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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Bashing nahm überhand" Erste knallharte FDP-Abrechnung mit Lindners Kurs

Nach dem verpassten Wiedereinzug in den Bundestag beginnt in der FDP die Aufarbeitung des schlechten Ergebnisses. Eine erste Analyse kritisiert dabei vor allem den Wahlkampf-Kurs von Parteichef Lindner.
2021 holten sie noch 11,4 Prozent, 2025 waren es nur noch 4,3 Prozent: Die FDP ist tief gefallen – nie zuvor fuhren die Liberalen bei einer Bundestagswahl so wenige Stimmen ein wie jetzt. Zum zweiten Mal binnen zwölf Jahren scheiterte die Partei, die an so vielen Regierungen beteiligt war, an der Fünfprozenthürde, schaffte es nicht ins Parlament und muss nun hoffen, in der außerparlamentarischen Opposition nicht unterzugehen.
Woran lag's? Welche Fehler wurden gemacht?
Nach mehr als zwei Wochen schockierter Ruhe scheint in der Partei nun die Diskussion über die Ausrichtung des Wahlkampfs zu beginnen. Anlass dafür: Eine erste, teils schonungslose Analyse des Forums "Liberaler Fortschritt", einer Gruppierung innerhalb der FDP, die sich für einen ganzheitlichen Liberalismus einsetzt, die Partei also nicht allein auf marktwirtschaftliche Positionen verengen will, sondern ebenso für einen gesellschaftlichen Liberalismus und Bürgerrechte eintritt.
Kritik am Kurs des scheidenden Parteichefs
Auf zwei Din-A4-Seiten fasst die Gruppe ihre Analyse zusammen und macht Vorschläge, wie es nach dem Wahldebakel programmatisch weitergehen soll. Unterzeichnet haben das Papier 47 Unterstützer aus der Partei. Neben mehreren Bundestagsabgeordneten sind darunter auch Politpromis wie Fraktionsvizechefin Gyde Jensen sowie die früheren FDP-Bundesminister Dirk Niebel und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Das Papier liegt t-online vor, zuvor hatte auf der Plattform X bereits ein Journalist von "Table Media" darüber berichtet.
Der Ton der Analyse schwankt zwischen nüchterner Härte und Bitterkeit. Und auch wenn Parteichef Christian Lindner namentlich nirgends erwähnt wird, liest sich das Papier wie eine Abrechnung mit seinem Kurs der vergangenen Wochen und Monate.
Das Ergebnis der Wahl, so heißt es wörtlich, sei "ein schwerer Schlag zur falschen Zeit für den Liberalismus in Deutschland": "Die FDP hat Vertrauen verloren durch ihre Regierungsarbeit und die Art und Weise des Endes der Koalition."
Ein Grund dafür: Immer wieder habe es während der Regierungsarbeit in der Ampel Querschüsse aus der Partei heraus gegeben. Auch seien "die Erfolge der FDP in der Wahlkampagne versteckt" worden – eine sehr deutliche Kritik am Vorgehen, das sich die Parteizentrale um Lindner erdacht hatte: "Eine bis vor Kurzem regierende Partei kann nicht erfolgreich einen Wahlkampf führen, als sei sie drei Jahre in der Opposition gewesen."
Lindner hatte einen schwarz-gelben Wahlkampf geführt
Tatsächlich hatte die FDP auch auf Lindners Bestreben hin seit dem Ampelbruch das gemacht, was viele in der Partei jetzt einen "Dagegen-Wahlkampf" nennen: Stimmung gegen neue Schulden, gegen die Ampel, vor allem gegen die Grünen. Gleichzeitig warb Lindner immer wieder offen für ein schwarz-gelbes Bündnis, eine Koalition mit CDU und CSU, und setzte dabei vorrangig auf wirtschaftspolitische Akzente.
Letzteres, so halten es die Autoren fest, sei im Grundsatz zwar der richtige Schwerpunkt gewesen, aber: "andere profilbildende FDP-Themen" seien "bewusst ausgeklammert" worden auf der Suche nach der "Nähe zur Union". "Das ist nicht erfolgreich gewesen", so das Fazit des "Liberalen Fortschritts".
Derweil habe man sich so zu sehr vom eigenen Grundsatzprogramm und Leitbild entfernt. "Statt auf eigene Stärke, seriösen Stil und Empathie zu setzen, nahm das Bashing des politischen Gegners überhand", heißt es weiter. "Zugleich wurde gegen den Grundsatz verstoßen, dass Zielgruppen nicht auf Kosten anderer Zielgruppen angesprochen werden dürfen." Die Themen seien dabei auch zu abstrakt und zu wenig konkret kommuniziert worden: "Aus den Freien Demokraten werden so Freie Technokraten." Zuletzt habe man außerdem das große Wählerpotenzial bei den Jüngeren verspielt, die FDP, so heißt es, habe "den Anschluss an die Kommunikation in den sozialen Medien verloren".
"Die FDP ist Gegnerin des Populismus"
Um den Blick nach vorn zu richten, machen die Unterzeichner der Analyse auch Vorschläge "für den Wiederaufstieg der FDP", aus denen sich ebenfalls Kritik an der scheidenden Parteiführung und am bis zuletzt öffentlich unumstrittenen Langzeit-Parteichef Lindner herauslesen lässt:
- Die FDP müsse "eine Richtungsentscheidung für sich treffen". Ihr Kern müsse weiterhin ein "ganzheitlicher Liberalismus" sein: "Gesellschaftliche und wirtschaftliche Freiheit als zwei Seiten der gleichen Medaille." Hier klingt durch, dass die FDP zuletzt zu einseitig die wirtschaftsliberale Seite mit eher konservativem Anstrich nach vorn gestellt hat.
- Die Partei sollte sich ferner auf ihr erfolgreiches Leitbild zurückbesinnen. "Seriöses Auftreten, empathische Ansprache und optimistisches Herangehen an Herausforderungen sind ebenso wichtig wie ein wertschätzender Umgang", heißt es. Der letzte Punkt lässt sich dabei so verstehen, dass hinter vorgehaltener Hand viele immer wieder monierten, die Partei habe verlernt, offen zu diskutieren. Gemeint sein dürfte außerdem das Debakel um das "D-Day-Papier" vom Herbst.
- Noch deutlicher liest sich in dieser Hinsicht der folgende Vorschlag: "Eine erfolgreiche FDP braucht die Integration ihrer Strömungen statt interner Herabwürdigung und Ausgrenzung." Die Unterzeichner plädieren auch für mehr Diversität. Die "gesellschaftliche Vielfalt" müsse inhaltlich wie personell stärker sichtbar werden. Zudem gelte für die Neuaufstellung: "Die FDP ist die natürliche zentristische Gegnerin von Polarisierung und Populismus. Hierfür gibt es auch eine Lücke im politischen System."
Insgesamt, so schließen die Autoren ab, müsse sich die Partei "weitergehender erneuern als 2013", als die FDP erstmalig aus dem Bundestag ausschied. Im Fokus sollte die Frage stehen: "Wie würde eine liberale Partei aussehen, die sich heute mit einem veränderten politischen Umfeld in Europa neu gründet und effektiv organisiert?"
FDP steht vor grundsätzlicher Erneuerung
Unterschrieben haben das Papier neben den bereits Genannten zahlreiche Parteimitglieder aus vielen Landes- und Kreisverbänden. Zu den bekanntesten zählen etwa die Bundestagsabgeordneten Manuel Höferlin, Ulrich Lechte und Anikó Glogowski-Merten, die zuletzt auch beim Unionsantrag für das Zustrombegrenzungsgesetz nicht Seite an Seite mit der AfD stimmen wollten.
Die FDP muss sich in den nächsten Tagen und Wochen grundsätzlich neu aufstellen. Neben dem programmatischen Kurs, um den sich das Papier des "Liberalen Fortschritts" vornehmlich dreht, geht es dabei vor allem auch ums Personal: Lindner, der mit mehr als elf Jahren am längsten der Partei vorstand, hatte noch am Wahlabend das Ende seiner politischen Karriere verkündet, mit ihm treten beim Bundesparteitag im Mai zahlreiche weitere Präsidiumsmitglieder nicht erneut an.
Als wahrscheinlichster Nachfolger Lindners gilt derzeit der Chef der nun aufzulösenden Bundestagsfraktion, Christian Dürr. Nach Informationen von t-online soll er kommenden Sonntag bei einem Treffen der Chefs der FDP-Landesverbände und -Landtagsfraktionen als zentraler Teil eines größeren Personaltableaus präsentiert werden.
- Eigene Recherche
- Analyse des "Liberalen Fortschritts"