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Schulz auf dem SPD-Parteitag: Arme alte Schildkröte


Zwischenbilanz zum SPD-Parteitag
Arme alte Schildkröte

t-online, Jonas Schaible

07.12.2017Lesedauer: 5 Min.
SPD-Chef Martin Schulz: Hielt beim Parteitag eine leidenschaftliche Rede. Doch der Applaus blieb zurückhaltend.Vergrößern des BildesSPD-Chef Martin Schulz: Hielt beim Parteitag eine leidenschaftliche Rede. Doch der Applaus blieb zurückhaltend. (Quelle: Axel Schmidt/Reuters-bilder)
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Warum sollte die SPD doch in eine Große Koalition gehen? Schulz findet zwar die richtigen Argumente. Aber keinen Weg zu seinen Leuten.

Vom Parteitag berichtet Jonas Schaible

Am Rand des SPD-Parteitags riecht es nach Pfeife. Der Rauch zieht vom Rand des großen Saals in der Berliner Messe in die letzten Sitzreihen. Von irgendwo draußen muss er kommen – wie ein letzter Bote aus einer Zeit, als Männer noch Pfeife rauchten und rauchend Politik machten. Eine Zeit, an die die SPD hier gerne erinnert, weil sie damals stark und stolz war, die sie auch hinter sich lassen muss und will, weil sie vergangen ist.

An der Wand über dem Parteivorstand, an der Stirn des Saals, steht das Motto der vergangenen Wochen und auch dieses Parteitags: #SPDerneuern. Sich erneuern, endlich neue Größe finden ohne große Männer, eine neue Stärke jenseits von Bebel und Wels, Brandt und Schmidt. Mit diesem Ziel kam die Partei zu Dialogveranstaltungen im ganzen Land zusammen, mit diesem Ziel schloss die SPD noch am Wahlabend eine Große Koalition aus.

Und jetzt sitzen und stehen sie hier und müssen vielleicht anders. Ganz vorne steht Martin Schulz, der geliebte und doch glücklose Parteichef, der schon nach einer Stunde ans Rednerpult darf. Das Formale ist schnell abgehandelt, die wichtigen Fragen des Tages lauten: Wird Schulz wiedergewählt? Mit welchem Ergebnis? Und wird die Partei Gesprächen über eine Große Koalition zustimmen?

Carsten Schneider, der Parlamentarische Geschäftsführer, hat beide Fragen öffentlich aneinandergekettet. Man darf das deuten wie eine Vertrauensfrage. Wer für den an der Basis immer noch beliebten Schulz ist, solle auch für die Große Koalition sein.

Aber ob das reichen wird, am Abend, das ist auch nach seiner Rede unklar.

Für jeden ist genug dabei

Dabei ist es wieder wie im Wahlkampf: Schulz lässt nichts aus. Er gibt den Genossen, was sie hören wollen sollten, und er wirkt nicht, als müsste er sich verstellen.

Zu Beginn nimmt er die Verantwortung für die Niederlage auf sich, er gibt sich glaubhaft geknickt und zerknirscht. Er fordert das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit und der sachgrundlosen Befristung, er beklagt kaputte Schulen und überarbeitete Krankenpfleger, er keilt gegen Großkonzerne und Banken und „asoziale Steuerflucht“. Er geißelt Sexismus. Er verspricht mehr Dialogveranstaltungen und Einfluss der Basis.

Er sagt der AfD den Kampf an, gegen die die Sozialdemokratie immer noch ein „Bollwerk“ sei, und wenn er dabei lauter und lauter wird und kurz stoppt und in seinem wütenden Wortfluss ein „diese… Typen“ rauspresst, dann meint man zu sehen, wie er sich wüste Beleidigungen mühevoll verkneift.

Auch Mut kann Schulz noch

Zwischendurch erzählt er von einer alten Schildkröte, die so viel Plastik gefressen habe, dass sie immer satt sei, weshalb sie nicht fresse und elend verhungere, und Schuld sind die Menschen und deshalb sei Umweltschutz nötig. Der armen alten Schildkröte SPD geht es ganz ähnlich: Sie glaubt immer, das Richtige zu fressen, und wird trotzdem magerer und magerer.

Sogar grüne Themen räumt Schulz ab, inklusive Ende des Kohlestroms, was mutig ist, wo auch der Chef der Bergbaugewerkschaft IG BCE vor Ort ist. Die feierte neulich selbst Christian Lindner wie einen Held der Arbeit, nur weil er gegen den schnellen Kohleausstieg ist. Auch Mut kann Schulz noch. Und für Europa werben sowieso. Das tut er ausführlich, fordert sogar die Vereinigten Staaten von Europa.

Da ist also für jeden Genossen viel dabei und auch für jeden Nicht-Genossen, der irgendwo links der Mitte steht. Es ist eine linke Rede, eine leidenschaftliche Rede, keine brillante, aber man wüsste auch nicht auf Anhieb, was fehlte.

Und doch fehlt etwas. Der Applaus bleibt zurückhaltend. Nicht alle stehen auf.

Alles vertrackt

Stimmungen lassen sich nicht messen, nicht in Zahlen packen, nicht einmal wirklich beschreiben: Aber der Eindruck, den Applaus und Gesichter und Gespräche mit den Delegierten und Besuchern hinterlassen, ist der von Unzufriedenheit und Verzagtheit.

Die Grünen auf ihrem Parteitag nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche waren mit sich im Reinen. Die AfD in der vergangenen Woche war zumindest tatendurstig, und wenn es nur darum ging, einem anderen auf der Bühne eins reinzudrücken. Aber die SPD? Wirkt, als wüsste sie, dass sie nicht weiß, was sie wollen soll. Alles vertrackt.

Denn da ist die Frage, die über allem steht: ob die SPD in die Große Koalition gehen soll, was außer ein paar Seeheimern niemand möchte.

Schlecht wäre es, sie doch einzugehen. Schlecht wäre es, sich zu verweigern. Schlecht wären Neuwahlen und eine Minderheitsregierung wäre aufregend, aber wäre sie nicht doch am Ende auch nur eine Art: Großer Koalition?

Die Argumente sitzen

Schulz hat dazu gesagt: „Wir müssen nicht um jeden Preis regieren, aber wir dürfen auch nicht um jeden Preis nicht regieren wollen.“ Er werbe deshalb für den Leitantrag, der „keine Option vom Tisch nehme“, und am Ende werde ja die Basis abstimmen dürfen. „Lasst uns sehen, welche Inhalte wir durchsetzen können.“

Schulz hat, argumentativ war das der stärkste Teil der Rede, die Begründung straff gezogen. Er versöhnte das Gefühl, die SPD könne sich nur in der Opposition erneuern, mit dem Gefühl, die SPD müsse jetzt Verantwortung übernehmen, also: Regierungsverantwortung.

Man habe, sagte er, zuletzt den Eindruck gewinnen können, nur der SPD werde zugemutet, das Land über die Partei zu stellen. Da gab es seltenes Gelächter und rare Ja-Rufe. „Die Erneuerung der SPD gilt dem Land“, sagte er, nicht der Partei. Sie könne nicht gegen die Interessen des Landes ausgespielt werden. Damit fing er das „Nein“ zur Großen Koalition ein, machte plausibel, warum es jetzt nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Und er griff geschickt das Motto des Parteitags auf, das Motto der vergangenen Wochen: SPD-Erneuern nicht als Selbstzweck.

Das war gut.

Aber reicht es? Nach einigen Minuten kalkulierter Euphorie, viel Klatschen ohne Johlen, vielen Standing Ovations mit einigen Sitzenbleibern, kommt Schulz noch einmal auf die Bühne. Sagt „Danke“ und geht schnell wieder, genauer, er schlurft von der Bühne. Glücklich und energisch sieht das nicht aus.

Nach ihm öffnet sich das Podium. Etwa 80 Redner sind auf der Liste, jede und jeder hat fünf Minuten, erst nach sechs bis sieben Stunden wird also abgestimmt werden. Am Abend. Bis dahin: Reden.

Schulz und der Vorstand müssen hoffen, dass sich bis dahin kein Aufstand hochschaukelt. Dass die Unzufriedenen nicht meutern.

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Kein Automatismus Richtung Untergang

Kevin Kühnert, der Vorsitzende der Jusos, die vor der Halle einen #nogroko-Stand aufgebaut haben und Flyer gegen die Große Koalition verteilen, spricht kurz nach Schulz. Keine Große Koalition, bekräftigt er, sonst gehe die SPD kaputt. Ob er mehr Unterstützung hat als Schulz? Zumindest hat er engagiertere Unterstützer. Lautere.

Und gute Argumente, daran zweifelt niemand.

Ein gutes Argument hat freilich auch Katarina Barley, der Schulz zu Beginn seiner Rede hymnisch für ihre Arbeit als Generalsekretärin und mittlerweile Doppel-Ministerin gedankt hatte. Sie plädiert für mehr Mut. Das Geraune, die SPD werde sicher in den Abgrund stürzen, sollte sie einer Großen Koalition zustimmen, komme ihr arg verzagt und mutlos vor.

Mit Schulz Worten könnte man sagen: Es gibt keinen Automatismus in irgendeine Richtung – nicht Richtung Große Koalition, nicht Richtung Neuwahlen. Auch nicht Richtung Untergang.

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