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"Querdenken" | Martin Lejeune rechnet mit Führung ab: "Stand an einer Zäsur"


Vorwürfe und Impf-Geständnis
Insider rechnet mit "Querdenken"-Führung ab


Aktualisiert am 08.10.2021Lesedauer: 7 Min.
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Martin Lejeune: Als Aktivist der "Querdenken"-Szene zeigte er sich zusammen mit den Köpfen der Bewegung – und übt jetzt harte Kritik. (Quelle: t-online)

Erstmals macht ein prominenter Insider aus der "Querdenker"-Bewegung knallharte Kritik öffentlich. Die Führung habe die Querdenker verraten und wolle keine Lösung, sagt Martin Lejeune.

Wenn mal wieder "Querdenker" demonstrierten und Martin Lejeune berichtete, warteten Zuschauer auf zwei Momente. Ruft er: "Es eskaliert!"? Streichelt er Polizeihunde? Der 41-jährige Lejeune, früher als Journalist für renommierte Medien tätig, war einer der Verstärker der Bewegung. Doch jetzt wird er selbst bissig und eskaliert. Insider Lejeune attackiert die "Querdenken"-Führung scharf, weil sie in der Corona-Pandemie gar keine Lösung wolle: "Dann würde ja ihr Geschäftsmodell enden, zu dem dieser Maßnahmenprotest geworden ist", sagt er im Gespräch.

Erstmals bricht damit ein prominenter Vertreter öffentlich mit der Führung. Die Köpfe hätten nichts gegen die Radikalisierung der Bewegung unternommen und zielten skrupellos aufs Geldverdienen. Letzter Impuls sei für ihn der Mord von Idar-Oberstein gewesen – dort hatte ein Maskengegner aus nichtigem Anlass einen Tankwart erschossen.

"Maßnahmenstreit darf nicht zu Gewalt führen"

An diesem Donnerstag ist die Trauerfeier für Alexander W.: "So was darf sich in keinem Fall wiederholen, Maßnahmenstreit darf nicht mehr zu Gewalttaten führen", sagt Lejeune im Interview. Der "Querdenken"-Führung schreibt er eine Mitverantwortung an der Eskalation zu. Dass ein "vermutlich psychisch instabiler" Mensch so weit gegangen sei, "das kann leichter in einem Klima passieren, in dem ein politischer Gegner entwürdigt wird".

Lejeune ist einer breiten Öffentlichkeit dadurch bekannt, dass er sich als Journalist völlig unmöglich gemacht hatte. Er kämpft seit Jahren erfolglos gegen den Ruf als Antisemit, Terroristenfreund und Erdoğan-Verehrer, den er sich mit provokanten Aussagen und Auftritten erworben hatte. Er gewann 2017 den Negativ-Preis "Goldener Aluhut", der an Anhänger absurder Verschwörungsmythen vergeben wird. Dann war es abseits von Auftritten im russischen Propagandasender RT Deutsch ruhig um ihn geworden – bis er mit "Querdenken" ein neues Thema fand.

Doch von der Entwicklung dort hat er jetzt genug. Kritik an der Führung von "Querdenken" hat nach seinen Worten intern niemand hören wollen, sogenannte "alternative Medien" hätten sie nicht veröffentlichen wollen. "Querdenken gibt an damit, den Debattenraum erweitern zu wollen, aber das Gegenteil ist der Fall."

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Schließlich hat er den Kontakt zu t-online gesucht, einst für ihn selbst Feindbild. "Sie sind ein Hassobjekt der 'Querdenken'-Führung". Jetzt dürfte Lejeune selbst Hass ausgesetzt sein und sich neue Feinde machen. Er hat sich in der Vergangenheit oft nicht überlegt, welche Wirkung seine Worte haben könnten.

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Diesmal hat er lange nachgedacht. Vielleicht ist es ihm auch deshalb wichtig, klarzustellen: Er sieht sich noch an der Seite von "'Querdenkern', von den ganz normalen Menschen, die nichts mit Extremisten zu tun haben". Die dürften aber nicht vereinnahmt und missbraucht werden von einer Führung, die sich radikalisiert hat.

Von Anfang an dabei

Lejeune kennt die Bewegung von Anfang an. Er war bereits bei den ersten "Hygienedemos" im März 2020 auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin, er war angetan von Menschen mit Grundgesetz in der Hand und dann von Räucherstäbchen und Gesang. Und er fand, dass Medien die Teilnehmer von Beginn an zu sehr in eine rechte Ecke gestellt hätten. "Das wurde so stark kommuniziert, dass es nicht verwunderlich ist, dass sich Rechtsextremisten angezogen fühlten."

Das förderte jedenfalls seine Solidarisierung mit der Bewegung. Lejeune: "Ich war begeistert von den vielen Menschen, die für 'Querdenken', für Grundrechte auf die Straße gegangen sind. Und ich bin einfach jemand, der mit Herz und Seele dabei ist."

Und manchmal ohne Abstand und Verstand. Das ist das wiederkehrende Problem des Martin Lejeune, und es ist ein großes Problem für einen Journalisten.

Lejeune zu Ballweg: "Geil!"

Ohne Distanz jubelte er "Querdenken"-Gründer Ballweg in einem Interview förmlich zu, als der ein mehrwöchiges Protestcamp in Berlin ankündigte: "Geil!". Hier sprach der Aktivist.

Heute sagt er: "Zu der Zeit habe ich in Michael Ballweg das Potenzial gesehen, so eine Bewegung anzuführen." Er glaube auch, der "Querdenken"-Führung sei es "am Anfang noch darum gegangen, etwas zu erreichen, und deshalb habe ich mich engagiert."

Er hatte deswegen alle Köpfe der "Querdenker"-Führung vor der Kamera und sprach mit ihnen im Hintergrund, er saß bei Ballweg im Garten, bekam von der Firma eines Rotlicht-Barons das Hotel für ein Treffen von "Querdenkern" bezahlt, gehörte zum Kreis handverlesener Teilnehmer beim Strategietreffen mit dem Oberhaupt des selbsterklärten "Königreich Deutschland". Das war für ihn nach seinen Angaben bereits ein Schlüsselerlebnis.

"Reichsbürger"-Pläne gingen weiter

Im Interview berichtet er, dass die Zusammenarbeit mit dem "König" und "Reichsbürger" Peter Fitzek viel weiter angelegt war als öffentlich bekannt. Die Gespräche waren auch fortgesetzt worden, nachdem das aufgeflogene Treffen nach außen hin als Ausrutscher dargestellt worden sei. In den Kreisen gehe es nicht nur darum, "die Gesellschaft weiter zu spalten und staatliche Institutionen zu delegitimieren, sondern es geht auch um ganz viel Geld". In der Führung sei sicherlich der Eindruck entstanden: "Jetzt lass uns doch mal versuchen, so lange wie möglich so viel Geld wie möglich einzusammeln."

Mit all dem will er nichts mehr zu tun haben: Zu viel Aufstachelung, zu wenig Abgrenzung, zu viel Nähe zu Extremisten. Aber er spricht weiter von berechtigten Sorgen und Nöten. "Man darf jetzt nicht anfangen, alle diese 'Querdenker' zu verteufeln und aus der Gesellschaft auszuschließen. Damit leistet man dem Radikalisierungsprozess nur noch potenziell Zuschub." Von "Querterroristen" zu sprechen, sei fatal.

"Bin geimpft, aber das spielt keine Rolle"

Er kritisiert auch, dass auf Ungeimpfte großer Druck ausgeübt werde, "und ich bin kein Impfgegner". Auf mehrfaches Nachhaken verrät er schließlich, dass er selbst sogar gegen Covid-19 geimpft ist. Er kritisiert aber das beharrliche Bohren danach: "Das spielt doch keine Rolle, man sollte Menschen nicht darüber definieren, ob sie geimpft sind oder nicht."

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Es ist aber genau das, was in Teilen der "Querdenken"-Szene extrem passiert. Lejeune erklärt, er sei fassungslos, dass es Brandanschläge auf Impfzentren oder Attacken auf Ärzte gibt. Und wie auf Telegram mit Fehlinformationen Stimmung gemacht werde, sei unsäglich. "Und jetzt wird es wahrscheinlich dort einige entsetzen, dass ich geimpft bin."

Lejeune sagt nun Dinge, die für Teile der Szene unerhört sein dürften: Ausreichende Impfungen seien vermutlich der einzige Weg aus den Problemen, die die Corona-Krise mit sich gebracht habe. Er formuliert sehr vorsichtig: "Es könnte ja sein, das ist aber jetzt reine Spekulation, dass einige Leute so sehr gegen die Impfung mobil machen, damit das Ende der Pandemie und das damit verbundene Ende der Maßnahmen nicht erreicht wird, weil das das Ende des Geschäftsmodells 'Protest' bedeuten würde."

Ein Geschäftsmodell, bei dem Anwälte Menschen zur Teilnahme an verbotenen Demos aufriefen und sich damit selbst ihren Mandantenstamm ausbauten, dabei aber Menschen ins Unglück stürzten.

Er lebt und berichtet im Flutgebiet

Das Interview mit ihm findet statt an der Ahr, an einer Ruine hoch über dem Ort Mayschoß, in dem viele Helfer in vielen schwer beschädigten Häusern arbeiten. Er lebt seit dem 19. Juli im Flutgebiet, ist angereist mit seiner Kollegin Anne Höhne, die einst sehr aktiv im "Demokratischen Widerstand" war, mittlerweile aber auch ausgestiegen ist.

Sie berichten jetzt in Videos von Flutopfern und Fluthelfern, bei denen Corona nicht das vorherrschende Thema ist. Das sind Menschen, die mehr Aufmerksamkeit bekommen sollten, Menschen, für die Lejeune jetzt sein Herz entdeckt hat. "Ich bin gerne da, wo Geschichte passiert, in Gaza, in Istanbul, am Rosa-Luxemburg-Platz und jetzt an der Ahr."

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Aber an der Ahr bereiten ihm die vorherigen Stationen seines Lebens Probleme. Über WhatsApp und per Aushang gab es Warnungen vor ihm: Man solle nicht mit dem querdenkenden antisemitischen Erdoğan-Fan reden. Doch die, die mit Lejeune sprechen, sind oft froh, ihre Geschichte erzählen zu können.

Das hat einen Grund: Er macht sich mit denen gemein, die in seinen Augen keine Stimme haben, in der Berichterstattung untergehen oder unfair behandelt werden. "Mit Herz und Seele." So war es wohl auch schon früher.

Völlig einseitig berichtet

Seine Parteinahme für die terroristische Hamas? Lejeune sagt, er habe in Gaza Kinder der Nachbarfamilie sterben sehen, als Israel 2014 auf andauernden Raketenbeschuss mit Bombardements antwortete. Schließlich sprach er von Völkermord und einem Holocaust gegen die Palästinenser und auf der Al-Quds-Demo in Berlin.

Und sein Erdoğan-Zwischenspiel? Da landete er 2016 zufällig in jener Nacht in Istanbul, in der beim gescheiterten Putsch gegen Erdoğan fast 300 Menschen starben. Er sah die Verletzten und später die Straßen voll mit Menschen, die das Scheitern des Putschs feierten. Diese Sicht habe er in deutschen Medien vermisst, da sei nur der raue Umgang mit den Putschisten Thema gewesen.

Er wollte die andere Seite zeigen, bekam begeisterten Zuspruch von Unterstützern, ließ sich anstacheln und berichtete seinerseits schließlich völlig einseitig, teils schon unfreiwillig komisch. Heute sagt er zur Türkei, dass sich "in der Regierung in der Türkei autoritäre Strukturen immer mehr verfestigt" hätten, er habe sich abgewandt.

Und er lässt heute im Gespräch keine Zweifel am Holocaust und dessen schrecklichem Ausmaß aufkommen, hat sich für frühere Aussagen entschuldigt und geht mit Anwälten dagegen vor, wenn er Antisemit genannt wird. Bomben auf Zivilisten wirft er Israel auch heute noch vor, "aber ich habe kein Problem mit dem Land und den Menschen, und ich finde es schlimm, wenn Juden in Deutschland oder andernorts Aggressionen begegnen".

Radikalisierung auch beim Stream

Er weiß, dass ihm seine früheren Aussagen anhaften. Die Skandale seien berichtet worden, sein Zurückrudern kaum. Er war längst untragbar geworden für renommierte Medien, für die er einst schrieb und berichtete.

Mit den "Querdenker"-Protesten hatte er zumindest ein neues Publikum gefunden, und für seine Aufmerksamkeit spendeten die Menschen. Im Video spricht er aber auch davon, dass es auch dort immer extremer sein muss: "Ich stand auch da an einer Zäsur, will ich da weiter mitmachen, mit diesem verbalen Aufrüsten, um Klicks zu bekommen."

Bei Demos habe er ja gewusst: "Parallel streamt jetzt auch Boris Reitschuster, parallel streamt auch Ignaz Bearth." Und immer drohte die Gefahr, bei einem falschen Wort von YouTube für medizinische Falschinformation in seinen Videos gesperrt zu werden.

Das Problem hat er jetzt nicht mehr. An den Bühnen der "Querdenker" wird man ihn nicht mehr sehen wollen. Da, so sagt er, wurden auch die Reden abgenommen. "Michael Ballweg ließ sich vorher schriftlich geben, was jemand auf der Bühne sagen wollte. Das musste er vorher autorisieren."

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Martin Lejeune
  • MartinLejeune.de: Über Martin Lejeune
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