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"Berliner Telegraph": So dubios ist die russische Zeitung aus Chemnitz


Russisches Magazin aus Chemnitz
Ist das die dubioseste Zeitschrift Deutschlands?

  • Lars Wienand
  • Jonas Mueller-Töwe
Von L. Wienand, J. Mueller-Töwe, J. Wiebe

Aktualisiert am 11.01.2019Lesedauer: 8 Min.
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Rätselhaftes Magazin: 2014 hat Alexander Boyko (Vordergrund, in der Mitte) den "Berliner Telegraph" gegründet.Vergrößern des Bildes
Rätselhaftes Magazin: 2014 hat Alexander Boyko (Vordergrund, in der Mitte) den "Berliner Telegraph" gegründet. (Quelle: Berliner Telegraph, Instagram; Grafik: Nour Alnader)

Von Chemnitz aus hat sich der russischsprachige "Berliner Telegraph" schnell vernetzt – in Zeiten, in denen staatliche russische Stiftungen Zugang zu russischsprachigen Menschen hierzulande suchen. Eine Spurensuche.

Vielleicht wird dieser Text als Beleg dienen, dass die deutsche Presse "die bösartigste" überhaupt ist. Er stellt vor allem Fragen. Er handelt von einer ominösen russischsprachigen Zeitschrift namens "Berliner Telegraph", die aus dem Nichts kam, die Opfer eines Farbanschlags war, auf Plakaten von Festivals auf der Krim auftauchte und "Pro Chemnitz"-Chef Martin Kohlmann als Geburtshelfer hatte.

Entstanden ist das Blatt in Zeiten, in denen staatliche russische Stiftungen und Verbände russischsprachige Menschen enger an ihre Welt binden wollen. Aber damit will der "Berliner Telegraph" nicht in Verbindung stehen.

Vielleicht ist die Hauptfigur dieses Textes einfach ein Mann mit einem Traum, Naivität und Idealen. Aber dieser Mann tut wenig, um all die Ungereimtheiten um die russischsprachige Zeitung auszuräumen. Er ist der Chefredakteur, heißt Alexander Boyko und schickt auf die Fragen von t-online.de und dem ARD-Politikmagazin "Kontraste" erst einmal einen Artikel, wie bösartig die deutsche Presse sei.

Aus Türkei-Tourismus in sächsischen Journalismus

Dabei wolle sein Magazin doch nur neutral über die deutsche Politik informieren, erklärt er. Man solle sich nur mal die Cover anschauen: Merkel. Seehofer, Schulz, Wagenknecht, Helmut Schmidt, Helmut Kohl. Keine AfD-Politiker. Aber da ist auch diese Geschichte über Pegida.

Was weiß man über diesen Mann und seine erstaunliche Zeitung – und was wüsste man gern, erfährt es aber nicht von ihm?

Boyko hat wohl irgendwann 2013 beschlossen, das Leben in der türkischen Tourismusbranche im warmen Alanya aufzugeben, um nach Chemnitz zu ziehen und einen Kulturverein namens "Tolstoi", eine Bibliothek und eben den "Berliner Telegraph" zu gründen. Da stellt sich die erste Frage, wie jemand in Zeiten der Printmedien-Krise auf die Idee kommt, in Sachsen ein Hochglanzmagazin mit laut Impressum zweistelliger Mitarbeiterzahl aus dem Boden zu stampfen und zu finanzieren. Auch wenn er schon früher als Journalist gearbeitet hat, es ist nicht die logisch nächste Etappe, wenn man im Web als frühere Wirkungsstationen die Ukraine, Moskau, Georgien und Armenien angegeben hat – und man in der Türkei eine Firma "Alekandr Boyko Club 1976 Tourismus Travel Construction Import Export Handel Gesellschaft mit beschränkter Haftung" zurücklässt.

Wenn man Boyko danach fragt, schreibt er über die Motivation, "die Integration russischsprachiger Menschen zu verbessern und ihnen Gelegenheit zu kultureller Betätigung zu geben". Boyko sagt, es habe ein größeres Format gefehlt, "welches die deutsche Politik den russischsprachigen Leuten vermittelt". Zur Höhe der Auflage gibt es widersprüchliche Angaben: mehr als 30.000 oder doch nur 10.000? Boyko klärt nicht auf.

"Das Entscheidende am 'Berliner Telegraph' ist vielleicht gar nicht, wie hoch seine Auflage ist und wie die redaktionellen Inhalte sind, sondern dass er in wichtigen Strukturen platziert ist und Vernetzung vorantreibt", sagt Wilfried Jilge, Osteuropa-Experte und Associate Fellow bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Er beobachtet, dass der russische Staat über auswärtige Kulturpolitik versucht, Einfluss auf russischsprachige Menschen in Deutschland zu gewinnen. "Darüber wissen wir viel zu wenig."

Die Recherchen zeigen: Der Berliner Telegraph hat ein Netz von Filialen, die teils identisch mit russischen Integrations- und Kulturvereinen sind, mit Organisatoren von Messen und Veranstaltungen. Die Vereine sind Verteilstellen und sollen Nachrichten und Anzeigen gewinnen, erklärt Boyko. Zum Start hatte es schon eine Niederlassung in Moskau gegeben, geführt von einem Funktionär der russischen Wirtschaftsjunioren.

Boyko geht in Konsulat und Botschaft ein und aus und wurde 2016 Mitglied im Vorstand des Bundesverbands russischsprachiger Eltern. Den habe er wieder verlassen.

In Deutschland gibt es eine Reihe russischsprachiger Zeitungen und Magazine, einige sind Putin-kritisch, viele unpolitisch, es gibt auch den Fall offener Finanzierung aus Russland, Moskau gab 2015 grünes Licht für ruslife.eu. Und es gibt aus dem Kreis der Medien den Ruf um Hilfe, der "russlandfeindlichen Berichterstattung" etwas entgegenzusetzen. Selbst im Kinderfernsehkanal Kika werde Russland als das "Reich des Bösen" dargestellt.

Noch so eine Sache, die Boyko nicht verrät, ist die Rechtsform seiner Zeitschrift. Manchmal taucht der Chefredakteur in Berichten als "Inhaber" auf. Als im August 2014 in Chemnitz allerdings ein "Kulturverein Tolstoi" gegründet wurde, stand den Registerunterlagen zufolge ein "Berliner Telegraph" als künftige Vereinsarbeit auf der Tagesordnung. In der Satzung heißt es, der Verein verfolge seine Ziele auch durch Herausgabe einer Vereinszeitung. Wenige Tage später, am 25. August, erfolgte die Markenanmeldung beim Deutschen Patent- und Markenamt.

Bei Anmeldung Adresse am Schwarzen Meer

Bei der Anmeldung der Marke gibt der frisch gewählte Vereinsvorsitzende und angehende Chefredakteur Boyko eine Adresse in Batumi an, eine georgische Hafenstadt am Schwarzen Meer. Wann er wie und warum nach Chemnitz gekommen ist, beantwortet Boyko nicht. "Immerhin haben Sie ja nicht nach der sexuellen Lieblingsstellung der Redakteure gefragt, aber fast", steht in einer Antwort von der E-Mail-Adresse des "Berliner Telegraph".

Der Text lässt auf einen muttersprachlichen Akademiker als Verfasser schließen, der deutsche Redewendungen nutzt und noch an der alten Rechtschreibung festhält: "daß" mit "ß". Am Telefon war das ein anderer Boyko: "Morgen Mail" sagte er da kurz angebunden.

Kohlmann bei Suche nach Anwalt kennen gelernt

Bei der Gründung des Vereins und bei der Gründung der Zeitschrift hatte im Jahr 2014 jemand geholfen, der seit einigen Monaten wieder häufiger in den Schlagzeilen auftaucht: Martin Kohlmann, ein vom Verfassungsschutz beobachteter Gründer von "Pro Chemnitz".

Welche Rolle spielt Kohlmann? Fragt man Boyko danach, antwortet er sarkastisch: "Wir entschuldigen uns natürlich dafür, unseren rechtlichen Berater nicht zuvor auf seine politische Gesinnung durchleuchtet zu haben…" Er habe Kohlmann in Chemnitz auf der Suche nach einem russischsprachigen Anwalt kennen gelernt, erklärt Boyko.

Das erste öffentlich sichtbare Lebenszeichen Boykos in Deutschland hat viel mit Kohlmann zu tun. In dessen Account unter dessen Name in dem russischen Netzwerk VK.com tauchte am 4. April 2014 ein Beitrag auf, der mit Boykos Namen unterschrieben ist. Es folgten weitere. Kohlmann und Boyko antworten nicht, wie es so schnell zu dieser engen Verbindung kam.

Das ARD-Magazin "Report Mainz" beleuchtete im September noch andere Aspekte: Boyko habe laut Beratungsstellen für Flüchtlinge gezielt Asylbewerber im Umfeld von Flüchtlingslagern als Mandanten für Kohlmann angeworben. Boyko antwortete damals, Kohlmann sei der einzige russischsprachige Anwalt mit Asylrecht in Chemnitz.

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Lob für die "Propaganda"

Boyko brachte ein Interview mit Kohlmann in das russischsprachige Magazin "Most", das eng mit dem "Berliner Telegraph" verknüpft ist, dort wurde dann in Leipzig eine Erstberatung der Kanzlei nach Voranmeldung angeboten. Die Sprechstunde habe Boyko für die Kanzlei durchgeführt, erklärt "Most" auf Nachfrage.

"Most" selbst ist mit dem "Telegraph" verflochten. Es ist als Partner mit Logo angegeben. Der Verein, dessen Geschäftsführer der "Most"-Journalist ist, ist eine Filiale des "Berliner Telegraph".

Die Chefs von "Most" und "Berliner Telegraph" holten sich Ende 2018 auch gemeinsam Lob vom russischen Generalkonsul in Leipzig. Es war ein Treffen von Gremien, die der deutschen Öffentlichkeit wenig bekannt sind: den Koordinationsräten der russischsprachigen Landsleute aus Thüringen und Sachsen. Bei dieser Gelegenheit dankte der Generalkonsul "für die Propaganda und die konsolidierende Rolle der lokalen Medienportale". So stand es hinterher wortgleich auf der Seite der Stiftung "Russkij Mir" und im "Berliner Telegraph". Mit der Stiftung, die ein zentrales Instrument Russlands ist, um im Ausland Einfluss zu nehmen, habe er nichts zu tun, sagt Boyko.

Das Lob ist eines, von dem sich manche der Beteiligten jetzt distanzieren. Man mache keine Propaganda. Boyko sagt sogar, den "Berliner Telegraph" unterscheide von anderen russischsprachigen Medien in Deutschland, dass er "neutral-positiv" über die deutsche Politik berichte und nicht russische Positionen vertrete. Von der deutschen Presse hat er aber keine gute Meinung. "Mit vorgefertigter Meinung und ihrer Arbeitsweise" treibe sie die Leute wieder zu den russischen Medien. "Sie finden sich durch Sie nicht vertreten", so Boyko zu t-online.de.

Auf ein Bier bei Pegida

Und natürlich ärgert ihn die Frage nach der zweiten Ausgabe, als Pegida-Demonstranten mit "Friede mit Russland"-Cover des rechtspopulistischen "Compact"-Magazins auf der Titelseite erschienen. Darauf würden sich Kritiker stürzen. In der Ausgabe schrieb Boyko im Jahr 2015 jedoch, an den Pegida-Kundgebungen sei nichts Skandalöses. Weil er russisch gesprochen habe, habe man ihn direkt zum Bier eingeladen. "Skandalös und demokratieunwürdig" sei der Umgang der Politiker und der großen Medien mit Pegida. Ihm habe das deutlich gezeigt, "dass ein unabhängiger, seriöser Journalismus jetzt notwendiger als je zuvor" sei.

Der "Berliner Telegraph" bekomme dabei "keine Kopeke" von russischen Stiftungen, erklärt Boyko. Es gebe keine Zuwendungen aus dem Ausland. Allerdings ist der Hauptsitz inzwischen im Russischen Haus der Wissenschaft und Künste in Berlin-Mitte – dort sitzt auch der staatliche Sender "Sputnik". "Wegen der günstigen Miete", erklärt Boyko. "Und der Synergieeffekte durch die Ansammlung russischsprachiger Vereine."

Das Russische Haus belegt auch immer wieder ganze Seiten in dem Magazin, es wird geführt von der Agentur Rossotrudnitschestwo des Außenministeriums, die Kulturaustausch fördern und ein "umfassendes Russlandbild" vermitteln soll.


Noch deutlich mehr Werbung findet sich in dem Magazin vor allem von einem Mann: Martin Kohlmann. Als das erste Magazin im Dezember 2014 erschien, stand Kohlmann nicht nur als "Leiter Rechtsabteilung" im Impressum. In dieser und den folgenden Ausgaben erscheinen ganzseitige farbige Anzeigen für seine Kanzlei an den prominentesten Plätzen.

Kohlmann-Anzeigen in mittlerem fünfstelligem Wert

Wenn es nach der Preisliste geht, hat Kohlmann Anzeigen für einen mittleren fünfstelligen Betrag bekommen und wäre einer der besten Werbekunden unter vielen Pflegediensten und Reisebüros. Kohlmann und Boyko machen dazu keine Angaben. Einmal fand sich eine ganzseitige Anzeige für das Filmfestival "Berlinale". Bestellt oder bezahlt wurde sie von dort nie. Boyko gibt keine Erklärung.

Die Redaktion saß zunächst an Kohlmanns Adresse in Chemnitz. Dort gab es Anfang 2016 zwei Anschläge mit Farbe. Boyko erzählte Sputnik, dass dadurch der größte Teil der Auflage zerstört worden und ein Schaden von 9.000 bis 12.000 Euro entstanden sei.

Er vermutete damals: "Vielen gefallen unsere Veröffentlichungen nicht." Er bezog das auf Berichte über Probleme durch ein Flüchtlingslager und gemeinsame Patrouillen von Russlanddeutschen und Deutschen, "damit syrische und andere Flüchtlinge niemanden angreifen". Die Zwischenfälle seien bis heute nicht aufgeklärt, sagte Boyko dazu t-online.de.

Mit fremden Federn geschmückt

Eine weitere offene Frage, die Boyko nicht aufklärt: Wieso die Logos des "Deutschen Journalisten Verbands" und von "Reporter ohne Grenzen" bislang als angebliche Partner des "Berliner Telegraph" im Impressum zu finden sind. Die Geschäftsstellen reagierten auf Anfrage völlig überrascht und hatten keine Erklärung dafür. Sollte ihr Renommee das Magazin schmücken? Das Magazin wird darauf künftig verzichten müssen.

Auch die "Deutsche Welle" will bis nach einer eingehenden Prüfung nicht mehr zulassen, dass der "Berliner Telegraph" ihre Beiträge abdruckt. Bei unverändertem Erscheinen sei das bisher kostenlos gestattet worden. Gegenseite bei der Vereinbarung sei Alexander Boyko gewesen, persönlich. Auch hier ist kein Hinweis auf eine Firma hinter der Zeitschrift zu bekommen.

Wo der Telegraph dagegen Partner zu sein scheint, dementiert Boyko. Es gibt Fotos von Stelltafeln und Programm eines großen sogenannten Kulturfestivals auf der von Russland annektierten Krim. Dort ist unverkennbar das Logo der kleinen Zeitung aus Deutschland zu sehen. Boyko beharrt aber, man sei kein Partner.

Krim-Festival als PR-Chance

Zwei Mitglieder der Redaktion seien privat dorthin gereist – eines von ihnen, der Bayreuther Alexej Klassin, saß dann dort auch in Jurys von Wettbewerben. Für ihn als Sänger sei das eine Möglichkeit zur PR gewesen, erklärte er t-online.de. Er, sein Reisebegleiter auf die isolierte Krim und Boyko lächeln als "Redaktionsausschuss" in die Kameras, als die Redaktion Einzug ins Russische Haus feiert. Wie viele Journalisten bezahlt für den "Berliner Telegraph" arbeiten, ist wieder eine der Fragen, die Boyko nicht beantwortet.

Kontakte zwischen Redaktion und Festivalveranstaltern seien bei den Feiern zum "Tag des Sieges" in Berlin am 9. Mai entstanden, schreibt Klassins Reisebegleiter. Zu dem Anlass erinnern Tausende Menschen aus den früheren Sowjetrepubliken patriotisch an den sowjetischen Sieg über den Hitler-Faschismus, es werden Kinder in Uniform von Rotarmisten gesteckt und es tauchen "I love Putin"-Plakate auf.


Zum Begleitprogramm gehörte das patriotische Gesangsfestival “Stimme Berlins”, organisiert von Klassin und Boyko, ganzseitig beworben im “Berliner Telegraph”, dem kleinen Magazin mit den großen Fragezeichen.

Das ARD-Politikmagazin "Kontraste" hat in seiner Sendung am Donnerstag unter anderem über russische Einflussnahme in Deutschland und über russische Geldwäsche berichtet.

Verwendete Quellen
  • eigene Recherchen
  • Sputnik: Unbekannte verüben Farbattacke gegen russischsprachige Zeitung
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