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"Bleiben Sie in der CDU": Ruprecht Polenz spricht mit Christian Säfken


Partei-Aussteiger erklärt Austritt
"Ich sehe da keine konstruktiven Ideen der CDU"


Aktualisiert am 29.05.2019Lesedauer: 8 Min.
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Der eine verlässt die CDU, der andere bittet ihn, das noch einmal zu überdenken: Christian Säfken und Ruprecht Polenz.Vergrößern des Bildes
Der eine verlässt die CDU, der andere bittet ihn, das noch einmal zu überdenken: Christian Säfken und Ruprecht Polenz. (Quelle: Privat/imago-images-bilder)

Nach der Europawahl rumort es in der CDU: Jurist Christian Säfken hat 22.000 Likes für seinen öffentlich erklärten Austritt bekommen – und diskutiert mit dem früheren Generalsekretär Ruprecht Polenz bei t-online.de seinen Entschluss.

Sie zeigen sehr offen in sozialen Medien sehr ähnliche politische Positionen, sie ziehen aber aus dem Zustand der CDU ganz unterschiedliche Schlüsse. Christian Säfken hat den Glauben an die CDU verloren und ist ausgetreten, der frühere Generalsekretär Ruprecht Polenz hält dagegen. t-online.de hat sie zusammengebracht.

Der 42-jährige Jurist aus Osnabrück war 19 Jahre Mitglied der Partei und hat auf Twitter seinen Austritt verkündet, was ihm über 22.000 Likes einbrachte.

Polenz hat YouTuber Rezo nach dessen Kritik an der CDU geantwortet und wird anderen CDU-Politikern regelmäßig als Positivbeispiel für Dialog vorgehalten. In einem telefonisch geführten Doppelinterview erklärt Säfken, was für ihn bei der Partei in Schieflage geraten ist – und Polenz argumentiert, warum er den Austritt trotzdem für falsch hält.

t-online.de: Herr Säfken, Sie haben auf Twitter Ihren Austritt aus der CDU verkündet und 22.000 Likes dafür bekommen. Warum verlassen Sie die Partei?

Säfken: Das ist das Ergebnis einer jahrelangen Entwicklung. Und nachdem Frau Kramp-Karrenbauer nach der Europawahl verkündet hat, es wäre Zeit, Meinungen zu regulieren, damit die Generation YouTube nicht den Wahlkampf stört, ist für mich das Fass übergelaufen. Ich bin nicht nur CDU-Mitglied, ich bin auch Staatsbürger und Jurist, und da hat mich das entsetzt. Den Artikel fünf des Grundgesetzes, die Meinungsfreiheit, haben wir doch gerade, um uns vor Wahlen auseinanderzusetzen und die besten politischen Lösungen zu finden.

Polenz: Ich kenne Frau Kramp-Karrenbauer und weiß, dass sie nicht daran denkt, die Meinungs- oder Pressefreiheit einzuschränken. Man tut ihr Unrecht, wenn man ihr Pläne dazu unterstellt. Aber sicherlich hat sie sich sehr unglücklich ausgedrückt, das zeigt ja auch Ihre Reaktion, Herr Säfken, und was im Netz seither los ist. Jeder kann von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch machen, und das gilt immer und überall, ob vor, in oder nach Wahlkämpfen.

Aber das war ja für Sie nur der letzte Punkt, Herr Säfken. Was hat Sie noch von der CDU entfremdet?

Säfken: Ich will nicht eine Politik mittragen, die sich immer mehr gegen Wissenschaft, Grund- und Menschenrechte richtet und sich am rechten Rand anbiedert. Diese fehlende klare Abgrenzung zum rechten Rand bei einigen in der CDU macht mir Sorgen, längst nicht bei allen, aber bei einigen. Herr Polenz schüttelt jetzt wahrscheinlich mit dem Kopf, den beispielsweise möchte ich ausdrücklich ausschließen. Aber der Druck durch die Entscheidung Angela Merkels in der Flüchtlingskrise scheint so groß gewesen zu sein, dass man bereit war, immer mehr das aufzugeben, wofür die CDU früher stand: Rechtsstaat, Grund- und Menschenrechte.

Herr Polenz, schütteln Sie den Kopf?

Polenz: Zur Abgrenzung nach rechts gibt es in der Partei ganz klare Beschlüsse, zuletzt vom Hamburger Bundesparteitag, die festlegen, dass es keine Zusammenarbeit mit politisch extremen Parteien geben wird, insbesondere auch nicht mit der rechtsradikalen AfD. Die Trennlinie ist also keine Minderheitenposition, sondern die Meinung der CDU Deutschland. Aber ich habe mir auch in den vergangenen Jahren Sorgen gemacht um manche Themensetzung und manchen Sprachgebrauch. Da hatte ich das Gefühl, jetzt will man der AfD das Wasser dadurch abgraben, dass man einen Teil ihres Vokabulars übernimmt. Wer das tut, der gräbt der AfD aber nicht das Wasser ab, sondern kippt noch ein paar Eimer dazu.

Sie sagen, die Abgrenzung nach rechts steht außer Frage. Also haben Sie für den Austritt von Herrn Säfken kein Verständnis?

Polenz: Austreten hilft nicht weiter. Ich kann nachvollziehen, warum er verärgert ist und bedauere den Schritt, zumal ich ihn aus sozialen Medien kenne und schätze. Ich würde mich aber freuen, wenn dieses Gespräch dazu führt, dass er ihn noch mal überschläft.

Säfken: Das ist nett, aber mein Entschluss steht fest. Ich werde jetzt erst einmal in den nächsten Tagen mein Schreiben an die Parteizentrale schicken, mit einer vernünftigen Begründung und ohne Zorn.

Herr Säfken hat offenbar den Glauben an die CDU verloren. Aber jetzt könnte ja auch der Moment sein, in dem die CDU Lehren zieht und die Union der Mitte einen ganz anderen Stellenwert bekommt, mit der Sie beide verbunden sind?

Polenz: Natürlich, und ich glaube, dass es jetzt auch wirklich an der Zeit ist, dass die CDU über zwei Dinge Klarheit schafft. Setzen wir den Kurs der Mitte fort, der unter Angela Merkel zu großen Erfolgen geführt hat oder folgen wir denen, die sich Werteunion nennen und wieder die alte CDU der 80er-Jahre sein wollen? Rückwärtsgewandte Perspektive bietet keine Antworten auf Fragen der Gegenwart. Mindestens genauso wichtig ist auch eine Verständigung, was innerparteiliche Solidarität heißt. Das, was ich die letzten Jahre seit dem Zerwürfnis mit der CSU auf offener Bühne erlebt habe, hat uns immens geschadet. Es muss uns doch nachdenklich stimmen, dass der Ruf "Merkel muss weg" von der sogenannten Werte-Union ein ständiges Mantra der AfD ist.

Säfken: Herr Polenz hat gerade ganz richtig daran erinnert, was vergangenes Jahr los war mit Herrn Seehofer und Herrn Maaßen, als fleißig am Stuhl von Angela Merkel gesägt wurde, völlig ohne Grund und völlig ohne Not. Und heute wird ein Herr Maaßen durch die Partei gereicht, während man der Union der Mitte ganz klar gesagt hat, solche Gruppierungen in der Partei würde unnötige Flügelkämpfe auslösen. Mir ist da zu viel in Schieflage geraten.

Und wenn die Union das jetzt geraderückt?

Säfken: Natürlich kann es sein, dass ich mich der CDU wieder annähere. Ich bin seit 19 Jahren einfaches Mitglied und habe nur ein bisschen Kommunalpolitik gemacht. Dass 22.000 Menschen meinen Austritt liken, das zeigt aber deutlich, wie die internetaffine Generation, mittlerweile sind das locker die Leute bis 50, momentan zur CDU steht. Das Internet ist ja nicht nur eine Trollwiese und ein Ort, wo sich Jugendliche YouTube-Videos anschauen. Es ist ein hervorragendes Kommunikationsinstrument und großer Faktor für die Wirtschaft. Ich sehe da keine konstruktiven Ideen der CDU, es tut mir leid.

Polenz: Das Internet ist der zentrale Ort für politischen Meinungsaustausch und politische Meinungsbildung. Die Reaktion auf das Rezo-Video hat unsere Partei völlig auf dem falschen Fuß erwischt. Die CDU hat die Bedeutung solcher Meinungsäußerungen im Netz unterschätzt, wahrscheinlich, weil die eigene Präsenz zu wünschen übrig lässt. Es muss alle demokratischen Parteien herausfordern, wenn nach Untersuchungen die AfD eine stärkere Präsenz in den Netzwerken hat als alle anderen Parteien zusammen. Das treibt mich auch immer wieder an, dagegen zu halten. Wenn ich Kollegen beraten dürfte, würde ich sagen, nehmt Euch jeden Tag wenigstens eine Stunde für Twitter, für Facebook und mischt Euch auch ein.

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Säfken: Für mich kommt noch hinzu, dass auch andere Politikfelder in der CDU regelrecht verschlafen werden: Wir finden keinen Weg aus der Krise der Autoindustrie, einem wichtigen Wirtschaftsmotor. Ich bin in die CDU eingetreten, weil sie für vernünftige wirtschaftliche Lösungen stand und dafür, dass man Innovation betreibt, bevor man Verbote macht. Doch jetzt kann ich nichts mehr davon erkennen, auch nicht mehr bei den erneuerbaren Energien, dem Klimaschutz, wo man unter Umweltminister Altmaier hervorragend gestartet war. Und dann greift man jetzt noch ein Medium wie das Internet an.

Polenz: Ich habe auch immer wieder viel auszusetzen gehabt an meiner Partei. Aber verändern kann man in der Politik nur etwas, wenn man sich zusammenschließt, in Parteien. Ich muss in den Grundwerten mit der Partei übereinstimmen, und das tue ich, auch, weil das C für mich ein guter Kompass ist für Entscheidungen in schwierigen Fragen. Dann ist es völlig ausreichend, wenn ich in der Tagespolitik und was die handelnden Personen angeht mit 60 bis 70 Prozent einverstanden bin. Eine höhere Quote wird man selten finden.

Die würden Sie nicht aktuell wie viele frühere CDU-Wähler bei den Grünen finden?

Polenz: In Teilen schon. Aber es gibt weiterhin gravierende Punkte, wo ich mit den Grünen nicht einig bin. Man muss auch abwarten, ob der Streit ausgestanden ist zwischen Fundis und Realos nach den großen Wahlerfolgen, die ausschließlich den Realos zu verdanken sind. Und mit dem Fundi-Flügel habe ich mich immer sehr schwer getan.

Herr Säfken, Sie haben keine 60 bis 70 Prozent Übereinstimmung mit dem Personal gesehen?

Säfken: Ich habe nicht den Eindruck, dass die Vernünftigen in der CDU in der Mehrheit sind. CDU und auch die SPD, deren Abstieg ja noch wesentlich dramatischer ist, sind in den vergangenen Jahrzehnten die zwei Seiten der Erfolgsmedaille der Bundesrepublik Deutschland gewesen Und jetzt sehen wir, wie die "Partei" als Spaß- und Satirepartei in manchen Gegenden geradezu durch die Decke geht. Da habe ich schon Fragen und Sorgen. Beim jetzigen Personal der CDU, auch dem in der zweiten Reihe, habe ich doch sehr große Zweifel. Ich erinnere daran, was der Digitalpolitische Sprecher meinte, twittern zu müssen. …

… Tankred Schipanski. Er hat den Austritt und Ihre Begründung kommentiert, man sehe daran, wie dringend nötig eine Regulierung sowie eine Stärkung der Medienkompetenz ist. "Fake News" verbreiteten sich ungehindert und Sie, Herr Säfken, seien demnach auf Falschmeldungen hereingefallen.

Säfken: Ich frage mich: Warum macht man sich nicht erst einmal über einen Sachverhalt klug und legt dann los, anstatt gleich irgendwas wild loszufeuern. Selbstverständlich falle ich nicht auf 'Fake News' herein, ich habe einen sehr klaren Blick dafür, was in der Partei gerade passiert.

Und da wollen Sie, Herr Polenz, dass Ihre Kollegen noch mehr twittern?

Polenz: Es geht ja nicht darum, sich Zeit zu nehmen "für Social Media", es geht darum, sich Zeit zu nehmen und mit Menschen zu sprechen, die man vertreten möchte. Das Internet eröffnet uns Politikern ganz neue Möglichkeiten, mit Menschen zu kommunizieren. In meinem Wahlkreis leben 300.000 Menschen, zu Sprechstunden kann nur ein ganz kleiner Bruchteil kommen. Hier hat jeder die Möglichkeit, mit mir in Kontakt zu kommen. Und die Frage, ob es nicht besser gewesen wäre, jemand wäre still gewesen: Das denke ich auch bei manchen Statements in der 'Tagesschau'. Ich würde auch gern noch an Herrn Säfken ein direktes Wort richten.

Nur zu.

Polenz: Auch wenn Sie den Schritt vollziehen, möchte ich Sie gern ermutigen: Man kann eine Partei ja auch unterstützen durch Teilnahme an Diskussionen von außen, die Möglichkeit besteht immer. Sie sollten nicht das Gefühl haben, man mag Sie nicht mehr.

Säfken: Das finde ich zutiefst demokratisch. Auch wenn man sich ideell auseinanderentwickelt und ganz andere Standpunkte hat, sollte man miteinander sprechen und sich nicht als Feind sehen. Da bin ich auch dankbar, dass das in den großen demokratischen Parteien momentan der Fall ist. Mir macht da die Partei am rechten Rand Sorgen.


Polenz: Das teile ich, und da bitte ich Sie, der sehr aktiv in den sozialen Medien ist: So wie Sie sich mit den völkischen Nationalisten von der AfD auseinandersetzen, so machen wir da gemeinsam weiter.

Herr Polenz, Herr Säfken, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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