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Christian Lindners rätselhafte Gelbphase: Dilemma bei der FDP


FDP-Dilemma mit der Ampel
Plötzlich ist die Union der Feind


Aktualisiert am 22.04.2023Lesedauer: 5 Min.
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Wie geht es weiter? Christian Lindner beim FDP-Bundesparteitag in Berlin. (Quelle: IMAGO/Achille Abboud)

Noch immer suchen Christian Lindner und die FDP den richtigen Weg in der Ampel-Koalition. Die schwer lösbare Aufgabe lautet: Regieren und trotzdem profilieren.

Mit der FDP ist es ein bisschen wie bei Gelbphasen an Verkehrsampeln: Soll ich lieber bremsen und auf Grün warten oder besser mit Vollgas der nervigen Rotphase entgehen, aber dafür einen Strafzettel riskieren? Weil ihnen die Entscheidung so schwerfällt, machen Christian Lindner und die Liberalen mit der Ampel beides: Sie bremsen, geben Vollgas und kommen dabei ganz schön ins Schleudern.

Um in dieser Bildsprache zu bleiben: Die FDP ist eine Autofahrerpartei und darum fliegen Christian Lindner die Herzen der Anwesenden natürlich zu, als er von der Liebe zum Automobil spricht: "Das Leben mit Verbrennungsmotor im Thüringer Wald ist nicht besser oder schlechter als das Leben mit Lastenfahrrad im Prenzlauer Berg", ruft er den Delegierten beim Bundesparteitag in Berlin entgegen. Und die reagieren mit Jubel, Applaus und lachenden Gesichtern. "Wir urteilen nicht über Lebensstile", sagt er und wagt ein bisschen Kulturkampf.

Am Ende dieses ersten Tages wählen ihn die FDP-Delegierten mit 88 Prozent wieder zu ihrem Parteivorsitzenden. Und das, obwohl die Liberalen inzwischen in 5 von 16 Landesparlamenten nicht mehr vertreten sind. Auch bei den kommenden Landtagswahlen in Bremen, Bayern und Hessen muss die FDP um ihren Einzug bangen. Aber Christian Lindner hat diese Partei eben nach schmachvollen außerparlamentarischen Jahren wieder in den Bundestag geführt. Das wird ihm hier nicht vergessen.

Und trotzdem ist sie zu spüren: die Angst davor, eine Rein-raus-Partei zu sein. Bei den 88 Prozent für Lindner werden die vielen nicht abgegeben Stimmen nicht mitgerechnet. Genau genommen haben damit sogar nur 79,5 Prozent für ihn gestimmt.

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Es bleibt ein Dilemma der freien Demokraten: Der mühsam erarbeitete Erfolg droht ausgerechnet in der selbst so benannten "Fortschritts-Koalition", der Ampel mit Grünen und SPD, wieder kassiert zu werden. Grenzen sich die Liberalen zu sehr ab und brechen Streit vom Zaun, hilft ihnen das nur bedingt. Treten sie zu leise auf, drohen sie unterzugehen. Weil Regieren heißt, Kompromisse zu schließen, birgt das immer die Gefahr von Enttäuschung der eigenen Wählerschaft. Vor allem bei jenen, die eigentlich viel lieber wieder mit der Union regieren würden.

Koalition ist Mist

In einem Raum neben der Rednerbühne steht der FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann. Porträtfotos werden gerade von ihm geschossen. "Christian Lindner hat den Wechsel vollzogen, vom heimlichen Oppositionsführer zum offensichtlichen Staatsmann", lobt er seinen Parteichef, nachdem er dessen Rede gehört hat. Er glaube, dass dieses Gefühl auch auf die Stimmung der Delegierten zutreffe. "Die sind jetzt auch Delegierte einer regierungstragenden Partei", sagt er t-online.

Buschmann drückt damit aus, worum es für die Partei gehen muss: die Lust an dieser Ampel wecken, auch bei den abwandernden, einstigen FDP-Wählerinnern und -Wählern. Aus der Nacht nach den geplatzten Jamaika-Verhandlungen mit Angela Merkel stammt der berühmte Satz von Christian Lindner: "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren." Die Menschen jetzt davon zu überzeugen, dass es richtig ist, stattdessen mit Grünen und SPD zu regieren, ist eine ziemliche Herausforderung.

Marco Buschmann aber ist für Lindner einer von diesen Garanten für die erfolgreiche Profilierung der FDP in der Ampel-Regierung: "Es ist das Verdienst unseres Bundesjustizministers", lobt er etwa den liberalen Erfolg bei den erreichten Lockerungen der Corona-Maßnahmen in seiner Rede. Es sei immer der Staat, der begründen müsse, wenn er die Freiheit einschränke. "Nicht die Bürger müssen das begründen." Lindner will den Blick weg von den Kompromissen lenken. Dorthin, wo Regieren vor allem heißt, als FDP gestalten zu können.

Der Feind soll schwarz sein

Das alles soll aber offenbar gar nicht auf Kosten der Koalitionspartner gehen. Die Grünen und besonders die SPD werden von Lindner und den Liberalen in Berlin auffällig geschont. Dagegen teilt man vor allem gegen die alten Koalitionspartner von CDU und CSU aus. Vielleicht liegt es daran, dass man in der Wählerschaft der Konservativen für die Liberalen glaubt, mehr holen zu können als bei Grünen und Sozialdemokraten. Den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder nennt Lindner jedenfalls einen "großen Baum-Umarmer", der seine politischen Ansichten andauernd wechsle. Dessen Politik sei nicht "Mia san mia", sondern "I werd narrisch".

Und auch sonst schont Lindner die CDU und CSU nicht: Zu den Lebenslügen der Konservativen gehöre es etwa, dass sie ignoriert hätten, dass Deutschland nun mal ein Einwanderungsland sei. Dass er als Finanzminister jetzt so sparen müsse, daran sei ebenfalls die Union schuld. "Jetzt kommt der Bumerang der unsoliden CDU-Finanzpolitik zurück", sagt er. Die neuen Steuervorschläge der Union geben ihm weiteres Futter.

Lindners Stellvertreter Johannes Vogel reimt später auf der Parteitagsbühne: Grün könne die FDP nicht schrecken, Schwarz aber könne das Herz niemals erwecken. Und obwohl der liberale Verkehrsminister Volker Wissing gerade von den Grünen viel Kritik einstecken muss, gilt auch er als Befürworter der Ampel und soll schon jetzt mit einer möglichen Zweitauflage in der nächsten Legislatur liebäugeln.

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Die Wähler müssen es noch verstehen

Trotz all der Streitigkeiten um Robert Habecks Heizungspolitik wirkt es auf dem Berliner Parteitag so, als sehe zumindest die FDP-Führung ihre politische Zukunft eher in der Ampel als mit der Union. Ohne Zweifel würde man zwar bei einem entsprechenden Wahlergebnis mit der Union regieren, aber auch der FDP-Landesvorsitzende Christoph Meyer lobt, was mit der Ampel alles möglich sei: "Wir haben viel erreicht, etwa beim Zuwanderungsrecht. 16 Jahre lang gab es keine Bereitschaft bei der Union, ein modernes Einwanderungsrecht zu schaffen."

Das Problem: Die FDP-Wähler scheinen davon noch nicht überzeugt zu sein. "Unser Wählerpotenzial hat im letzten Jahr mit der Bundesregierung gefremdelt", sagt Meyer. Man arbeite jetzt daran, die FDP-Positionen in der Ampel klarer hervorzuheben. Die aktuellen Umfragen zeigten, dass das auch ganz gut gelinge. Die drei Parteien hätten nun mal unterschiedliche Programme, Ansätze und Unterschiede in der Debattenkultur, die aufeinanderprallen, sagt Meyer. "Das muss man erst mal austarieren und das gelingt immer besser."

Die Unruhe sanft umlenken

Eine Liberale, die in den vergangenen Monaten oft für Unruhe in der Koalition sorgte, ist Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Ihre oft unverhohlene Kritik an einem zögerlichen SPD-Bundeskanzler hat sie im Ukraine-Krieg zu einem beliebten Gesicht der Medien gemacht. Für die Koalition ist sie hingegen für viele eine Belastung. Sie soll nun von Berlin als Kandidatin für das Europaparlament nach Brüssel gehen. Die bösen Interpretationen dieses Schachzugs lauten: Strack-Zimmermann weiß, dass ihr Parteichef sie in Berlin nichts mehr werden lassen wird. Als Christian Lindner dann auf dem Parteitag wiedergewählt wird, ist sie trotzdem eine der ersten Gratulantinnen und fällt ihm herzlich um den Hals.

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"Mich lobt niemand irgendwohin. Ich habe es dem Vorstand angeboten", sagt sie zu t-online. Und sie freue sich sehr, dass der Parteivorstand sie dann auch nominiert habe. "Die EU ist kein Abstellgleis für ausrangierte Politiker. Das galt vielleicht vor 25 Jahren", sagt Strack-Zimmermann. "Ich komme aus der Lokalpolitik. 90 Prozent der politischen Entscheidungen in Brüssel betreffen am Ende die Menschen in den Kommunen." Darauf wolle sie Einfluss nehmen.

Als bekanntes Gesicht erhoffen sich viele von ihr, die FDP-Anliegen auch auf EU-Ebene deutlicher als bisher zu vertreten. Unruhe wird Strack-Zimmermann wohl darum auch in Zukunft stiften wollen, gerade im Feld der Außen- und Verteidigungspolitik. "Die Zukunft der Sicherheitspolitik ist offensichtlich europäisch", sagt sie und dass sie in den vergangenen Monaten in ganz Europa unterwegs gewesen sei. "Überall wartet man darauf, dass Deutschland endlich führt. Wir sind da noch immer viel zu zögerlich." Gemeint ist damit nach wie vor der Bundeskanzler. Von Brüssel aus haben solche Aussagen aber weniger Störpotenzial als im Deutschen Bundestag.

Die Gelbphase der FDP in der Ampel soll nach dem Willen von Christian Lindner weiter andauern. Seine Autofahrerpartei soll Vollgas geben, ohne zu bremsen und ohne wieder ins Schleudern zu geraten und ohne aus den Parlamenten zu fliegen. Ganz nach dem Motto: Freiheit for Future.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen, Gespräche und Beobachtungen vor Ort
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