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Rechte Proteste in Chemnitz: Experte warnen vor Ausschreitungen


Rechte Proteste in Chemnitz
"Die Mehrheit unseres Landes muss noch viel lauter werden"

Von dpa, aj

Aktualisiert am 28.08.2018Lesedauer: 5 Min.
Chemnitz vor dem Karl-Marx-Denkmal: Ausschreitungen rechtsextremer DemonstrantenVergrößern des BildesWasserwerfer und Bereitschaftspolizisten vor dem Karl-Marx-Denkmal: In Chemnitz ist es den zweiten Tag in Folge zu Ausschreitungen rechtsextremer Demonstranten gekommen. (Quelle: Matthias Rietschel/reuters)
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Viele Menschen in Deutschland sind über die Vorfälle in Chemnitz erschrocken und besorgt – und die Lage vor Ort bleibt weiterhin angespannt. Experten äußern Warnungen und Kritik.

Nach den jüngsten Ausschreitungen in Chemnitz wächst die Kritik an zunehmender Aggression und Gewaltbereitschaft gegen Zuwanderer. "Der Rassismus bricht sich unverhohlen Bahn", sagte der Experte für Rechtsextremismus der Amadeu Antonio Stiftung, Robert Lüdecke, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Die Gesellschaft ist stark polarisiert, Menschen äußern immer unverhohlener, welche Menschen sie in Deutschland haben möchten und welche nicht." In den sozialen Netzwerken werde ungehemmt gehetzt.

Bei neuen Protesten rechter und linker Demonstranten in der Chemnitzer Innenstadt wurden am Montagabend mindestens sechs Menschen verletzt. Es seien Feuerwerkskörper und Gegenstände geworfen worden, hieß es bei der Polizei. Nach Ende der beiden Demonstrationen räumte ein Polizeisprecher Personalmangel in den eigenen Reihen ein. "In der Nacht ist alles ruhig geblieben", sagte ein Sprecher am Dienstagmorgen.

Anlass der Proteste waren gewalttätige Ausschreitungen am Wochenende am Rande des Stadtfestes in Chemnitz. Auslöser dafür war, dass ein 35 Jahre alter Deutscher durch Messerstiche getötet worden war. Gegen einen 23 alten Syrer und einen 22 Jahre alten Mann aus dem Irak wurden Haftbefehle erlassen.

Tausende Menschen gehen auf die Straße

An den Demonstrationen am Montagabend nahmen mehrere Tausend Menschen teil. Die Polizei versuchte, mit einem Großaufgebot die von Rechten dominierte Protestveranstaltung und eine vom Bündnis "Chemnitz nazifrei" organisierte Veranstaltung zu trennen.

Auch in Düsseldorf versammelten sich wegen der tödlichen Messerstiche in Chemnitz rund 150 Demonstranten aus dem rechten Spektrum vor dem Landtag, wie die Polizei berichtete. Ihnen standen etwa 250 Gegendemonstranten gegenüber.

Auch der sächsische Verfassungsschutz hält eine Beteiligung regionaler Hooligan-Gruppierungen an den Ausschreitungen für möglich. "Diese Szene war auch in der jüngeren Vergangenheit wiederholt beteiligt an gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Personen mit Migrationshintergrund", sagte Verfassungsschutzpräsident Gordian Meyer-Plath der "Rheinischen Post". Teil der regionalen gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene seien "aus dem Umfeld des lokalen Fußballvereins agierende, feste rechtsextremistische Hooligan-Strukturen", wie etwa die "NS-Boys" oder die Gruppe "Kaotik Chemnitz". Der sächsische Generalstaatsanwalt Hans Strobl lässt die Sondereinheit "Zentralstelle Extremismus Sachsen" ermitteln.

Experte warnt vor inszenierten bürgerkriegsähnlichen Zuständen

Derweil warnte der SPD-Innenexperte Burkhard Lischka vor der Gefahr inszenierter, bürgerkriegsähnlicher Zustände. "Es gibt in unserem Land einen kleinen rechten Mob, der jeden Anlass zum Vorwand nimmt und nehmen wird, seine Gewaltfantasien von bürgerkriegsähnlichen Zuständen auf unsere Straßen zu tragen", sagte Lischka der "Rheinischen Post" (Dienstag). Dass im Bundestag eine Partei diese Exzesse gegen ausländische Mitbürger als gerechtfertigte Selbstjustiz beklatsche, zeige, "dass die Mehrheit unseres Landes noch viel lauter werden muss, wenn es um Rechtsstaat, Demokratie und Zusammenhalt in unserer Gesellschaft geht". Lischka spielte damit auf die AfD an. Ihr Bundestagsabgeordneter Markus Frohnmaier hatte auf Twitter geschrieben: "Wenn der Staat die Bürger nicht mehr schützen kann, gehen die Menschen auf die Straße und schützen sich selber. Ganz einfach!"

Regierungssprecher Steffen Seibert verurteilte "Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens". Sachsens Innenminister Roland Wöller (CDU) sprach von einer "neuen Dimension der Eskalation". Sein Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) sagte: "Es ist widerlich, wie Rechtsextreme im Netz Stimmung machen und zur Gewalt aufrufen. Wir lassen nicht zu, dass das Bild unseres Landes durch Chaoten beschädigt wird."

Hasserfüllte Parolen, brennende Böller

Die aggressive Stimmung in Chemnitz machte sich schon am Abend bemerkbar: Feuerwerkskörper wurden angezündet, Gegenstände geworfen. Parolen wurden skandiert, hasserfüllte Rufe durchdrangen die Straßen. Nur ein Polizeikordon hielt die Gruppen in aufgeheizter Atmosphäre davor zurück, aufeinander loszugehen. Immer wieder mussten einzelne Grüppchen eingefangen werden. Wasserwerfer fuhren zwischen den rivalisierenden Seiten auf. Bis zum Ende der Veranstaltungen blieben größere Zwischenfälle aus.

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Nur wenige Hundert Meter entfernt markierten aufgehäufte Blumen und Grabkerzen auf dem Bürgersteig den Auslöser für die Aufmärsche. Dort war am Sonntagmorgen in Chemnitz ein Mann niedergestochen worden, der später an seinen schweren Verletzungen im Krankenhaus gestorben ist.

Jagdszenen am Sonntag

Schon am Sonntag war eine spontane Demonstration nach den tödlichen Messerstichen auf einen 35 Jahre alten Deutschen beim Chemnitzer Stadtfest in Angriffen auf Migranten gemündet. Polizisten wurden mit Flaschen und Steinen beworfen. Videos im Internet zeigten, wie Migranten angegriffen und "regelrecht gejagt" wurden.

Nachdem sich die beiden Demonstrationen am Montagabend aufgelöst hatten, räumte ein Polizeisprecher Personalmangel in den eigenen Reihen ein. Man habe mit einigen Hundert Teilnehmern gerechnet und sich entsprechend vorbereitet, aber nicht mit einer solchen Teilnehmerzahl, sagte er. "Der Einsatz verlief nicht störungsfrei." Noch am Nachmittag hatte Polizeipräsidentin Sonja Penzel versichert, dass ausreichend Kräfte angefordert worden. Es werde nicht zugelassen, dass Chaoten die Stadt vereinnahmen, sagte sie.

Nach Einschätzung der Polizei am Abend konnte eine Eskalation und ein Aufeinandertreffen der beiden Lager nur mit Mühe verhindert werden. Die Polizei hatte auch Wasserwerfer aufgefahren. Allerdings musste davon kein Gebrauch gemacht werden. Teilnehmer berichteten in sozialen Medien, dass es immer wieder Versuche der rechtsextremen Demonstranten gab, die Polizeikette zu durchbrechen. Auch von Vermummten wurde berichtet. Beobachter gehen davon aus, dass die Situation in der Stadt zunächst angespannt bleiben wird. Die Polizei wollte auch in der Nacht präsent bleiben.

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Am Montag hatte Sachsen nach Attacken gewaltbereiter Rechter auf Ausländer in Chemnitz ein entschiedenes Durchgreifen angekündigt. Innenminister Roland Wöller (CDU) bezeichnete die Geschehnisse als "neue Dimension der Eskalation". Man werde Gewaltbereiten und Chaoten nicht die Straße überlassen, sondern den Rechtsstaat durchsetzen, sagte er. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach in Berlin von "Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens".

Kein Platz für Selbstjustiz

Am Montag wurden Haftbefehle gegen einen Syrer und einen Iraker vollstreckt. Die 23 und 22 Jahre alten Männer sollen nach einem Streit in der Nacht zum Sonntag mehrfach "ohne rechtfertigenden Grund" auf das Opfer eingestochen haben, teilte die Chemnitzer Staatsanwaltschaft mit. Laut Polizei ist mit dieser Formulierung vor allem Notwehr gemeint. Im konkreten Fall wurde demnach nicht aus Notwehr gehandelt. Zwei weitere Männer erlitten schwere Verletzungen.

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Der sächsische Generalstaatsanwalt Hans Strobl zog am Montag die Ermittlungen an sich und beauftragte die Sondereinheit "Zentralstelle Extremismus Sachsen".

Politiker aus Bund und Land verurteilten die Eskalation scharf. "In Deutschland ist kein Platz für Selbstjustiz, für Gruppen, die auf den Straßen Hass verbreiten wollen, für Intoleranz und für Extremismus", sagte Regierungssprecher Seibert in Berlin. Auch Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) prangerte Hetze und Selbstjustiz an. "Es ist widerlich, wie Rechtsextreme im Netz Stimmung machen und zur Gewalt aufrufen."

Verwendete Quellen
  • dpa
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