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Forscher fordert Umdenken: Testet sich Deutschland die Corona-Zahlen schön?


Forscher fordert Umdenken
Testet sich Deutschland die Corona-Zahlen schön?


Aktualisiert am 19.02.2021Lesedauer: 5 Min.
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Corona-Abstrich: Eine Pflegekraft in Bergisch-Gladbach wird auf das Virus getestet.Vergrößern des Bildes
Corona-Abstrich: Eine Pflegekraft in Bergisch-Gladbach wird auf das Virus getestet. (Quelle: Future Image/imago-images-bilder)

Wie aussagekräftig sind die Zahlen der Neuinfektionen? Sind sie nur niedrig, weil wenig getestet wird? Ein Mikrobiologe hat zum Testgeschehen in Deutschland eine klare Meinung.

Die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland stagniert und flacht nicht, wie erhofft, weiter deutlich ab. Doch was ist der Grund? Hinweise liefert die aktuelle deutsche Teststrategie.

Der Verein akkreditierter Labore in der Medizin (ALM) fand heraus, dass nur 47 Prozent der Laborkapazitäten in Deutschland genutzt werden (Stand: 16. Februar). Woran liegt das? Wie aussagekräftig sind also die aktuellen Zahlen, auf die sich auch Bund und Länder bei ihren Entscheidungen stützen?

In dieser Woche sind bislang 902.494 Coronavirus-Tests durchgeführt worden, schreibt der ALM. Das sind rund 40.000 weniger als noch in der Vorwoche. Insgesamt waren davon 61.270 Tests positiv, in der Woche zuvor rund 75.000. Insgesamt sind seit Pandemiebeginn damit rund 41,8 Millionen Proben getestet worden; mehr als 2,4 Millionen davon positiv.

RKI: Nicht realistisch, alle Corona-Erkrankten zu testen

Achim Kaasch ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene an der Universitätsmedizin Magdeburg. Er hat in den vergangenen Monaten die Pandemie als Forscher hautnah begleitet und sieht Probleme bei der Teststrategie. Etwa wenn Kontaktpersonen aus dem Haushalt eines Infizierten zwar unter Quarantäne gestellt, aber häufig nicht getestet werden.

"Das ist falsch", meint Kaasch. "Man kann das gut am Beispiel einer Wohngemeinschaft erklären: Ist ein Mensch positiv getestet worden und hat schon ein paar Tage Symptome, gehen derjenige und der Mitbewohner in Quarantäne. Der Mitbewohner wird allerdings häufig nicht getestet."

Die Wahrscheinlichkeit, dass der Kontakt ersten Grades ebenfalls infiziert ist, sei hoch. "Auch er könnte die Infektion in der Zwischenzeit weitergetragen haben. Das wird aber nicht verfolgt. In die täglich veröffentlichten Neuinfektionen spielt dieser Mensch auch nicht mit rein", erklärt Kaasch.

Mikrobiologe: "Wird durchaus viel getestet"

Kaasch will damit allerdings nicht sagen, dass in Deutschland grundsätzlich zu wenig getestet würde. Der Forscher verweist auf die Positivrate bei den durchgeführten Tests. Für die sechste Kalenderwoche beträgt sie rund 6,5 Prozent. Würde weniger getestet werden, sei auch dieser Wert deutlich höher. "Daran sieht man, dass durchaus viel getestet wird", sagt Kaasch. Je höher die Anzahl der Tests, desto kleiner die Positivrate.

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Gleichwohl sieht der Forscher Potenziale, um die Zahl der Testungen weiter auszubauen. In Sachsen-Anhalt etwa testen auch die sogenannten Fieberambulanzen, die aber vielfach Anfragen ablehnen müssten. Denn die nationale Teststrategie gibt vor, dass nur kostenlos getestet wird, wer Symptome oder einen direkten Kontakt zu einem Infizierten hat. Kaasch findet, hier müsste es eine Anpassung geben. "Die meisten Menschen lassen sich nicht einfach so testen, sondern haben konkrete Sorge, dass sie sich angesteckt haben."

Das Robert Koch-Institut hat in dieser Woche auf Kritik reagiert und seine Teststrategie angepasst. Auf der Internetseite des Instituts heißt es: Der Fokus bei den Tests liege nun auf allen Personen mit Symptomen jeglicher Schwere, unabhängig von der Herbst-/Wintersaison.

Kaasch: Ansagen an Arbeitgeber gehen nicht weit genug

Mikrobiologe Kaasch sieht auch Chancen durch mehr Testungen am Arbeitsplatz. Arbeitgeber sollten noch viel stärker in die Pflicht bei Tests und der Nachverfolgung von Infektionsketten genommen werden, meint er, vor allem wenn es um große Industrieunternehmen geht. Ihm gehen die Ansagen von Bund und Ländern an dieser Stelle noch nicht weit genug. "Gerade bei großen Unternehmen, wie etwa aus der Fleischindustrie, hat man es gesehen: Dort ist es vermehrt zu Ausbrüchen gekommen."

Arbeitgeber sollten deshalb nicht nur Hygienekonzepte haben, sondern auch auf den Ernstfall vorbereitet sein. Sie sollten wissen, wo das nächste Testzentrum ist und im Fall von Ausbrüchen Mitarbeiter testen, sagt Kaasch. "Es gibt auch Arbeitgeber, die ihren Mitarbeitern nahelegen, nicht über einen Ausbruch zu sprechen", erklärt er. Das könne nicht sein und genau deshalb müsse die Bundesregierung auch für Großunternehmen eine Teststrategie verpflichtend machen.

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Der Mikrobiologe plädiert außerdem dafür, dass Hausärzte mehr Tests durchführen sollten. Zugleich gibt er zu bedenken: "Ich weiß aus meinem Umfeld, dass es Ärzte gibt, die nicht testen wollen. Außerdem ist auch der Anteil von Erkrankten, die sich testen lassen wollen, weniger geworden." Da gebe es vielleicht Symptome, die dann hingenommen werden, ohne dass sich der Infizierte Gewissheit verschafft. Ein Problem, wenn aussagekräftige Zahlen gebraucht werden, um eine dritte Corona-Welle zu verhindern.

Spahn: "Laien-Selbsttests schnell zugänglich machen"

Die Bundesregierung setzt große Hoffnungen auf Schnelltests für den Heimgebrauch. "Wir wollen die Laien-Selbsttests schnell zugänglich machen", kündigte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bei einer Pressekonferenz am Freitag an. Die Schnelltests werde es am Ende überall geben, wie etwa im Einzelhandel. Sie würden der Bevölkerung helfen, "besser mit dem Virus leben zu lernen".


Mikrobiologe Kaasch sieht in den Schnelltests eine Chance, bevölkerungsweit zu testen. Gleichwohl hat er Bedenken. Heute seien schon mehr Antigentests im Einsatz als der aussagekräftigere PCR-Test, etwa in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. "Das kann ein Problem bei der Erkennung von Infizierten sein. Der Antigentest ist nur an den Tagen positiv, an denen der erkrankte Mensch viel Virus produziert", erklärt Kaasch. An anderen Tagen, an denen das Testergebnis eines PCR-Tests bei einer infizierten Person noch sicher positiv wäre, könne der Schnelltest auch negativ sein. Bei einem negativen Antigentest dürfen also die Hygieneregeln nicht vernachlässigt werden. Letztlich komme es darauf an, wie man mit den Testergebnissen umgeht.

Mehr als 4.000 Fälle der britischen Virusmutation in Deutschland

Dem RKI werden dieser Tage mehr und mehr Fälle von ansteckenderen Corona-Varianten gemeldet. In Deutschland sind seit Jahresbeginn durch das Meldesystem 4.071 Fälle der in Großbritannien entdeckten Mutante B.1.1.7 bekannt geworden. Das geht aus einem am Mittwochnachmittag veröffentlichten RKI-Bericht hervor (Datenstand: 15. Februar). Die Fälle stammen demnach aus allen 16 Bundesländern.

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Gesundheitsminister Jens Spahn hatte am Mittwoch gesagt, dass die in Großbritannien zuerst festgestellte Mutation B.1.1.7 mittlerweile mehr als 22 Prozent der Positivfälle in Deutschland ausmache. Auch in Sachsen-Anhalt ist die britische Virusmutation schon nachgewiesen worden. Fünf Prozent der positiven Corona-Fälle in Deutschland können – finanziert vom Bundesgesundheitsministerium – auf Virusmutationen getestet werden. Die Universitätsmedizin Magdeburg sequenziert in Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Verbraucherschutz auch darüber hinaus Proben, weil das Forschungsinteresse an den Daten groß ist.

Tests auf Mutationen nicht immer aussagekräftig

Mikrobiologe Kaasch betont: "Die absolute Zahl bei den Virusmutationen hat nicht viel Aussagekraft, wichtig ist die Dynamik." Die Zahlen unterlägen verschiedenen Effekten. Häufig würden Proben untersucht, wo zuvor Auffälligkeiten aufgetreten waren, etwa wenn es größere Ausbrüche in Einrichtungen wie Pflegeheimen gab. "Werden von dort alle Proben auf die Mutation getestet, Proben von anderswo aber nicht, kann man zu einer falschen Einschätzung kommen." Deshalb seien die absoluten Zahlen derzeit auch so schwer zu beurteilen. Vergleiche man aktuelle Zahlen aber mit denen der Vorwoche, ergebe sich schon ein genaueres Bild.

Die schwierige Einschätzung der Lage macht einen Ausblick auf die nächsten Wochen kaum möglich. Sowohl Mediziner Kaasch als auch der Laborverband ALM wollen sich zu möglichen Lockerungen und deren Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen nicht äußern. Für Kaasch ist dennoch klar: "Die Schulen sollten wieder öffnen. Aber auch das muss man so gestalten, dass es unter Pandemiebedingungen möglich ist und es geht nur mit Einschränkungen." Es bleibe eine Gratwanderung – ob mit oder ohne mehr Tests.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Gespräch mit Achim Kaasch
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