die Familie bestimmt, wie ein Individuum zu leben hat. Wir müssen klarmachen, dass das miteinander verbunden ist, dass Menschen hier nur ankommen, wenn sie begreifen, dass nicht jede Kritik an Muslimen islamfeindlich ist. Kritik zu äußern, hat nichts mit Rassismus zu tun, wenn sie differenziert geäußert wird. Kritik an Autoritäten – dazu gehören auch Religionen – ist Teil von Europa, Teil der DNA dieses Kontinents.

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Was sind die Gefahren, wenn Integration nicht gelingt?

Die Gefahren sehen wir gerade in Chemnitz. Wenn die Gesellschaft polarisiert ist und die Radikalen aller Sorten die Richtung bestimmen. Die Gefahren sehen wir auch in Neukölln, wenn Clans und Parallelgesellschaften unabhängig vom deutschen Rechtsstaat agieren. Eine weitere Gefahr ist, dass Menschen im Namen von Religion gemobbt werden. Das ist der Antisemitismus, den wir in den letzten Jahren erleben. Im Extremfall kommt es zur Radikalisierung von Jugendlichen, die sich dann zum Beispiel dem IS anschließen. Wir dürfen nicht vergessen: 1.000 solcher Jugendlicher, die sich dem IS angeschlossen haben, haben wir verloren. Wir haben inzwischen 12.000 Islamisten, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Das sind alles Produkte einer gescheiterten Integration. Für das Gefährlichste halte ich aber die Polarisierung der Gesellschaft. Daran kann eine Gesellschaft auseinanderbrechen.

Ist Ihr Ausblick auf die nächsten Jahre optimistisch oder pessimistisch?

Ich glaube, dass sich gerade jetzt entscheidet, ob wir auf die nächsten Jahre optimistisch oder pessimistisch schauen können. Wenn die Politik begreift, dass jetzt die Zeit zum Handeln ist, dass jetzt die Zeit ist, Konzepte zu liefern, dass jetzt die Zeit ist, die Debatte weg von den Rändern und in die Mitte der Gesellschaft zu verlagern, dann bin ich sehr optimistisch, dass wir das schaffen können. Wenn wir aber weiter eine passive Politik haben, die nur reagiert, die nicht in der Lage ist, konsequent aufzutreten und diese Debatte für sich zu beanspruchen, dann werden wir in den nächsten Jahren harte Zeiten erleben.

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