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Bremen-Senator zu AfD-Verbot: "Reicht nicht, gute Beweismittel zu haben"


Kommt das AfD-Verbot?
"Viele Beweise landeten in der Tonne"

  • Daniel Mützel
Von Daniel Mützel

Aktualisiert am 26.01.2024Lesedauer: 6 Min.
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Führt immer wieder Organisationen, die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft werden: Björn Höcke, Thüringer AfD-Chef.Vergrößern des Bildes
Führt immer wieder Organisationen, die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft werden: der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. (Quelle: Jens Schlueter/Getty Images)

Die Forderungen nach einem AfD-Verbot werden lauter. Wird die Politik reagieren? Der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer erklärt, auf wen es jetzt ankommt – und warum noch gezögert wird.

Nach dem Potsdamer Geheimtreffen zwischen Rechtsextremisten und AfD-Politikern wird in Deutschland intensiv über ein Verbot der AfD diskutiert. Der Rechercheverbund "Correctiv" hatte enthüllt, dass auf dem Treffen Ende November in einer Potsdamer Villa die Vertreibung von Millionen Deutschen mit Migrationshintergrund besprochen wurde. Auch ein Mitarbeiter von AfD-Chefin Alice Weidel hatte an dem Treffen teilgenommen.

Auch der gesellschaftliche Druck steigt: Am Wochenende demonstrierten Hunderttausende Menschen in zahlreichen Städten gegen den erstarkenden Rechtsextremismus. Immer mehr Experten und Politiker fordern nun, ein Verbotsverfahren gegen die AfD zu prüfen. Aber wie aussichtsreich ist ein solches Verfahren? Wo liegen die Risiken?

Der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer begleitete damals die Verbotsverfahren gegen die NPD. Im Interview mit t-online erklärt der SPD-Politiker, wo die Tücken in einem solchen Verfahren liegen, warum er es trotzdem für den richtigen Weg hält – und was er sich jetzt von den Landesregierungen in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt erhofft.

t-online: Sollten wir die AfD verbieten, Herr Mäurer?

Ulrich Mäurer: Wir haben gegenwärtig eine sehr emotionale Debatte darüber, ob wir ein Verbotsverfahren gegen die AfD einleiten sollten oder nicht. Ich möchte daran erinnern, dass wir beim letzten Mal, als wir eine rechtsradikale Partei verbieten wollten, ein Debakel erlebten.

Sie meinen das NPD-Verfahren?

Ja, ich gehöre wohl zu den ganz wenigen, die bei beiden NPD-Verfahren beteiligt waren. Beim ersten Verfahren 2001 bis 2003 habe ich dies aus Justizsicht begleitet, das zweite aktiv von 2013 bis 2017 als Innensenator. Beide scheiterten bekanntlich. Deswegen muss man das Für und Wider eines AfD-Verbotsverfahrens sehr sorgfältig abwägen.

Welche Lehren ziehen Sie aus dem damaligen Scheitern für ein mögliches AfD-Verbotsverfahren?

Manche glauben fälschlicherweise, es handle sich um eine rein politische Frage, ob man die AfD verbieten sollte oder nicht. Doch es ist vor allem auch eine rechtliche Prüfung der Frage, ob diese Partei in Gänze im Bund bestrebt ist, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen und ob sie dazu auch in der Lage wäre.

Aber ist es nicht auch eine politische Frage? Nur die Bundesregierung, der Bundestag oder der Bundesrat kann beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Verbot der AfD stellen.

Das ist richtig, aber die Weichen werden vorher gestellt. Es müssen die rechtlichen Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren geprüft werden. Bei dieser Prüfung sind die vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Maßstäbe erheblich. Alles hängt davon ab, wie belastbar die Beweismittel sind, die unsere Sicherheitsbehörden und Verfassungsschutzämter vorlegen.

Genau an dieser Frage scheiterte das erste NPD-Verfahren.

Es war ein großer Fehler, Beweismittel vorzulegen, die nicht verwertet werden durften. Viele Dokumente wurden damals von V-Leuten in der NPD beschafft, aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts geht das gar nicht. Es ist wie in einem Strafprozess: Es reicht nicht, gute Beweismittel zu haben. Man muss sie auch vor Gericht verwerten dürfen. Die Folge dieser Niederlage war, dass die V-Leute aus den Gremien der NPD erst mal abgezogen wurden, um überhaupt zu einem zweiten Verfahren zu kommen. Viele Beweise, die wir jahrelang gesammelt hatten, landeten in der Tonne.

Und das zweite Verfahren?

Das kann als Blaupause benutzt werden, wie man rechtlich sauber ein solches Verfahren vorbereitet. Das Bundesverfassungsgericht hatte die vorgelegten Beweismittel anerkannt und die NPD als verfassungsfeindlich eingestuft. Überraschend wurde der Antrag trotzdem abgewiesen, mit der Begründung, dass die NPD zu klein und unbedeutend sei. Im Fall der AfD wäre dies aber kein Kriterium, an dem ein Verfahren scheitern könnte.

Wie aussichtsreich ist ein Verbot der AfD auf Bundesebene? Dort gilt sie bisher "nur" als rechtsextremistischer Verdachtsfall und darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht werden.

Im März muss das Oberverwaltungsgericht Münster in zweiter Instanz über eine Klage der AfD entscheiden, die sich gegen diese Einstufung wehrt. Ich bin mir relativ sicher, dass das Gericht die Berufung zurückweist. Andernfalls wäre die weitere Diskussion über ein AfD-Verbot ungleich erschwert. Nach meiner Überzeugung sollte man aber auch noch einen anderen Weg prüfen.

Welchen?

In Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt hat der Verfassungsschutz die AfD klar als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Die Verfassungsschutzämter in den ostdeutschen Ländern sind dort mit ihren Erkenntnissen schon recht weit und haben viele Indizien gesammelt. Die Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren auf Landesebene könnten dort geprüft werden. Sollten die Behörden dort zu dem Ergebnis kommen, die Voraussetzungen liegen vor, würden wir selbstverständlich unterstützen.

Das erlebt man gerade täglich: Politiker fordern oder wünschen sich die Prüfung eines Verbots, aber niemand scheint es wirklich anzugehen. Auch Sie sagten in der Bremischen Bürgschaft am Mittwoch, man müsse jetzt den Druck erhöhen. Erhöhen Sie ihn?

Es ist eine sehr schwierige Entscheidung, deswegen möchte ich mich mit Aufrufen zurückhalten. Ich sage aber auch: Wenn die Länder sich dafür entscheiden, was ich begrüßen würde, dann ist es auch unsere Pflicht mitzuhelfen.

Wie würden Sie konkret mithelfen?

Das läuft ähnlich wie in einem Strafverfahren, in dem eine Unzahl von Beweismitteln gesammelt und bewertet werden müssen. Damals beim NPD-Verbotsverfahren waren alle Länder aufgefordert, daran mitzuwirken und ihre Erkenntnisse zu liefern. Zudem kann auch der Antrag auf ein Verbot der AfD auf Landesebene nur vom Bundestag, Bundesrat oder von der Bundesregierung gestellt werden. Alle müssen mitwirken.

Sprechen Sie mit Ihren Innenministerkollegen in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt?

Selbstverständlich, aber nicht nur dort. In den nächsten Tagen und Wochen werden die Innenminister und -senatoren aller Bundesländer diese Debatte führen müssen.

Ihr SPD-Kollege, der Thüringer Innenminister Georg Maier, hat sich bereits für die Prüfung eines Verbotsverfahrens ausgesprochen. Haben Sie sich mit ihm ausgetauscht, bevor Sie die Debatte angestoßen haben?

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Ich stehe auch mit Georg Maier im intensiven Austausch. Am Ende entscheidet über so ein Verfahren aber die jeweilige Landesregierung.

Wenn sich die drei ostdeutschen Landesregierungen dagegen entscheiden sollten, ist das Thema damit vom Tisch?

Nein, aber es braucht jetzt einen intensiven Dialog darüber. Wir können die betroffenen Länder nicht dazu drängen, sie müssen das wollen und vor allem von dem Erfolg überzeugt sein. Ich will aber keine Ratschläge erteilen, ich sage nur: Wenn ich es in der Hand hätte, würde ich ein solches Verfahren ernsthaft prüfen und dort beginnen, wo die Faktenlage am dichtesten ist: Das ist in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt der Fall.

Am Wochenende haben Hunderttausende gegen den erstarkenden Rechtsextremismus in Deutschland demonstriert. Muss die Politik darauf reagieren?

Ja, ich glaube, dass wir den vielen besorgten Menschen gegenüber in der Verpflichtung sind. Die gesellschaftliche Kraft, die von diesen Demonstrationen ausging, macht Mut. Nur zu sagen, wir haben da Bedenken und das sei alles zu schwierig, wird dieser Lage nicht gerecht. Es gibt eine Bedrohung für unsere freiheitlich demokratische Ordnung und wir müssen als Innenminister und -senatoren darauf reagieren.

Seit Jahren gibt es Berichte über Kontakte von Teilen der AfD ins rechtsradikale Lager. Immer wieder fallen Politiker der AfD mit völkischen und extremistischen Äußerungen auf. Warum hat die Verbotsdebatte gerade jetzt so eine Dynamik bekommen?

Das Potsdamer Treffen und die Berichterstattung darüber haben eine Signalwirkung gehabt. Aber was auf dem Potsdamer Treffen gesprochen wurde, ist für unsere Sicherheitsbehörden nichts Neues gewesen. Wir verfolgen seit zehn Jahren die "Identitäre Bewegung" (IB) und ihr völkisch-rassistisches Weltbild. Auch ihre systematischen Versuche, mit der AfD zusammenzuarbeiten und deren Agenda zu beeinflussen, sind nicht neu. Mittlerweile ist das auch in Teilen gelungen, die Verbindungen zwischen dieser Gruppe und der Partei sind noch stärker geworden.

Offiziell steht die IB auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD.

Das ist Makulatur. Das sehen wir schon daran, dass der Weg vieler IB-Anhänger bei der AfD endet. Die Tatsache, dass in der AfD mittlerweile offen über "Remigration" gesprochen wird, zeigt ebenfalls, wie weit der Einfluss dieser Rechtsextremisten in der AfD reicht.

Herr Mäurer, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Ulrich Mäurer
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