Reaktionen zum Mindestlohn "Das ist ein Armutszeugnis"

Die Mindestlohnkommission empfiehlt, die Lohngrenze bis 2027 weiter anzuheben. Die Meinungen dazu gehen in den Parteien auseinander. Eine Wirtschaftsweise lobt den Schritt.
Der Mindestlohn in Deutschland soll in zwei Stufen auf 14,60 Euro zum 1. Januar 2027 steigen. Anfang kommenden Jahres soll er bereits auf 13,90 Euro steigen, wie die Mindestlohnkommission in Berlin mitteilte. Der Vermittlungsvorschlag der Kommissionsvorsitzenden Christiane Schönefeld sei einstimmig beschlossen worden.
Heute liegt der Mindestlohn bei 12,82 Euro. Die Mindestlohnkommission entscheidet alle zwei Jahre über die Anpassung. Hier verhandeln Spitzenvertreterinnen und -vertreter von Gewerkschaften und Arbeitgebern miteinander. Die Bundesregierung setzt den Beschluss dann per Verordnung um. Der vorangegangene Beschluss über den heutigen Mindestlohn war gegen das Votum der Gewerkschaften mit der Stimme der unabhängigen Kommissionsvorsitzenden Christiane Schönefeld gefasst worden.
Wirtschaftsweise: "Mindestlohn zwingt Firmen dazu, produktiver zu werden"
Ökonomin Monika Schnitzer, Mitglied im Rat der "Wirtschaftsweisen", hält die Entscheidung der Mindestlohnkommission für richtig. "Die Erhöhung in zwei Schritten gibt der Wirtschaft die Zeit, sich anzupassen", sagte sie dem "Spiegel". "Wir kommen aus einer Phase, in der die Inflation sehr hoch gestiegen ist, während der Mindestlohn nur moderat angehoben wurde. Nun holt man diesen Inflationsanstieg gewissermaßen nach."
Große Effekte für den Arbeitsmarkt erwartet sie nicht, also etwa einen Anstieg der Arbeitslosigkeit. "Aber der Mindestlohn zwingt Firmen dazu, produktiver zu werden, also etwa durch effizientere Fertigung an den Kosten zu sparen. Wo das nicht geht, müssen die höheren Kosten an die Kunden weitergegeben werden", sagte Schnitzer weiter.
Wo dies nicht möglich sei, könnten auch Jobs gestrichen werden, erklärt die Ökonomin. "In Einzelfällen können auch Stellen wegfallen, etwa an der Imbissbude, die weder produktiver werden noch höhere Preise durchsetzen kann." In der Breite erwartet sie das aber nicht.
Radtke: "Überfälliger Schritt"
In den im Bundestag vertretenen Parteien wurde die Entscheidung indes gemischt aufgenommen: CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann begrüßte die Verständigung der zuständigen Kommission zur Erhöhung des Mindestlohns in Deutschland. "Es ist gut, dass die Mindestlohnkommission sich einvernehmlich geeinigt hat", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Das ist gelebte Sozialpartnerschaft und zeigt, dass die Kommission funktioniert. Die Lohnfindung bleibt auch in Zukunft Sache der Tarifpartner."
Der Vorsitzende des CDU-Arbeitnehmerflügels CDA, Dennis Radtke, begrüßte die Einigung der Mindestlohnkommission "ausdrücklich" und pochte zugleich auf Entlastungen. "Die Erhöhung des Mindestlohns ist ein überfälliger Schritt – sie bringt spürbare Entlastung für Millionen Menschen, die hart arbeiten und bislang trotzdem kaum über die Runden kommen", sagte Radtke t-online.
Die Entscheidung zeige, dass die Tarifpartner wüssten, was Verantwortung bedeute, sagte Radtke. "Es braucht keine ideologische Einmischung der Politik in die Lohnfindung – was es aber braucht, ist ein verlässlicher Rahmen, in dem gute Arbeit auch gut bezahlt wird." Deshalb müsse das Ziel sein, die Tarifbindung zu stärken. Nur mit flächendeckenden Tarifverträgen gelinge es, faire Löhne dauerhaft zu sichern.
Radtke appellierte zugleich an die schwarz-rote Bundesregierung: "Wer kleine und mittlere Einkommen entlasten will, darf nicht bei warmen Worten stehen bleiben. Jetzt braucht es konkrete Entlastungen – bei der Einkommenssteuer, bei der Stromsteuer."
Kretschmer: Wirtschaftliche Situation unterschätzt
Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) sieht in der einvernehmlichen Einigung "ein gutes Signal". Sie betont: "Löhne gehören in unserer sozialen Marktwirtschaft in die Hand der Tarifparteien. Deshalb bekennt sich der Koalitionsvertrag auch klar zur Unabhängigkeit der Mindestlohnkommission."
Kritischer äußerte sich dagegen Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU): "Es ist eine von vielen Entscheidungen, die sehr deutlich zeigen, dass handelnde Personen die dramatische wirtschaftliche Situation in Deutschland unterschätzen", sagte er in Dresden. 100.000 Industriearbeitsplätze seien in den vergangenen zwölf Monaten in Deutschland abgebaut worden. "Die Bundesrepublik ist nicht mehr wettbewerbsfähig. Wirtschaften in Deutschland muss dringend günstiger und nicht teurer werden."
"Minimum für ein Leben in Würde"
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD, Dagmar Schmidt, nannte die Ergebnisse "ein Abbild der derzeitigen wirtschaftlichen Lage". Es sei gleichzeitig "kein Geheimnis, dass wir uns eine höhere Anpassung gewünscht hätten". Aber die Kommission habe sich einstimmig auf das Ergebnis geeinigt, was für Schmidt ein gutes Signal ist. Die Entscheidung müsse man jetzt respektieren: "Für uns ist klar: Der Mindestlohn muss perspektivisch armutsfest sein und mit der Lohnentwicklung in der Breite Schritt halten. Dafür werden wir uns auch künftig mit Nachdruck einsetzen."
Der SPD-Arbeitnehmerflügel geht derweil auf Distanz zur Empfehlung der Mindestlohnkommission. Die schwarz-rote Koalition solle den Mindestlohn gesetzlich auf 15 Euro hochsetzen, sagte die Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Arbeit in der SPD, Cansel Kiziltepe, der Deutschen Presse-Agentur
"15 Euro sind das Minimum für ein Leben in Würde", sagte Kiziltepe, die auch Berliner Sozialsenatorin ist. "Wer Vollzeit arbeitet, darf nicht aufstocken müssen oder im Alter in Armut leben." Dies sei ein zentrales Versprechen sozialdemokratischer Politik.
Schwerdtner: "Armutszeugnis"
Die Parteichefin der Linken, Ines Schwerdtner, meint, die Erhöhung sei zu gering ausgefallen. "Dass die Mindestlohnkommission daran scheitert, den Mindestlohn auf das europäische Mindestmaß anzuheben, ist ein Armutszeugnis. Die hart arbeitenden Menschen würden besser damit fahren, wenn der Gesetzgeber schlicht EU-Recht umsetzen würde", teilte Schwerdtner mit. "Die SPD verkauft hier den Mindestlohn für den Koalitionsfrieden. Sozialdemokraten, die das hinnehmen, haben sich selbst aufgegeben. Damit bricht die SPD eines ihrer zentralen Wahlversprechen."
Deutschland beschreitet laut der Linken-Politikerin in der EU einen Sonderweg zum Nachteil der Beschäftigten. "Mit 14,60 Euro bleibt der Mindestlohn ein Armutslohn. Der Mindestlohn ist eine politische Entscheidung – und die Politik muss endlich handeln. Der Mindestlohn muss sofort per Gesetz auf 15 Euro steigen. Alles andere bedeutet, Armut trotz Arbeit bewusst in Kauf zu nehmen."
- Eigene Recherche
- Nachrichtenagentur dpa