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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schwarz-rotes Sofortprogramm "Jetzt geht es Schlag auf Schlag"

Das vielleicht wichtigste Gremium der Regierung hat erstmals getagt: der Koalitionsausschuss. Beschlossen wurde ein Mega-Programm zu Wachstum und Staatsmodernisierung. Doch die eigentliche Prüfung steht der Koalition noch bevor.
Sie sehen zufrieden, aber auch ein wenig geschafft aus. Es ist kurz nach 19 Uhr, als Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD), seine Co-Parteichefin Saskia Esken und der CSU-Vorsitzende Markus Söder im Kanzleramt vor die Kameras treten.
Der Zeitpunkt war bewusst gewählt: Die Bilder der schwarz-roten Betriebsamkeit sollten wenig später über die abendlichen Fernsehnachrichten in die deutschen Wohnzimmer flimmern. Das Signal: Die Koalitionsmaschine brummt wie ein gut geölter Motor.
Und tatsächlich: Was die Spitzen von Schwarz-Rot in den rund 2,5 Stunden Koalitionsausschuss am Mittwoch beschlossen haben, ist ein außerordentlich ehrgeiziges Programm. Von Wachstumsimpulsen, Sondervermögen, Rentenpaketen und Bürokratieabbau – die neue Regierung scheint alles zu wollen und alles zu planen. Und das, wenn möglich, noch vor der Sommerpause. Union und SPD scheinen wie auf Speed.
- Rente, Stromsteuer, Pendlerpauschale: Koalition einigt sich auf erste Entlastungen
Eine Regierung wie im Rausch
Wohl nicht zufällig fällt das Wort "Tempo" insgesamt acht Mal. Vor allem Vizekanzler Klingbeil und CSU-Chef Söder ("Tempo, Tempo, Tempo") führen das Wort wie ein Florett, aber auch der Kanzler betont, wie schnell es gehen muss. "Es geht jetzt Schlag auf Schlag", so Merz.
Schon am Vormittag hatten die Koalitionäre mehrere Gesetze auf den Weg gebracht. In der Kabinettssitzung beschlossen Union und SPD die Verlängerung der Mietpreisbremse bis 2029, die Begrenzung des Familiennachzugs für bestimmte Flüchtlinge und die Rücknahme der "Turbo-Einbürgerung" aus Ampel-Zeiten.
Doch im Koalitionsausschuss schalteten Union und SPD noch mal einen Gang hoch: Dutzende Beschlüsse wurden im Laufe der Sitzung gefasst, auch wenn die meisten davon bereits geeint waren und erst in Gesetzesform gegossen werden müssen. Die Vorhaben sollen bis zur Sommerpause durchs Kabinett gehen, um dann dem Bundestag zugeleitet zu werden. So könnte dann ein Teil der Pläne schon im nächsten Jahr in Kraft treten. Das Ziel des schwarz-roten "Sofortprogramms" ist es, möglichst bald eine spürbare Wende im Land einzuleiten.
Die wichtigsten Beschlüsse
Was plant Schwarz-Rot also die nächsten Wochen und Monate? Eine Liste mit den wichtigsten Regierungsprojekten liegt t-online vor. Um diese fünf Schwerpunkte geht es:
- "Investitionsoffensive": Union und SPD sind sich einig – die Wirtschaft muss schnell aus der Krise kommen, dafür muss die Regierung die Weichen auf Wachstum stellen. Geplant sind unter anderem degressive Abschreibungen auf Ausrüstungsinvestitionen um 30 Prozent in den nächsten drei Jahren und die Senkung der Körperschaftssteuer in fünf Schritten um jeweils einen Prozentpunkt ab 2028. Ein weiteres Kernvorhaben: ein Gesetz, das den 500 Milliarden Euro schweren Infrastruktur-Sondertopf auf den Weg bringt. Das Sondervermögen soll die Infrastruktur modernisieren und Deutschland zum "sicheren Hafen für Investitionen" machen, wie Klingbeil auf der Pressekonferenz erklärte. Außerdem geplant: eine Hightech-Agenda und Hilfen für den Mittelstand.
- Bürokratieabbau: Die Koalition will die Genehmigungsverfahren beschleunigen, damit Deutschland "einfacher, schneller und unbürokratischer" werde. Das Vergaberecht soll digitalisiert, das Beschaffungswesen der Bundeswehr entschlackt werden.
- Migration: Unter dem Punkt "sicherer und handlungsfähiger Staat" sollen "Turboeinbürgerungen" (nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland) abgeschafft werden, der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte soll ausgesetzt werden. Auch sollen Menschen in Abschiebehaft keinen Pflichtbeistand mehr erhalten. Ukrainische Geflüchtete sollen künftig nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Zahlungen erhalten und kein Bürgergeld mehr.
- Wirtschaftswachstum: Auch hier plant Schwarz-Rot eine ganze Latte an Maßnahmen: Die Mehrwertsteuer im Gastro-Bereich soll zum 1. Januar 2026 gesenkt, die Pendlerpauschale erhöht werden. Außerdem: Lange versprochen, nun sollen sie kommen – niedrigere Strompreise. Die Netzentgelte und Stromsteuer sollen gesenkt, die Gasspeicherumlage soll komplett entfallen. Auch das umstrittene Lieferkettengesetz wird gestrichen und durch ein Gesetz über internationale Unternehmensverantwortung ersetzt. Die von der Ampel abgeschaffte Agrardiesel-Subvention kommt zurück.
- "Starker Zusammenhalt, standfeste Demokratie": der SPD-Teil des Sofortprogramms. Von der Festschreibung des Rentenniveaus von 48 Prozent bis 2031, dem Tariftreuegesetz und der Einsetzung einer Kommission für die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen – hier dürften sich viele Sozialdemokraten wiederfinden. Aber auch die CSU kann sich freuen: Die (teure) Mütterrente kommt. Und die CDU hat ihre "Aktivrente" für steuerfreies Arbeiten für Rentner hineinverhandelt.
Kleinerer Ausschuss – effektiveres Format?
Die Koalitionsspitzen gaben sich am Abend betont zufrieden mit den Ergebnissen. Kanzler Merz betonte zudem die "sehr gute Atmosphäre" und die vertrauliche Zusammenarbeit im Koalitionsgipfel. Dass der erste Koalitionsausschuss von Union und SPD dem Vernehmen nach reibungslos lief, lag womöglich auch daran, dass die Regierung noch am Anfang steht. Doch eine andere Neuerung dürfte ebenfalls eine Rolle gespielt haben: die Verkleinerung des Gremiums.
Statt 17 Teilnehmer, wie noch zu Ampel-Zeiten, gibt es nur noch elf. SPD-Chef Klingbeil, der die Krisensitzungen der Ampel hautnah miterlebte, drang ursprünglich auf neun Vertreter (drei pro Partei), konnte sich aber nicht durchsetzen. Nun also das Format 3 + 3 + 3 + 2. Die CDU schickt Kanzler Merz, Fraktionschef Spahn und Generalsekretär Carsten Linnemann; die SPD neben Klingbeil und Esken Fraktionschef Matthias Miersch; die CSU ist mit Söder, Innenminister Alexander Dobrindt und Landesgruppenchef Alexander Hoffmann vertreten. Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) und Finanz-Staatssekretär (SPD) Björn Böhning haben offiziell die Rolle von "Schriftführern".
Zudem: Unter Schwarz-Rot soll der Koalitionsausschuss kein Krisengipfel mehr sein, der nur dann tagt, wenn koalitionsinterne Konflikte aufkommen. Sondern ein regelmäßig tagendes Gremium, das Beschlüsse fasst und die Zusammenarbeit stärkt – ein Zeichen dafür, dass diese Koalition konzentriert arbeitet. Dass sie sich einigen kann und Ergebnisse produziert. Dass sie Tempo macht. So zumindest will es die Regierung verstanden wissen.
Nach der ersten Sitzung lässt sich sagen: Nach außen hin ist ihr das durchaus gelungen.
Kritik an "Männer-Runde"
Dass nicht alles rund lief, zeigte sich zumindest im Vorfeld, als Kritik an der Zusammensetzung des Koalitionsausschusses laut wurde, selbst in den eigenen Reihen: Von einer "Männer-Bande" war die Rede, da mit SPD-Chefin Esken nur eine einzige Frau in der mächtigen Elfer-Runde vertreten ist.
Wie wenig die einzige Frau offenbar zu melden hat, zeigte sich auch in der Pressekonferenz am Mittwochabend. Nach einer Journalistenfrage antworteten erst Merz, dann Klingbeil, dann Söder. Als der CSU-Chef fertig war, schien auch Esken das Wort ergreifen zu wollen: "Ich würde ...", doch weiter kam sie nicht. "Das war ein schönes Schlusswort", unterbrach sie Merz mit Blick auf Söders Statement. Esken war sichtlich irritiert, warf resigniert die Hände in die Luft.
Die wahre Prüfung kommt im Juni
Abgesehen von diesem kleinen Störmoment verlief der Koalitionsausschuss nach Plan. Union und SPD konnten sich vom schweren Erbe der Ampelregierung befreien, bei der die Koalitionsausschüsse oft in offene Feldschlachten mündeten. Deren letzte Sitzung im November 2024 endete bekanntlich historisch: Kanzler Olaf Scholz entließ Finanzminister Christian Lindner, damit war das Ampel-Aus besiegelt. Schwarz-Rot gibt demgegenüber zumindest nach außen hin ein harmonischeres Bild ab.
Ob das hält? Abwarten. Denn ob nicht doch noch offene Konflikte ausbrechen, entscheidet sich vor allem am Geld. Am 25. Juni soll der Haushalt 2025 vom Kabinett verabschiedet werden. Bis dahin müssen Union und SPD ihre Prioritäten auch finanziell hinterlegen – und nicht nur Lieblingsvorhaben ankündigen. Im Haushalt entscheidet sich, für welche Vorhaben tatsächlich Mittel vorhanden sind, welche Wahlgeschenke finanziert werden können – und wo gekürzt werden muss. Bis Montag hatten die Ressorts Zeit, Finanzminister Klingbeil ihre Ausgabenpläne vorzulegen, nun beginnt die Detailarbeit. Spätestens bis Ende Juni wird sich zeigen, wie harmonisch die Koalition wirklich ist.
- Eigene Recherche