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Russland-Experte schätzt die Moskaureise von Gerhard Schröder ein


Schröders Moskaureise
"Er will der Welt beweisen, wie er's reißt"

InterviewVon Sebastian Späth

Aktualisiert am 13.03.2022Lesedauer: 5 Min.
Interview
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Gas-Lobbyist Gerhard Schröder: Er ist derzeit wohl zu Gesprächen mit Putin in Moskau.Vergrößern des Bildes
Gas-Lobbyist Gerhard Schröder: Er ist derzeit wohl zu Gesprächen mit Putin in Moskau. (Quelle: Valery Sharifulin/TASS)

Altkanzler Gerhard Schröder spricht mit Präsident Putin in Moskau über den Krieg in der Ukraine. Laut Russland-Experte Hans-Henning Schröder sind seine Erfolgschancen nicht ganz gering.

t-online: Herr Schröder, kann eine einzelne Person Putin in diesem Krieg zum Einlenken bewegen?

Hans-Hennig Schröder: Das wäre wohl eine Überforderung. Denn wir erlebten in den vergangenen Jahren ja, dass Russland nicht verhandlungsfähig ist. Im Kreml ist man nicht bereit, von bestehenden Positionen abzuweichen. Das wurde bei allen Gesprächen, die Putin zuletzt geführt hat, deutlich. Auch bei den Verhandlungen zwischen Ukraines und Russlands Außenministern am Donnerstag war Lawrow zu keinem Schritt in Richtung der Gegenseite bereit. Aber so funktioniert Diplomatie ja nicht.

Das heißt, Putin hat all die Gespräche mit anderen Staatschefs in den vergangenen Monaten nur zum Schein geführt?

So würde ich es nicht sagen. Putin geht in solche Gespräche mit der Erwartung, dass man den russischen Forderungen nachgibt. Das Interessante an Gerhard Schröder ist, dass er Putin in seiner Wagenburg tatsächlich erreichen könnte. Und ihm dann zeigt, was außerhalb davon passiert. Ich schätze nicht, dass diese Gespräche zu einem unmittelbaren Einlenken führen, aber zumindest könnte es die russische Seite dazu bringen, bei bevorstehenden Gesprächen nicht wie ein Betonblock auf der eigenen Position zu verharren.

Hans-Henning Schröder, 73, ist Politikwissenschaftler. Er verfolgt seit Jahrzehnten den Wandel der sowjetischen und russischen Außen- und Sicherheitspolitik und lehrte an der Freien Universität Berlin mit Schwerpunkt Eliten im postsowjetischen Zeitalter. Schröder ist Mitherausgeber der "Russland-Analysen" und des "Russian Analytical Digest". Er lebt in Bremen.

Warum trauen Sie dem Altkanzler etwas zu, wozu weder unser amtierender Bundeskanzler noch Frankreichs und der US-amerikanische Präsident in der Lage waren? Besitzt Schröder mehr Überzeugungskraft als Scholz, Biden und Macron?

Ich glaube, Putin traut Gerhard Schröder. Wohingegen er Scholz und Macron nicht traut. Scholz und Macron verkörpern für Putin den Westen, der ihn über den Tisch ziehen will. Mit Schröder hat er dagegen auch schon während des Irakkriegs vertrauensvoll zusammengearbeitet. Die russische Seite hat spätestens seit 2014 die Vorstellung entwickelt, dass der Westen versucht, Russland einzukreisen, schlimmstenfalls zu vernichten. Aus dieser Haltung heraus lässt sich für mich das Verhalten von Putin und seinem Führungszirkel erklären.

Was bedeutet das für Gerhard Schröder?

Ich weiß ja nicht, mit welcher Botschaft Schröder anreist, aber ich könnte mir vorstellen, dass Putin Schröder als jemanden wahrnimmt, mit dem man von Mann zu Mann reden kann. Damit wäre er zumindest mal einen deutlichen Schritt weiter als Scholz und Macron.

Warum hat ausgerechnet die Ukraine Schröder als Vermittler angefragt? Die ukrainische Regierung hat ja zuletzt nicht mit Kritik an ihm gespart.

Der ukrainische Botschafter hat dementiert, dass es eine offizielle Anfrage der ukrainischen Regierung war. Ich kann mir stattdessen aber vorstellen, dass Schröder von einem seiner Freunde aus der Ukraine gebeten wurde, mit Putin zu verhandeln.

Was hat Schröder dann letztlich zu diesem Trip bewegt? Seine Selbstüberschätzung?

Ich glaube, er will der Welt beweisen, wie er's reißt. Denn sich nun von der eigenen Partei verhauen zu lassen, kann ihm nicht gefallen. Jetzt seine Beziehungen unter Beweis stellen zu können und am Ende tatsächlich etwas bewegen zu können, das wäre ja ein schönes Kapitel in seiner Biografie. Ich denke, das motiviert ihn schon, neben seiner aufrichtigen Sorge um die Bevölkerung in der Ukraine.

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Unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs bewerten viele die Bilanz der Ära Merkel auf einmal viel negativer als noch vor wenigen Wochen. Hätte sie um Umgang mit Putin stärker eine Abschreckungspolitik verfolgen müssen?

Hätte vor zehn Monaten jemand gesagt, lasst uns mal 100 Milliarden in die Bundeswehr stecken, kann man sich vorstellen, was los gewesen wäre in dieser Republik. Man hätte Merkel so schnell fallen lassen, eine heiße Kartoffel ist nichts dagegen.

Dennoch: Hat Merkel die von Russland ausgehende Gefahr unterschätzt?

Sie ist wahrscheinlich wie die meisten Beobachter davon ausgegangen, dass der russische Präsident eine rational handelnde Person ist. Das war ja über viele Jahre eine begründete Annahme. Die Annexion der Krim 2014 war schon ziemlich frech von Putin, aber das hat für ihn ja keine ernsthaften Folgen gehabt. Aber diesmal hat sich Putin in der Bewertung der Risiken weit über das Erwartbare hinausgewagt – und sich fundamental verschätzt.

Hätte Putin sich solch eine Aggression, wie wir sie jetzt erleben, mit einer Kanzlerin Merkel an der Spitze Europas getraut?

Sie meinen, er hatte Angst, dass sie ihn bei den Ohren gekriegt hätte?

Zumindest hieß es immer, wenn Putin jemanden respektiert, dann Merkel. Glauben Sie, Putin hat mit dem Angriff auf die Ukraine bis zu Merkels Abtritt gewartet?

Ich weiß nicht, ob das der Grund war. 2014 hat Merkel ihn auch nicht von der Annexion der Krim abgehalten. Wahrscheinlich hat ihn die Annexion der Krim zu seinem jetzigen Schritt sogar ermutigt. Ich gehe davon aus, dass er deshalb die Reaktionen massiv unterschätzt hat.

Haben Sie eine Theorie für den Zeitpunkt der Eskalation?

Es ist ein Prozess: die Enttäuschung durch den Westen, die schwindende innenpolitische Macht, ein wachsender Teil der Bevölkerung ist von ihm enttäuscht. Er hat sich immer mehr verfangen in der Vorstellung: Der Westen ist der Feind, ihm gegenüber muss man das echte Russentum aufbauen, mit traditionellen Familienwerten.

Der Gegenentwurf dazu ist das von Russland entworfene Bild eines verderbten Westens, des "schwulen Europas". Er braucht Feindbilder, um das eigene System zu stärken. Und dann bezog er sich auf die Formel aus der Zarenzeit: Russland ist ganz allein und hat nur zwei Freunde: seine Armee und seine Flotte.

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Laut russischem Außenministerium wolle man die Regierung in Kiew nicht mehr stürzen. Ist das das erste Einknicken Putins, weil er die militärische Stärke der Ukraine unterschätzt hat oder eher ein gezieltes Täuschungsmanöver?

Ich war auch überrascht, immerhin hatte Putin die ukrainische Regierung zuvor als Drogensüchtige und Faschisten bezeichnet. Das Problem ist: Niemand kennt seine Pläne und weiß, was er militärisch erreichen wollte.

Was denken Sie über Putins Pläne?

Sicher ist nur, dass er die beiden "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk im Osten der Ukraine militärisch sichern und ihr Territorium erweitern wollte. Was er sicher auch wollte, war, die Wasserversorgung der Krim sicherzustellen. Die Krim erhielt früher ihr Wasser über den Nord-Krim-Kanal, den die Ukraine nach der Annexion der Krim unterbrochen hat. Den haben jetzt russische Truppen besetzt.

Was noch?

Ferner wollte man offenbar eine Landverbindung von den "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk bis zur Krim schaffen. Da liegt Mariupol im Wege, das jetzt hart umkämpft wird. Es war wohl auch der Plan, die ukrainische Führung zu "neutralisieren" und eine Marionettenregierung einzusetzen. Jetzt ist der Widerstand in der ganzen Ukraine so groß und die verhängten Sanktionen so weitgehend, dass er bereit ist, sich auf eine Vereinbarung mit der bestehenden Regierung einzulassen. Natürlich zu Putins Bedingungen, denn eine militärische Niederlage droht ihm nicht unmittelbar.

Würde die Ermordung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Putin noch in die Hände spielen?

Er würde damit einen Märtyrer schaffen. Es ist die Frage, ob dem Kreml ein toter Selenskyj nicht gefährlicher wäre als ein lebendiger.

Herr Professor Schröder, ich danke Ihnen für dieses Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Telefonisches Interview mit Hans-Henning Schröder am 11.03.2022
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