Aufstieg der AfD "Das war ein weitreichender Fehler der Ampel"
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die AfD radikalisiert sich – und erzielt trotzdem bessere Umfragewerte denn je. Experten warnen allerdings davor, für das Hoch nur die unglücklich agierende Regierung verantwortlich zu machen.
Schuld haben immer die anderen. So lässt sich das Spiel beschreiben, das im politischen Berlin gerade wieder Hochkonjunktur hat. Denn ein Wert sorgt für große Unruhe: 18, manchmal sogar 19 Prozent Zustimmung holt die AfD in aktuellen Umfragen. Trotz ihres immer radikaleren Auftretens in den vergangenen Jahren hat sie derzeit so viel Zustimmung wie die Kanzlerpartei, wird zum Teil sogar als zweitstärkste Partei hinter der Union ausgewiesen.
Während die einen schon den Untergang der Demokratie befürchten, gehen andere auf Spurensuche: Wer trägt für den Aufstieg der AfD die Verantwortung?
Für die Führungsriege der Union ist die Frage leicht zu beantworten: "Diese Regierung nährt die AfD", sagte CDU-Chef Friedrich Merz dem ZDF. Er wischte so auch den Vorwurf vom Tisch, dass die CDU sich unter seiner Ägide keineswegs anschickt, die AfD zu halbieren, wie Merz bei seinem Amtsantritt noch versprochen hatte. Und auch für viele Leitartikler ist klar: Die Ampel ist schuld am aktuellen Höhenflug der in Teilen rechtsextremen Partei.
Tatsächlich hat die Koalition aus SPD, Grünen und FDP viele Dinge falsch gemacht – angefangen beim anhaltenden Streit über das Heizungsgesetz. Die AfD aber ist schon immer ein Auffangbecken für Protest, Ängste und Widerstand jedweder Couleur gewesen. Und ihr jüngster Aufstieg begann keineswegs erst in diesen Chaoswochen der Regierung.
Was also sind die Gründe dafür, dass die AfD so stark ist?
Sprung oder Strohfeuer?
Zunächst lohnt ein Blick auf die Zahlen. Das Gleichziehen mit der Kanzlerpartei SPD mag nun besondere Aufregung erzeugen, ihren größten Sprung legte die AfD aber bereits im Spätsommer 2022 hin. Da blickte die Nation gespannt auf die Stände von Gasspeichern und fürchtete einen kalten Winter. Bei der AfD war damals Feierstimmung: Von 10 auf 15 Prozent schoss sie in Umfragen nach oben.
Der aktuelle Anstieg um weitere zwei bis drei Prozentpunkte in mehreren Umfragen liegt auch an der sogenannten Fehlertoleranz von demoskopischen Erhebungen. Wenn für eine Partei wie jetzt die AfD 18 Prozent ausgewiesen werden, müsste es präziser heißen: Sie liegt irgendwo zwischen 16 und 20 Prozent. Das aktuelle Hoch könnte deshalb auch statistische Gründe haben.
Der Wahlrechtsexperte Thorsten Faas, Professor für Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin, hält die aktuelle Aufregung deshalb für unglücklich. "Ob die Partei gerade wirklich einen weiteren Sprung nach oben macht oder wir ein Strohfeuer beobachten, das wissen wir nicht", sagte er t-online.
Doch selbst 15 oder 16 Prozent sind ein starker Wert für die AfD, die bei der Bundestagswahl 2021 nur auf 10,3 Prozent kam. Der Kommunikationswissenschaftler und AfD-Experte Johannes Hillje sieht mehrere Faktoren und Akteure, die zu dem Aufstieg in den vergangenen Monaten beigetragen haben. "Zusammengefasst lässt sich sagen: Alle Parteien haben ihren Anteil daran", sagte Hillje t-online.
"Union macht AfD-Positionen anschlussfähig"
Gerade CDU und CSU, deren Spitzen nun geschlossen auf die Ampel deuten, ist nach Einschätzung von Hillje für die derzeitige Entwicklung mitverantwortlich. "Die Union normalisiert die AfD am ehesten, weil sie wiederholt rechtspopulistische Narrative und Positionen der AfD übernommen hat", sagt er. "Sie macht AfD-Positionen somit in der Mitte anschlussfähig."
Ein Beispiel: Mit dem Schlagwort "Energie-Stasi" zog die Union gegen die geplante Wärmewende der Ampel ins Feld. Die Regierung in die Nähe einer Diktatur zu rücken, entspricht allerdings den klassischen Methoden der AfD. Sie wirft der Ampelregierung gerne eine "DDR 2.0" oder eine "Ökodiktatur" vor. "Die ‚Energie-Stasi‘ der Union vereint gleich beides miteinander", so Hillje.
Kulturkämpfer gegen den "Woke-Wahn"
In Bayern, wo im Herbst gewählt wird, dreht Ministerpräsident Markus Söder gerade auf. Er wettert in seinen Reden gegen Wokeness, Veganismus – und vor allem die Grünen. Die sind mit ihren geplanten ökologischen und sozialen Reformen allerdings auch der erklärte Hauptgegner der AfD.
"Markus Söder ruft in Bayern den Kulturkampf aus, markiert die Grünen als Feind", sagt Hillje. "Söder spricht im Wahlkampf schon wieder die Muttersprache der AfD: rechtspopulistisch."
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Söder hat schon einmal versucht, die AfD rechts zu überholen. Nach der Bundestagswahl 2017 versuchte er, ihr Stimmen mit einem harten Kurs in der Migrationspolitik abzujagen. Sein Versuch scheiterte allerdings und gilt inzwischen als Paradebeispiel dafür, wie Konservative durch das Kopieren der AfD lediglich das Original stärken.
Söder hat den Fehler wiederholt selbst eingestanden und Besserung gelobt. Im Februar bekräftigte er noch einmal im Gespräch mit der "Bild": "Ich bin heute der festen Überzeugung, dass das eine Fehleinschätzung ist."
Nun aber, analysiert Hillje, verfolge Söder wieder dieselbe Strategie – nur eben nicht auf dem Feld der Migration, sondern mit Blick auf Kultur und Gesellschaft. Mit ähnlichem Ergebnis: Mit 12 Prozent ist die AfD in Bayern gerade so stark wie in fast keinem anderen westlichen Bundesland – Tendenz steigend. "Söder lernt offenbar nicht aus seinen Fehlern", so Hillje.
Ampel befeuert Ängste der Mittelschicht
Frappierende Fehler, die der AfD in die Hände spielen, machen auch die Ampel-Koalitionäre. Jüngstes Beispiel: das Heizungsgesetz, das in einem frühen Entwurf publik wurde, den Bürgern einiges an Verständnis und Geld abverlangt – und über das die Regierung immer noch uneins ist.
"Die AfD profitiert von materiellen und ökonomischen Abstiegsängsten in der Mittelschicht", sagt Hillje. "Diese Ängste wurden durch die Debatte um das Heizungsgesetz befeuert." Dass im ersten Gesetzentwurf die soziale Abfederung fehlte, also die Erklärung, wie der Staat die Bürger bei den großen Investitionen unterstützen will, bezeichnet Hillje als "weitreichenden Fehler der Ampel".
Auch mit Blick auf kommende Klimamodernisierungen sieht Hillje hier ein Problem: Die nämlich verlangten den Bürgern einiges ab, die Ampel aber zeige dafür wenig Gespür. Nach wie vor hätten sie vor allem ihre eigene Klientel im Blick, nicht die breite Bevölkerung. Die Grünen führten weiter Anti-Auto-Kämpfe, die FDP mache destruktiv Opposition in der Regierung.
Scholz' Kommunikationsproblem
Ein besonderes Problem sei dabei Olaf Scholz. Der Kanzler rede über Klimapolitik vor allem als industriepolitisches Projekt. "Er scheut die Debatte um die Klimaschutzpolitik und was sie dem Einzelnen abverlangen wird", kritisiert Hillje.
Dabei folge Scholz seiner Kommunikationsstrategie: Wenig reden und erklären – die Ergebnisse sollen für sich sprechen. Diese Strategie aber gehe gerade bei Klima- und Wärmewende nicht auf, denn die Kosten träfen die Bürger rasch, Resultate aber ließen sich erst nach langer Zeit belegen. "Das ist ein Problem des Kanzlers – da stößt die Kommunikationsstrategie von Scholz an ihre Grenzen."
Mehr Empathie, mehr Einigkeit und Erklärungen, mehr Rücksicht auf Milieus, die nicht SPD, Grüne oder FDP wählen – das empfiehlt Experte Hillje, um die AfD nicht weiter zu stärken. "Es braucht eine klimapolitische Kultursensibilität, ein Einfühlungsvermögen in die Alltagskultur von Menschen und die konkreten Veränderungen, die durch die Klimapolitik entstehen."
Schuldzuweisungen statt Strategie
Neben den Fehlern, die der AfD in die Hände spielen, ist aus Sicht von AfD-Experte Hillje vor allem eines auffällig: dass nach wie vor keine Partei eine gute Strategie im Umgang mit der AfD gefunden habe. Ja, dass sich nicht einmal abzeichne, dass sie sich intensiv mit dem Problem auseinandersetzten und auf der Suche nach neuen Wegen seien, Wähler im demokratischen Spektrum zu halten.
Stattdessen, so bleibt zu befürchten, werden die Schuldzuweisungen wohl noch eine ganze Weile kreisen, spätestens beim nächsten Umfrage-Hoch der AfD neue Konjunktur erhalten. Das aber dürfte vor allem eine Partei stärken: die AfD.
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- Eigene Recherchen
- Anfrage an Thorsten Faas, Johannes Hillje
- tagesschau.de: "Zufriedenheit mit Ampel-Regierung auf Rekordtief"