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SPD: Chefs Esken und Borjans – Die Arbeiter der Arbeiterpartei


SPD-Chefs Esken und Walter-Borjans
Im Maschinenraum

Von Tim Kummert

Aktualisiert am 09.06.2020Lesedauer: 6 Min.
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Co-Parteivorsitzende der SPD Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken: Immerhin ein Prozentpunkt vor den Grünen.Vergrößern des Bildes
Co-Parteivorsitzende der SPD Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken: Immerhin ein Prozentpunkt vor den Grünen. (Quelle: imago-images-bilder)

Ausgerechnet in der Corona-Krise befrieden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans allmählich die zerstrittene SPD. Die Geschichte von zwei Parteivorsitzenden, die gerade ihren Platz finden.

Als am 28. Mai 2020 die Vereidigung von Eva Högl als neuer Wehrbeauftragten des Bundestages im Fernsehen übertragen wird, ist die eigentliche Gewinnerin gar nicht zu sehen: Saskia Esken, Parteivorsitzende der SPD, feiert an diesem Tag einen triumphalen Sieg. Sie hatte die Wahl der Innenpolitikerin Högl gemeinsam mit Fraktionschef Rolf Mützenich durchgesetzt.

Die Wehrbeauftragte des Bundestages ist eine Art Kummerkasten für die Bundeswehr, die Besetzung der Stelle gilt eigentlich als B-Personalie. Doch im Fall Högl war es anders. Ihrer Wahl ging ein parteiinterner Machtkampf mit Johannes Kahrs voraus. Kahrs, mächtiger Vertreter des konservativen Seeheimer Kreises, wollte selbst den Posten haben, um von dort aus weiter aufzusteigen.

Kahrs schien dank seines verzweigten Netzwerks unaufhaltbar. Doch das Bündnis zwischen Parteichefin Esken und Fraktionschef Mützenich verhinderte den mächtigen Strippenzieher. Offiziell hieß es später von der SPD-Parteispitze, dass Kahrs am Widerstand des Koalitionspartners gescheitert sei, doch aus der Union wurde das schnell dementiert.

Kahrs gab auf: Er trat nicht nur von allen Ämtern zurück, sondern kündigte seinen vollständigen Rückzug aus der Politik an. Obwohl es zunächst nach dem Gegenteil aussah: Das Scheitern von Kahrs und die Wahl von Eva Högl markieren den Beginn einer Phase der Stabilisation in der SPD, die von Saskia Esken und ihrem Co-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans geprägt wird.

Schallende Ohrfeige für die Führungsriege

Die beiden finden allmählich ihre Rolle im Berliner Politikbetrieb und in der eigenen Partei – teilweise durch mächtige Bündnisse innerhalb der SPD und der Bundestagsfraktion, teilweise durch harte Verhandlungstaktik gegenüber der Union. Die SPD-Vorsitzenden sind angekommen im Maschinenraum der Macht.

Seit einem knappen halben Jahr sind Esken und Walter-Borjans im Amt. Ihre Wahl im Dezember letzten Jahres war eine schallende Ohrfeige der Parteibasis für die eigene Führungsriege: Nach dem erzwungenen, emotionalen Rücktritt von Andrea Nahles wollte die Mehrheit der Genossen einen grundsätzlichen Richtungswechsel. Etablierte Kandidaten für den Vorsitz wie Vizekanzler Olaf Scholz oder Gesundheitspolitiker Lauterbach konnten somit nicht gewinnen.

Die in drei Teile zerrissene Partei

Doch mit der Wahl von Esken und Walter-Borjans wurden auch zwei Politiker in das oberste Amt der Sozialdemokratie getragen, die in ihrer Karriere gar nicht darauf hingearbeitet hatten. Eskens einziges – und viel zitiertes – Amt bis dahin war das der stellvertretenden Landeselternbeirat-Vorsitzenden in Baden-Württemberg.

Walter-Borjans arbeitete etliche Jahre als Landesfinanzminister in Nordrhein-Westfalen, doch er war eigentlich schon in Rente, als er sich entschied, für den Vorsitz der Partei zu kandidieren. Nach ihrer Wahl klopften die beiden im Willy-Brandt-Haus erst mal an viele Bürotüren und stellten sich den Mitarbeitern vor.

Die beiden neuen Vorsitzenden übernahmen eine SPD, die in drei Teile zersplittert war: in die Minister, die Bundestagsfraktion und die Parteibasis diese Aufteilung hatte sich seit Jahren so ergeben. Alle drei Teile hatten unterschiedliche Ziele, die Minister hingen an ihren Positionen und sahen Überlegungen, die große Koalition platzen zu lassen, kritisch.

Vertreter der Basis wollten hingegen schnell raus aus der Regierung, um das Parteiprofil wieder zu schärfen. Und die Bundestagsfraktion stand zwischen beiden Polen, zerrissen und ohne klare Haltung. Es war kompliziert, zumal nun zwei Personen an der Spitze der Partei standen.

Esken und Walter-Borjans gaben dann zu Beginn des Jahres 2020 diverse Zeitungsinterviews, sorgten mit verschiedenen Ideen für Aufregung und Unruhe. Es war ihre Art, inhaltliche Pflöcke einzuschlagen, um sich der eigenen Positionierung zu versichern. Doch ein klarer Kurs kam dabei nicht heraus, im Gegenteil: Die Vielzahl der Vorschläge wirkte unkoordiniert und überhastet.

Klingbeil und die Aufteilung der Politik

Für Ruhe sorgte Lars Klingbeil. Der langjährige SPD-Generalsekretär ist der Mann, der die unerfahrenen Vorsitzenden in den ersten Monaten über das raue Pflaster des politischen Berlins lotste. Er schlug bald vor, dass sich die beiden Vorsitzenden die politischen Themen aufteilten: So sollte Esken beispielsweise als gelernte Informatikerin für Digitalisierung zuständig sein, Walter-Borjans als ehemaliger Finanzminister von Nordrhein-Westfalen für konjunkturelle Aspekte. Fast alle weiteren Politik-Facetten wurden so verteilt: Der Beginn einer nüchternen Sacharbeit, mit der das Vorsitzendenduo noch Monate später punkten wird.

Klingbeil regte auch regelmäßige Telefonkonferenzen zwischen Fraktion, Partei und den Ministern an. Die Vorsitzenden hielten das für eine gute Idee, so sollten die drei auseinanderstrebenden Kräfte geeint werden. Heute sagt Klingbeil t-online.de: "Wir sind im regelmäßigen Austausch zwischen Fraktion, Partei und Regierung. Wir besprechen Themen und vereinbaren gemeinsame Linien." Mittlerweile klappe das "ganz ausgezeichnet".

Doch ein Schlüsselmoment, der für die Positionierung der Parteivorsitzenden wichtig ist, war der 12. März 2020. Es ist der Tag, an dem beide im Interview mit t-online.de ausschließen, die Kanzlerkandidatur für die SPD anzustreben. Beide ahnen wohl, dass sie ihre Partei kaum zu den besseren Wahlergebnissen der Vergangenheit führen könnten.

Doch ihr Verzicht befreite sie auch. Es ist ein wenig wie bei der CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer, der nach ihrem angekündigten Rückzug von der Parteispitze niemand mehr unterstellen konnte, als Verteidigungsministerin im Regierungsgeschäft taktisch zu handeln: Wem kein Wahlkampf als Kanzlerkandidat bevorsteht, der kann glaubwürdiger seine Standpunkte in der Sachpolitik vermitteln. Ähnlich ist es an der Spitze der SPD.

Ein Typ, der keinen dicken Dienstwagen braucht

Esken und Walter-Borjans geben jetzt seltener Interviews mit scharfkantigen Forderungen, nur manchmal kann Esken sich nicht zurückhalten. Wie beispielsweise am gestrigen Montag, als sie vor latentem Rassismus bei der deutschen Polizei warnte und so eine mediale Debatte auslöste. Doch ansonsten telefoniert die Parteispitze mitten in der Corona-Krise viel: mal mit den Parteilinken, mal mit konservativeren Strömungen. Sacharbeit an der Spitze der Arbeiterpartei.

Wie das funktioniert, kann Andreas Stoch erklären: Es ist 12.30 Uhr am gestrigen Montag, als er das Willy-Brandt-Haus in Berlin betritt. Später findet hier noch eine Parteivorstandssitzung statt, deswegen ist er gekommen. Stoch ist Landesvorsitzender der SPD Baden-Württemberg. Bei ihm hat sich Saskia Esken abgeschaut, wie man Fliehkräfte in der Politik wieder eint.

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Der süddeutsche Landesverband der Genossen drohte vor anderthalb Jahren zu zerreißen: Die sogenannten Netzwerker, eine konservative Gruppe, kämpfte gegen den linken Teil der Partei. Andreas Stoch sagt t-online.de: "In Baden-Württemberg ist es mir als jemandem, der keinem Lager und keiner Gruppe angehört, gelungen, den Landesverband wieder stärker zusammenzuführen." Sein Schwäbisch lässt die Sätze weich klingen.

Und er sagt: "Nachdem Saskia Esken im Herbst letzten Jahres gewählt wurde, sagte sie mir, dass sie gerne mit mir darüber sprechen möchte, wie es gelungen sei, in unserem SPD-Landesverband in Baden-Württemberg wieder mehr Zusammenhalt zu organisieren." Stochs Rezept war die Neutralität, Esken kann das aber nur begrenzt umsetzen. Denn im Gegensatz zu ihm vertritt sie teilweise stark linke Positionen.

"Schon damals extrem kreativ"

Die Anbahnung der Einigkeit in der Partei ist daher nur im direkten Zusammenspiel mit Walter-Borjans möglich: Er stellt die Brücke ins konservative Lager her. Walter-Borjans ist als Politiker weit mehr etabliert als Esken, und im Laufe der letzten Monate positionierte er sich auch als Parteichef zunehmend so.

Und viele nehmen Walter-Borjans auch als besseren Rhetoriker des Duos wahr, der nicht nur menschlich als umgänglich gilt, sondern auch Politik gut erklären kann. Einer von ihnen ist der nordrhein-westfälische Abgeordnete Sebastian Hartmann. Er lernte Walter-Borjans im Jahr 2000 kennen, als der gerade einen Wahlkampf für den damaligen Oberbürgermeister von Köln organisierte. Hartmann sagt heute: "Er wirkte damals schon extrem kreativ, das war nach dem triumphalen Bundestagswahlkampf 1998. Norbert hat die Gabe, selbst komplexe Sachverhalte der Steuerpolitik sehr verständlich auf den Punkt zu bringen."

Worte der Einigkeit

Zustimmung bekommen die Parteichefs jetzt, nachdem sie ihre Position gefunden haben, von beiden wichtigen Flügeln der SPD. Sogar einer der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, Dirk Wiese, lobt: "Die Parteispitze, die sozialdemokratischen Ministerinnen und Minister um Vizekanzler Olaf Scholz und die SPD-Bundestagsfraktion arbeiten mittlerweile gut als Mannschaft zusammen."

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Auch Matthias Miersch, der Sprecher der sogenannten Parteilinken, sagt: "In der Partei, Regierung und Fraktion ziehen jetzt alle an einem Strang. Weil wir uns einig waren, konnten wir uns auch inhaltlich in zahlreichen Punkten gegenüber CDU und CSU behaupten." Es sind Worte der Einigkeit, wie man sie seit Jahren in diesem Einklang nicht gehört hat. Allmählich werden Fraktion und die Minister mit der Parteilinie synchronisiert.

Der neueste Erfolg der Parteispitze sind die Verhandlungen mit der Union über das sogenannte Konjunkturpaket. Es ist der bislang durchschlagendste Sieg der neuen Parteispitze. Mittlerweile gilt auch SPD-intern als sicher: Das Konjunkturpaket hätte man nicht so verhandeln können, wäre die Position der beiden Parteivorsitzenden nicht mittlerweile so gefestigt.

Die SPD setzte sich bei vielen zentralen Aspekten des Pakets durch: Es gibt keine Kaufprämie für Verbrennungsmotoren, obwohl die von einer breiten Allianz von Grünen-Ministerpräsident Kretschmann bis hin zum CSU-Chef Markus Söder gefordert worden war. Saskia Esken war in der Frage unerbittlich. Mit ihrem vehementen Auftritt und der Tatsache, dass die Partei immer weniger auseinanderdriftet, überzeugte Esken auch ihren Parteifreund Olaf Scholz.

Esken konnte auch deshalb so selbstbewusst auftreten, weil sie mittlerweile weiß, dass sie nicht nur die Parteilinken hinter sich sammelt. Scholz gab nach, er war zuvor noch offen für die Autoprämie gewesen. Zudem verhandelte die SPD-Führung die Zahlung von 300 Euro pro Kind, zudem gibt es eine temporäre Senkung der Mehrwertsteuer.

Es ist die sprichwörtliche Sachpolitik, die nun Wirkung entfaltet: In einer Umfrage der "Welt", die am Sonntag veröffentlicht wurde, legt die SPD nach Monaten wieder zu. Zwar nur marginal auf 16 Prozentpunkte, aber immerhin. Bei den Sozialdemokraten wird bereits das als Sieg gewertet.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Persönliche Gespräche u.a. mit Lars Klingbeil und Andreas Stoch
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