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"Mit Migrationshintergrund für Deutschland": AfD-naher Verein sucht Mitglieder


Neuer Verein
AfD sucht vergeblich Migranten


Aktualisiert am 02.03.2024Lesedauer: 5 Min.
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In der Regel eher gegen Migration: Wahlplakat der AfD Hessen für die Landtagswahl im Herbst 2023.Vergrößern des Bildes
"Abschieben schafft Wohnraum": Wahlplakat der AfD Hessen für die Landtagswahl im Herbst 2023. (Quelle: IMAGO/Blatterspiel)

Es ist ein für die AfD neuer Ansatz: Teile der Partei wollen gezielt Menschen aus Zuwandererfamilien als Wähler gewinnen. Aber wie ernst meint die AfD es damit? Und wie erfolgreich kann sie sein?

Die Initiative sorgte für einigen Pressewirbel: Unter Federführung des Landeschefs Robert Lambrou gründeten hessische AfD-Funktionäre im Sommer 2023 den Verein "Mit Migrationshintergrund für Deutschland". Das Ziel: Menschen aus Zuwandererfamilien für die in Teilen rechtsextreme Partei zu gewinnen. Lambrou, der selbst einen griechischen Vater hat, bezeichnet die Initiative als ein "Herzblutprojekt".

Damals war die Kritik groß: "Hass und Hetze" gegen Migranten sei das Kerngeschäft der AfD, hieß es von den Grünen. Der Verdacht nicht nur bei ihnen: Die AfD versuche, einen Alibi-Verein zu gründen, um weniger rassistisch zu erscheinen und sich so neue Wählergruppen zu erschließen.

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Erfahrung hat die AfD darin: Bereits 2018 gründete sich der Verein "Juden in der AfD". Der Zentralrat der Juden sowie Dutzende andere Initiativen protestierten scharf, der jüdische Publizist Micha Brumlik bezeichnete ihn als "Farce". Und tatsächlich tritt der Verein seit seiner Gründung kaum in Erscheinung.

Auch mit Blick auf den AfD-nahen Verein "Mit Migrationshintergrund" lässt sich nach t-online-Informationen acht Monate nach der Gründung sagen: Bisher ist nicht viel passiert. Und aktuelle Äußerungen von Lambrou machen stutzig.

14 Neumitglieder in 8 Monaten

Zurzeit hat der Verein genau 50 Mitglieder, wie Lambrou auf Anfrage von t-online mitteilt. Gestartet war er im Juni 2023 mit 36. Unterm Strich hat er also in rund 8 Monaten nur 14 Neumitglieder gewonnen. Damit bleibt der Verein hinter selbst gesetzten Zielen zurück: 100 Mitglieder bis Ende 2023 hatte Lambrou laut "Spiegel" noch im Oktober als Zielmarke genannt.

Das dürfte auch ein Grund für ein Posting von Lambrou in dieser Woche gewesen sein – in einer Facebook-Gruppe, die nur AfD-Mitgliedern aus Hessen offensteht. t-online liegen Screenshots dieses Posts vor. Lambrou wirbt darin bei seinen Parteikollegen dafür, dem Verein auf Facebook zu folgen. "Richtig klasse", schreibt er weiter, "fänden wir es, wenn wir Sie bald als ein neues Mitglied in unserem Verein begrüßen dürften".

Rasch stellt er danach klar: "Sie brauchen für eine Mitgliedschaft in unserem Verein übrigens weder AfD-Mitglied zu sein, noch einen Migrationshintergrund zu haben." Lambrou wirbt also in AfD-Kreisen für den Verein "Mit Migrationshintergrund" auch um Mitglieder ohne Migrationshintergrund.

Nicht nur das lässt aufhorchen. Bis heute ist der Verein zudem nicht im Vereinsregister auffindbar. Dabei wurde in der öffentlichen Facebook-Gruppe am 8. Dezember 2023 ein Foto von Teilen des Vorstands gepostet, mit der Information, man sei beim Notar und habe die "Eintragung ins Vereinsregister begonnen". Bis zu vier Wochen werden normalerweise für eine solche Prüfung avisiert, bei dem AfD-nahen Verein sind nun schon rund drei Monate vergangen.

Ist hier ein Alibi-Verein am Werk, auf dem Migrationshintergrund draufsteht, aber womöglich wenig davon drin ist – und bei dem auch ansonsten nichts passiert?

Ziel: Für die AfD werben

Lambrou weist den Vorwurf eines Fassadenvereins entschieden von sich. Dass Menschen ohne Migrationshintergrund im Verein ebenfalls willkommen seien, habe er in der AfD-internen Gruppe nicht betont, sondern "lediglich erwähnt", erklärt er auf Nachfrage von t-online – weil die Satzung des Vereins nicht öffentlich sei, die Aufnahmekriterien den Lesern also noch unbekannt.

Von den derzeit 50 Mitgliedern des Vereins hätten 80 Prozent einen Migrationshintergrund, schreibt Lambrou. Die Gründungsversammlung habe am 18. Juni 2023 in Gießen gerade zu den Fragen, ob man Migrationshintergrund haben und ob man AfD-Mitglied sein müsse, lange diskutiert – und sei dann einstimmig zu dem Schluss gekommen, beides nicht zur Bedingung für eine Aufnahme zu machen. Es solle jeder willkommen sein, der den Vereinszweck unterstütze.

Als Zweck des Vereins benennt Lambrou vier Punkte: Das Bewusstsein für die Bedeutung des souveränen Nationalstaates für die Rechte der Bürger fördern, die "Vermittlung der freiheitlich-konservativen Grundwerte der AfD an Menschen mit Migrationshintergrund", "Ansprechpartner für Menschen mit Migrationshintergrund sein, die sich der AfD programmatisch verbunden fühlen" und "Menschen mit Migrationshintergrund für eine Mitarbeit bei oder Unterstützung der AfD begeistern". Kurzum: AfD-Inhalte verbreiten und für die AfD werben.

Freund der Identitären Bewegung im Verein

Auch AfDler aus Bundes- und Landesvorständen sind laut Lambrou Vereinsmitglieder, die meisten bereits seit Sommer 2023: Mariana Harder-Kühnel und Carlo Clemens aus dem Bundesvorstand der AfD, der bremische AfD-Landeschef Sergej Minich, der schleswig-holsteinische AfD-Vorsitzende Kurt Kleinschmidt sowie Lambrous hessischer Co-Landeschef Andreas Lichert.

Pikant: Lichert gilt im hessischen Verband als radikaler Gegenpart zum eher bürgerlich auftretenden Lambrou. Der hessische Co-Vorsitzende soll enge Kontakte zur Identitären Bewegung haben – der lange von Martin Sellner geführten rechtsextremen Jugendorganisation, die wie keine andere das Konzept der "Remigration" propagiert. Es ist das Stichwort, unter dem AfD- wie CDU-Mitglieder bei einem Treffen in Potsdam mit Sellner Wege für die Ausweisung von Millionen Menschen aus Deutschland diskutiert haben sollen. Eine Zielgruppe dabei: deutsche Staatsbürger, die aus Sicht von Sellner "nicht assimiliert" sind. Also: Deutsche mit Migrationshintergrund.

Die "Welt" berichtete bereits 2017: Lichert sei im Kaufvertrag einer Immobilie in Halle, die Zentrum der Identitären Bewegung war, als Bevollmächtigter aufgeführt. Zur selben Zeit wurde er demnach vom "Institut für Staatspolitik" des Rechtsextremisten Götz Kubitschek in Schnellroda als Vorsitzender geführt. Der Verleger gilt als geistiger Vater der Identitären Bewegung.

Das Werben um Mitglieder soll jetzt erst starten

Die geringe Anzahl der Mitglieder im Verein "Mit Migrationshintergrund für Deutschland" erklärt Lambrou damit, dass man bisher kaum um neue Mitglieder geworben habe – vor allem, weil ein Gros des zehnköpfigen Vorstands bis Anfang Oktober intensiv mit dem Wahlkampf für die Landtagswahlen in Hessen und Bayern beschäftigt gewesen sei.

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Das soll sich jetzt ändern: "Seit Ende des Jahres treiben wir den organisatorischen Aufbau des Vereins weiter voran und befinden uns seit dieser Woche jetzt erstmals in einer Phase, in der wir aktiv um neue Vereinsmitglieder werben", so Lambrou. In den nächsten Monaten wolle der Verein nun Veranstaltungen organisieren, ein Flugblatt gestalten, Stände bei Veranstaltungen anderer Organisationen platzieren und eine Website ins Leben rufen. Der Vorstand tage wöchentlich.

Auf den Eintrag ins Vereinsregister als "Mit Migrationshintergrund für Deutschland e.V." hofft Lambrou bis Ende März. Mit Blick auf die außergewöhnlich lange Bearbeitungszeit verweist er auf Personalmangel im zuständigen Registergericht Darmstadt. Eine Frage der zuständigen Sachbearbeiterin zur Vereinssatzung sei noch offen – aber die Frau nun erkrankt, eine Vertretung gebe es offenbar leider nicht.

"Die Strategie soll rassistische Agenda kaschieren"

Eren Güvercin von der Alhambra-Gesellschaft, einem Zusammenschluss liberaler Muslime, registriert in den vergangenen Monaten verstärkte Bemühungen von AfD-Funktionären, sich um Menschen mit Migrationshintergrund zu bemühen. "Das wird in diesem Wahljahr zunehmen", prognostiziert er im Gespräch mit t-online.

Manche Menschen mit Migrationshintergrund seien empfänglich für AfD-Positionen. Mit Islamisten und türkischen Nationalisten zum Beispiel gebe es zum Teil ideologische Überschneidungen – unter anderem bei den Themen Familienpolitik, Ablehnung der LGBTQ-Community, Sympathien für Autokratien und Ablehnung des Westens. "Man trifft sich also beim gemeinsamen Nenner: dem Hass auf unsere liberale Demokratie", so Güvercin.

Es sei deswegen nicht ausgeschlossen, dass die AfD-Strategie in antidemokratischen Milieus fruchte. Klar ist für Güvercin aber: "Die Strategie dient der PR und soll die eigene rassistische Agenda kaschieren. Das ist reine Fassade." Ähnlich wie bei den "Juden in der AfD" präsentiere man nun Vorzeigefiguren für Migranten. "Über den Rassismus, den die AfD propagiert, kann das aber mitnichten hinwegtäuschen."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Anfrage an "Mit Migrationshintergrund für Deutschland" und Robert Lambrou
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