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Fall Walter Lübcke: Was wir über seine Ermordung wissen – eine Übersicht


Die Anklage
Was wir über den Tod von Walter Lübcke wissen – und was nicht

  • Jonas Mueller-Töwe
Von Jonas Mueller-Töwe

Aktualisiert am 16.06.2020Lesedauer: 5 Min.
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Regierungspräsident Walter Lübcke (Archivbild): Eine Mordkommission ermittelt.Vergrößern des Bildes
Regierungspräsident Walter Lübcke (Archivbild): Eine Mordkommission ermittelt. (Quelle: Uwe Zucchi/dpa-bilder)

Der CDU-Politiker Walter Lübcke ist ermordet worden. Ein Neonazi wurde verhaftet und hat den Mord gestanden – zunächst. Der Überblick über die Anklage.

Nach dem Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke hat der Neonazi Stephan E. die Tat gestanden und dann sein Geständnis widerrufen. Doch die Beweislast scheint erdrückend, er sitzt weiter in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft geht von einem rechtsextremen Anschlag aus und klagt ihnen wegen Mordes an – auch der mutmaßliche Helfer Markus H. steht vor Gericht. Der Stand der Dinge.

Was ist passiert?

Kassels Regierungspräsident Walter Lübcke wurde in der Nacht zum 2. Juni kurz nach Mitternacht aus nächster Nähe vor seinem Wohnhaus in Wolfhagen-Istha in den Kopf geschossen. Er starb wenig später im Krankenhaus. Der CDU-Politiker hatte Jahre zuvor Morddrohungen von Rechtsextremisten erhalten.

Was wissen wir zu den Tatumständen?

Tatort war die Terrasse von Lübckes Wohnhaus. Tatwaffe ist laut Angaben der Ermittler eine Kurzwaffe – darauf lässt ein am Tatort sichergestelltes Projektil schließen. Die Tatwaffe selbst wurde zunächst nicht gefunden. Erst als zwei Wochen später der Neonazi Stephan E. als dringend Tatverdächtiger ermittelt wurde, fand die Polizei aufgrund seiner Angaben auch die mutmaßliche Tatwaffe.

Welche Spuren belasten Stephan E.?

Eine DNA-Spur am Tatort führte die Polizei zu dem 45-Jährigen. E. legte daraufhin in Vernehmungen ein umfangreiches Geständnis zur Tat und zu seinem Motiv ab. Seine Angaben führten die Ermittler zu einem Erddepot auf dem Gelände seines Arbeitgebers, wo er mehrere Waffen lagerte – darunter einen Revolver des Kalibers .38 Spezial, eine Pumpgun und eine Maschinenpistole. Insgesamt fanden die Ermittler 46 Schusswaffen bei allen Beschuldigten.

Laut Informationen des Nachrichtenmagazins "Spiegel" wurde ein sichergestellter kurzläufiger Revolver aus brasilianischer Produktion von Kriminaltechnikern zweifelsfrei als Tatwaffe identifiziert. Die Bundesanwaltschaft hat den Bericht allerdings bislang nicht bestätigt. E. hat sein Geständnis nach einem Verteidigerwechsel mittlerweile widerrufen und seinen Mitangeklagten beschuldigt – doch auch Zeugenaussagen belasten ihn. Ebenfalls soll das Auto seiner Frau vor Ort in der Tatnacht gesehen worden sein.

Was wissen wir über den Angeklagten?

Stephan E. war über Jahrzehnte hinweg als Neonazi in der Szene aktiv, ist polizeibekannt und hat bereits schwere rechtsextreme Straftaten begangen – darunter einen versuchten Bombenanschlag. Zuletzt blieb er einige Jahre unauffällig und verschwand deswegen vom Radar des Verfassungsschutzes. In diesem Zeitraum, genauer: im Januar 2016, soll er laut Bundesanwaltschaft aufgrund seiner rechtsextremen Gesinnung versucht haben, einen Iraker hinterrücks zu ermorden.

Die Angaben des Angeklagten zu seinem Tatmotiv stimmen mit den Erkenntnissen der Ermittler überein. Laut einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" sagte E., er habe den Mord an Lübcke schon lange geplant – aufgrund von Lübckes Aussagen auf einer Bürgerversammlung 2015.

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Tatsächlich nahm E. nachweislich an der Versammlung teil. Sogar seine Stimme ist auf dem mittlerweile berühmt gewordenen Videoausschnitt zu hören. Nach der Verbreitung der Aufnahme war Lübcke Morddrohungen ausgesetzt und stand unter Polizeischutz – Anfang 2019 wurde dann wieder Stimmung gegen Lübcke gemacht.

E. bestreitet, die Aufnahme angefertigt zu haben. Mit ihm vor Ort war allerdings ein nun der ebenfalls wegen Beihilfe angeklagte Markus H. – ein weiterer Neonazi, der auch mit E. zusammen AfD-Veranstaltungen besuchte. Noch scheinen viele fragen zum zweiten Angeklagten ungeklärt.

Wer sind die weiteren Verdächtigen und Angeklagten?

E. hatte in den Vernehmungen zunächst angegeben, ein Einzeltäter zu sein. Trotzdem hat er durch seine Aussagen mehrere weitere Männer belastet. Zwei von ihnen wurden ebenfalls verhaftet: Der 64-jährige Elmar J. soll E. die Waffe verkauft, der 43-jährige Markus H. das Geschäft vermittelt haben. Laut Bundesanwaltschaft besteht im Falle von H. der dringende Tatverdacht der Beihilfe zum Mord. Das Verfahren gegen J. wurde abgetrennt, der Haftbefehl aufgehoben.

Demnach wusste zumindest H. von E.'s rechtsextremer Gesinnung und nahm die Tat billigend in Kauf. Der Bundesgerichtshof geht sogar davon aus, dass H. den späteren Täter aktiv bestärkte. Er habe von mutmaßlichen Mordplänen gewusst. H. ist ebenfalls seit Langem in der Neonazi-Szene aktiv – gemeinsam mit E. besuchte er 2015 die Bürgerversammlung. Die beiden Männer kennen sich seit vielen Jahren aus der Szene, zuletzt waren sie gemeinsam im selben Schützenverein.

Gehört E. zu einem rechten Terrornetzwerk?

Die Ermittler sind der Frage zumindest nachgegangen. Ob sie im Prozess eine Rolle spielen wird, ist bislang nicht bekannt. Gegenstand von Spekulationen sind seine nachweislichen Verbindungen zur Neonazi-Gruppe "Combat 18", also der "Kampfgruppe Adolf Hitler". Die Gruppe teilt die Ideologie und propagierte Methodik der Terrorgruppe NSU, wie t-online.de berichtete.

E. stand jahrelang in enger Verbindung zu führenden Mitgliedern der Gruppe. Gemeinsam mit ihnen nahm er unter anderem an einem Angriff auf eine DGB-Kundgebung in Dortmund teil. Auch dafür wurde er verurteilt. Umstritten ist, ob er noch kurz vor der Tat an einem Treffen der Gruppe teilnahm. Ein Foto, das seine Teilnahme belegen soll, ist unter Gutachtern umstritten. Ein Neonazi hat sich selbst bezichtigt, der abgebildete Mann zu sein.

  • Gutachten 1: E. ist die Person auf dem Foto (pdf)
  • Gutachten 2: E. ist nicht die Person auf dem Foto (pdf)


Die Gruppe selbst bestreitet jede Verantwortung für die Tat oder eine enge Verbindung zu E. – einer der Männer hatte Tage nach der Festnahme eine Solidaritätserklärung veröffentlicht. Die spätere Dementi-Videobotschaft wurde von einem Maskierten eingesprochen: Dabei soll es sich um einen Vertrauten der NSU-Terroristin Beate Zschäpe handeln.

Was ist mit Verbindungen zum NSU?

Verfassungsschutz und Polizei prüfen laut eigenen Angaben mögliche Verbindungen von E. zu den Terroristen des NSU und ihren Unterstützern. Einem Bericht der "Welt" zufolge war der Verdächtige offenbar im gleichen nationalsozialistischen Verein Mitglied wie der Hauptunterstützer der Terrorzelle, Ralf Wohlleben. Auch die NSU-Terroristen selbst waren demnach in der sogenannten "Artgemeinschaft" Mitglied oder nahmen an Veranstaltungen teil.

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Wie das ARD-Magazin "Panorama" berichtet, wurde der Mitverdächtige Markus H. bereits im Zuge der Ermittlungen zum Kasseler NSU-Mord im Jahr 2006 vernommen. Demnach kannte er das Opfer Halit Yozgat. Auch Stephan E. selbst kommt angeblich in Akten zum NSU vor. Der ermordete Walter Lübcke stand laut einem Medienbericht auf einer Namensliste möglicher Ziele der Terrorgruppe.

Welche Folgen hat der Widerruf des Geständnisses?

Beobachter bewerten den Widerruf von E.s Geständnis als Prozesstaktik. Laut einem Sprecher des Deutschen Anwaltsvereins sind auch widerrufene Geständnisse in einer späteren Hauptverhandlung zu verwerten – beispielsweise in dem Vernehmungsbeamte als Zeugen aussagen. Auch Ermittler erwarten laut SWR keine weitreichenden Auswirkungen des Widerrufs – dafür sei das Geständnis zu detailreich gewesen.

Wie geht es weiter?

Der Mord kommt in Frankfurt vor Gericht, angesetzt sind zunächst 30 Verhandlungstage. Anklage gegen Stephan E. und Markus H. wird vor dem Oberlandesgericht erhoben. Dort beginnt an diesem Dienstag der Prozess. Im Prozess mitverhandelt wird der Vorwurf gegen E., bereits 2016 versucht zu haben, einen Iraker aus rechtsextremen Motiven zu ermorden.

Hinweis: Der Artikel erschien erstmals am 19. Juli 2019 und wird regelmäßig aktualisiert.

Verwendete Quellen
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