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Umweltministerin Hendricks: "Nach mir kommt keine Sintflut"


Umweltministerin Hendricks
Bundesregierung hat nicht genug für Klimaschutz getan

t-online, Jonas Schaible

05.11.2017Lesedauer: 6 Min.
Barbara Hendricks gibt im Interview auch eigene Fehler zu.Vergrößern des BildesBarbara Hendricks gibt im Interview auch eigene Fehler zu. (Quelle: Sascha Hilgers)
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Zum Beginn der Weltklimakonferenz in Bonn zieht die deutsche Umweltministerin eine verheerende Bilanz der vergangenen zwanzig Jahre - und gibt sich trotzdem sehr zuversichtlich.

Ein Interview von Jonas Schaible

Frau Hendricks, Ihr Ministerium hat kürzlich bekannt gegeben, dass Deutschland seine Klimaziele für 2020 verfehlt. Einfache Frage: Wie kann das sein?

Barbara Hendricks: Sie werden dann verfehlt, wenn nicht noch weitere Maßnahmen ergriffen werden. Das könnte in den nächsten drei Jahren aber noch passieren. Die neue Bundesregierung wird das tun müssen.

Die aktuelle Bundesregierung, der Sie angehören, musste das auch schon. Offensichtlich reichte das nicht. Warum?

Das hat verschiedene Gründe. Zum Beispiel stimmen die Annahmen nicht mehr, die den Projektionen zugrunde lagen. Das Wirtschaftswachstum war höher und der Ölpreis niedriger, als wir angenommen hatten.

Die deutsche Wirtschaft ist der vergangenen Legislaturperiode nie um mehr als 1,9 Prozent gewachsen. Das ist kein extremer Boom.

Das ist auch nicht der entscheidende Grund. Entscheidend ist, dass wir bei Verkehr und Energie nicht genug sparen. Es fahren heute mehr Autos. Deren Motoren werden zwar sparsamer, aber die Autos auch größer, dicker, schwerer. Der ganze Verkehrsbereich emittiert mehr CO2 als 1990, da haben wir noch gar keine Fortschritte gemacht. Die erneuerbaren Energien wachsen zwar wie geplant, aber die Stromproduktion aus fossilen Brennstoffen geht nicht so zurück, wie sie könnte. Denn wir haben eine große Stromüberproduktion, wir exportieren viel Kohlestrom, und das verhagelt uns die Klimabilanz.

Wie könnte man das ganz konkret ändern?

Konkret wird die Bundesregierung für die nächsten drei Jahre Schritte einleiten müssen, die rasch vollzogen werden können, zum Beispiel bei der Verstromung von fossilen Energieträgern.

Ich übersetze: Wir müssen schnell aus der Kohle aussteigen.

Ja, aber selbstverständlich wird man nicht alle Kohlekraftwerke innerhalb von drei Jahren abschalten können. Zwar kann man durch nichts schneller und direkter Emissionen einsparen als durch die Abschaltung von Kohlekraftwerken. Dies geht, ohne die Versorgungssicherheit zu gefährden, denn wir exportieren sehr viel Strom, und im Umfang dieses Exports müsste es möglich sein, tatsächlich Kohlekraftwerke stillzulegen. Es geht aber auch nicht, dass immer alle nur mit dem Finger auf die Kohle zeigen.

Die Kohleindustrie kommt mir eigentlich nicht wie ein geprügeltes Opfer vor.

Die anderen Industrien verstecken sich hinter der Kohlekraft. Das kann so nicht weitergehen. Natürlich ist der Wandel dort am schnellsten und am sichtbarsten. Man kann genau messen, was passiert, wenn ein Kohlekraftwerk vom Netz geht. Aber das darf nicht dazu führen, dass die anderen Sektoren sich um ihren Beitrag drücken.

Kanada und UK haben für den Klimagipfel eine Kohleausstiegs-Allianz angekündigt. Wenn Sie sich treffen, was sagen Sie denen? „Schöne Initiative, aber ich will nicht mitmachen?“

Dann sage ich: Schöne Initiative, aber das muss ich der künftigen Regierung überlassen, da mitzumachen. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass meine Nachfolgerin oder mein Nachfolger großes Interesse haben wird. Und eins darf man nicht vergessen: Anders als UK setzen wir beim Kohleausstieg nicht auf Atomkraft. Die Frage ist, wann wir aussteigen, nicht ob.

Bislang hat Großbritannien den Kohlestrom vor allem durch Strom aus Gas ersetzt.

Gas ist auch ein fossiler Brennstoff.

Aber doch viel effizienter als Kohle.

Vollkommen klar. Aber auf Dauer muss man auch Gas ersetzen. Fossile Energieträger müssen bis 2050 irrelevant werden.

Muss Deutschland 2030 oder 2040 aus dem Verbrennungsmotor aussteigen, wie es andere Staaten angekündigt haben?

Ich halte nichts von diesem Streit um Jahreszahlen. Ich gehe davon aus, dass wir dafür kein Gesetz brauchen, sondern dass die Marktkräfte dafür sorgen. Der Druck ist immens, insbesondere weil China in diese Richtung geht. Die deutsche Autoindustrie wird sich umstellen müssen. Die passt ihre Ziele für den Verkauf von Elektrofahrzeugen gerade rasant an, weil sie sonst den Anschluss verpasst. Das wäre das Schlimmste für den Automobilstandort Deutschland.

Sie fahren auf eine Konferenz im eigenen Land und müssen zugeben, dass Deutschland seine Ziele verpasst. Sie wurden mehrfach von ihrem eigenen Parteichef Sigmar Gabriel ausgebremst, als er Wirtschaftsminister war: Sie wollten eine Klimaabgabe für besonders schmutzige Kohlekraftwerke einführen – das scheiterte auch am Wirtschaftsministerium. Sie wollten ehrgeizige Festlegungen im Klimaschutzplan – die schliff auch das Wirtschaftsministerium ab. Sind Sie froh, wenn es vorbei ist?

Nein, ich hätte gerne weitergemacht. Natürlich braucht man als Umweltministerin ein dickes Fell. Die Interessen der verschiedenen Ministerien sind sehr unterschiedlich. Regierungshandeln ist immer das Ergebnis eines Kompromisses, deshalb sind unsere Ziele im Klimaschutzplan nicht so gelandet, wie wir sie formuliert hatten. Da sind einige Kieselsteine rundgeschliffen worden. Das ist nicht zu bestreiten. Trotzdem kann ich mit dem Ergebnis gut leben.

Müsste ich eigentlich mit Sigmar Gabriel sprechen statt mit Ihnen?

Sie sind schon richtig bei mir, ich bin verantwortlich für den Klimaschutz. Aber Klimaschutz ist eben Team Play und das geht nur, wenn die anderen in ihrem Verantwortungsbereich handeln. Die Fachpolitiker müssen etwas beitragen. Wenn nicht alle mitmachen, kann es nicht gelingen.

Was haben Sie selbst falsch gemacht?

Ich bin als Bauministerin bei der energetischen Sanierung des Gebäudebestands nicht weit genug gekommen. Da sparen wir zu wenig CO2 ein. Bei Neubauten ist es klar, da gibt es Regeln, aber im Bestand ist alles freiwillig. Wir hatten vorgeschlagen, dass die steuerliche Abschreibung verbessert wird, da haben wir uns gegenüber den Ländern nicht durchgesetzt, das müssen wir uns ankreiden.

Worauf sind sie stolz?

Stolz bin ich, dass wir alles, aber auch wirklich alles hinbekommen haben, was wir für die Atomendlagersuche jetzt tun können. Und auch der Klimaschutzplan 2050 ist eigentlich richtig erfolgreich, weil es zum ersten Mal gelungen ist, die Verantwortlichkeiten für alle Wirtschaftssektoren genau zuzuordnen. Zum ersten Mal wurde festgelegt, wie viel CO2 zum Beispiel der Energiesektor bis 2030 einsparen muss. Das ist ein großer Erfolg, da wird sich keiner verstecken können.

Union und FDP machen gerade den Eindruck, als wollten sie es zumindest versuchen.

Klar, in den Sondierungsgesprächen tut die FDP so, als hätte sie mit den deutschen Klimazielen nichts zu tun. Aber damals in der schwarz-gelben Koalition nach 2009 hat auch sie zugestimmt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand wirklich eine völlig andere Politik will.

Was macht Sie da so zuversichtlich?

Eine Erfahrung als Umweltministerin ist, dass nicht immer sofort alles gelingt, aber es im Wesentlichen mit Verzögerung doch kommt. So ist das Leben. Da kann man unglücklich sein oder nicht, man muss sich auf jeden Fall Durchsetzungskraft bewahren, auch wenn etwas nicht auf Anhieb gut geht.

Klingt wie: Keine Sorge, nach mir nicht die Sintflut.

Nein, nach mir kommt keine Sintflut. Natürlich wird es weitergehen. Unsere Klimaziele haben wir der Völkergemeinschaft gemeldet. Wir haben uns durch das Klimaabkommen international und völkerrechtlich verpflichtet.

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Sie haben mal gesagt, man muss nicht immer trommeln, um etwas zu erreichen. Wenn Sie die Klimaschutzziele schon nicht erreichen und im eigenen Kabinett ausgebremst wurden, hätten sie wenigstens trommeln müssen?

Ich glaube, dass ich schon sehr deutlich gemacht habe, was zu tun ist und was fehlt. Ich habe schon vor drei Jahren gesagt, es reicht nicht. Dann haben wir den Klimaaktionsplan entworfen. Ich habe für 2030 ganz klare Ziele formuliert, die den einzelnen Sektoren zugewiesen worden sind. Und im Übrigen bin ich die erste, die sich mit der deutschen Klimaschutzbilanz wirklich ehrlich gemacht hat. Wenn man es genau nimmt, hat in den letzten zwanzig Jahren in keinem einzigen Jahr die Regierung – egal welcher Couleur – genug getan, um dahin zu kommen, wo wir hinkommen wollen. Und diese Versäumnisse lassen sich in vier Jahren nicht aufholen.

Heißt das, die deutsche Regierung ist gar keine Vorreiterin beim Klimaschutz?

Doch, sie ist es eigentlich immer noch. Wir sind immer noch beispielgebend durch die Energiewende. Unser Voranschreiten bei der Nutzung der Sonnenenergie hat den Ländern des Südens überhaupt die erst die Chance gegeben, sich in Richtung der erneuerbaren Energien zu bewegen.

Ihre Amtszeit endet bald, konkurrierende Parteien verhandeln eine Koalition. Die Gelegenheit ist günstig, um richtig Druck zu machen. Sie haben nichts mehr zu verlieren. Und trotzdem könnte man Ihre Aussagen in diesem Gespräch zusammenfassen mit: Wird schon alles.

Nein, das sage ich keineswegs. Ich habe immer klargemacht, wie groß die Lücke ist, als die Daten da waren. Und natürlich sage ich in Richtung der Koalitionsverhandler, dass man die Ziele nicht einfach negieren kann, wie die FDP das offenbar will. Das geht nicht. Deutschland ist dazu verpflichtet, seine Ziele einzuhalten, nach internationalem Recht, aber auch im Sinne des Wohlergehens künftiger Generationen.

Das klingt allerdings immer noch sehr präsidial. Sie wollen nicht trommeln.

Dann haben Sie meine Trommel nicht vernommen.

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