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FDP-Politiker Johannes Vogel: "Fehler der Regierung wurden immer deutlicher"


FDP-Politiker Vogel
"Die Fehler der Regierung wurden immer deutlicher"

InterviewVon Sven Böll, Tim Kummert

Aktualisiert am 14.05.2021Lesedauer: 7 Min.
Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Johannes Vogel: Der arbeitspolitische Sprecher der FDP will seine Partei auch nach links öffnen.Vergrößern des Bildes
Johannes Vogel: Der arbeitspolitische Sprecher der FDP will seine Partei auch nach links öffnen. (Quelle: imago-images-bilder)

Wie würde die FDP in der nächsten Bundesregierung das Land verändern? Ein Gespräch mit Johannes Vogel, der sich am Freitag zum Vize-Vorsitzenden seiner Partei wählen lassen will.

t-online: Herr Vogel, lange befand sich die FDP im Umfragetief. Doch seit einigen Wochen geht es wieder aufwärts. Was ist passiert?

Johannes Vogel: Es ging sehr lange nur um Corona und die aktuellen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Da stand natürlich vor allem die Bundesregierung im Mittelpunkt. Nach und nach wurden dann aber die Fehler der Regierung immer deutlicher – die zu späte Impfbestellung, die mangelhaften Wirtschaftshilfen, gerade für Selbstständige, die mangelnde Sensibilität für Wirksamkeit und Verhältnismäßigkeit bei Grundrechtseinschränkungen. Langsam rückt nun zudem die Frage in den Vordergrund, wie es nach Corona weitergehen soll. Entscheidend ist, wer jetzt die besten Vorschläge für die Zukunft macht. Und da hat die FDP viel anzubieten.

Die Union setzt darauf, dass sie bald wieder besser dasteht, weil alle geimpft sind und die Stimmung steigt. Fürchten Sie nicht eher, im Moment nur von der Schwäche der Regierung zu profitieren?

Im Gegenteil! Die Impfstoffe wurden doch nur entwickelt, weil ur-liberale Prinzipien wie Innovation durch Unternehmertum, Offenheit für Neues und globale Kooperation zusammenwirkten. Die Krise ist der beste Beweis, dass liberale Ansätze der Schlüssel zur Lösung sind.

Sind Sie sicher, dass das auch viele außerhalb der FDP so sehen?

Ja. Viele Menschen wollen, dass wir möglichst schnell die Versäumnisse bewältigen, die in der Krise deutlich wurden. Und sie wollen, dass wir uns auf künftige Herausforderungen besser vorbereiten. Sonst holen uns morgen erneut schon jetzt absehbare Versäumnisse ein. Dass Deutschland bei der Digitalisierung hinten dranhängt, wussten wir schon vor der Pandemie. Aber in der Krise ist deutlich geworden, wie fatal sich der Rückstand auswirkt. Das darf sich bei anderen Herausforderungen wie der Dekarbonisierung, dem Systemwettbewerb mit China und vor allem auch dem demographischen Wandel nicht wiederholen.

Ihr Parteichef Christian Lindner hat zuletzt einen Plan vorgestellt, wie die FDP mit massiven Steuersenkungen die Wirtschaft ankurbeln will. Von Digitalisierung und demographischem Wandel war dabei nicht die Rede. Es klang doch wieder sehr nach alter FDP.

Sowohl in den Interviews von Christian Lindner als auch in unserem Wahlprogramm steht deutlich mehr drin.

… aber die Steuersenkungen bestimmen die Schlagzeilen.

Na, die Überschrift machen ja andere und das können wir mit diesem Interview ja direkt ändern. Natürlich wollen und müssen wir die Bürgerinnen und Bürger entlasten und die Fundamente der sozialen Marktwirtschaft stärken. Aber die Modernisierungsagenda in unserem Wahlprogramm geht ja weit darüber hinaus.

Könnten Sie bitte drei andere Punkte nennen, die sich konkret ändern, wenn die FDP in der nächsten Bundesregierung sitzt?

Erstens schaffen wir Talentschulen im ganzen Land. Das heißt: Die am besten ausgestatteten Schulen sind in den schwierigsten Stadtteilen. Das schafft einen echten Turnaround für Chancen unabhängig von der Herkunft.

Bildungspolitik ist allerdings Ländersache.

Deshalb wollen wir dem Bund hier auch mehr Kompetenzen geben. Bis es so weit ist, setzen wir das in NRW bereits auf Landesebene um.

Die FDP-Bildungsministerin in Nordrhein-Westfalen macht es bereits?

Ja, unter Yvonne Gebauer wurden schon 60 Talentschulen gegründet.

Das klingt gut. In der Praxis beinhaltet ihr Programm aber nur einen Gehaltsbonus von 20 Prozent für Lehrer. Das führt automatisch zu einer besseren Schule?

Wo haben Sie denn das her? Talentschule heißt zum einen, dass die Schulen zusätzliche personelle Ressourcen bekommen – konkret 20 Prozent auf den Grundstellenbedarf. Daneben werden die Schulen durch viele weitere Maßnahmen unterstützt. Denn das Ziel ist ja, dass diese Schulen zu Leuchttürmen in Stadtteile mit besonderen Herausforderungen werden und über das Schultor hinaus strahlen. Lassen Sie uns gerne eine Talentschule einmal zusammen besuchen. Ganz aktuell gibt es in NRW daneben übrigens einen weiteren Schritt für mehr Chancengerechtigkeit: Wir setzen einen schulscharfen Sozialindex um, der Ressourcen überall noch viel zielgenauer nach Bedarf verteilt.

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Was sind die beiden anderen Punkte, mit denen die FDP das Land verändern will?

Der zweite Punkt betrifft auch die Bildung: Wir versprechen allen Bürgerinnen und Bürgern, im Wandel gut teilhaben zu können, indem wir ein Bildungssystem für das ganze Leben aufbauen, etwa durch unsere Idee eines Midlife-Bafögs. Unser System würde dafür sorgen, dass sie sich alle unabhängig vom Alter weiterentwickeln können und auch Zickzack-Biographien einfacher möglich sind. Und drittens wollen wir eine stabile Rente für alle Generationen, die für die gesamte Gesellschaft fair ist. Wenn wir das künftig gewährleisten wollen, müssen wir das System modernisieren – etwa über unsere gesetzliche Aktienrente und einen flexiblen Renteneintritt nach schwedischem Vorbild.

Kommen wir noch mal zur Steuerpolitik zurück.

Fanden Sie nicht eben, wir würden zu viel über Steuern reden?

Ihre Pläne sind ja schön und gut. Aber mit wem wollen Sie denn Steuersenkungen umsetzen? Die Grünen wollen eher Erhöhungen, die Union im Zweifel den Status quo bewahren …

… ein typischer Unions-Standpunkt.

Mag sein, hilft Ihnen mit Ihren Plänen aber nicht weiter.

Diese Behäbigkeit der Union ist doch genau das, was wir generell hinter uns lassen müssen. Wir brauchen auch eine Modernisierung des politischen Habitus und müssen endlich in Jahrzehnten denken – und nicht nur bis zum Ende der Wahlperiode.

Das heißt konkret?

Die Leitfrage lautet: Was müssen wir heute tun, damit es uns auch 2030 und 2040 gut geht? Ich nenne das "umfassende Nachhaltigkeit".

Reden wir bitte trotzdem zunächst über 2021: Wie wollen Sie in der nächsten Bundesregierung Steuersenkungen durchsetzen?

Wir haben noch mehr als 130 Tage bis zur Wahl. Dann entscheiden erst mal die Bürgerinnen und Bürger, wie stark wir werden. Dass wir Mehrbelastungen für den völlig falschen Weg halten, ist bekannt.

In der letzten schwarz-gelben Koalition auf Bundesebene konnte sich die FDP auch nicht mit einer großen Steuerreform durchsetzen.

Wir haben aus der Zeit von 2009 bis 2013 ja unter anderem die Konsequenz gezogen, dass man Kernanliegen in einer Regierung auch umsetzen muss. Kompromisse in Koalitionen sind immer nötig. Aber wenn sich nicht ausreichend gestalten lässt, machen wir lieber Opposition – das haben wir ja mittlerweile bewiesen.

Sie unterschreiben im Herbst nur dann einen Koalitionsvertrag, wenn dort Entlastungen drinstehen?

Dass wir keine Mehrbelastungen mittragen werden, hat Christian Lindner bereits gesagt.

Keine Mehrbelastungen klingt aber eher nach Status quo mit der Union als nach Aufbruch mit der FDP.

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Wir wollen ja Bürger wie Unternehmen entlasten. Sie haben uns übrigens eben noch vorgeworfen, wir würden vor allem mit Steuerpolitik Schlagzeilen machen, fragen aber selbst nach fast nichts anderem.

Es ist ja nicht das unwichtigste Thema.

Aber so was kommt von so was. Wir haben ein viel breiteres Programm.

Machen wir es doch mal an zwei kleineren Fragen konkret. Der verkehrspolitische Sprecher der FDP ist gegen ein Fahrverbot für Motorräder an Sonn- und Feiertagen. Hat er recht?

Natürlich hat Oliver Luksic recht, ich bin gegen Verbote und für eine moderne Mobilitätspolitik.

Und wie sieht die aus?

Urbane Angebote wie in Kopenhagen, saubere Autos auf dem Land. Wir müssen unsere Klimapolitik so gestalten, dass die Emissionen schrittweise auf null sinken. Das Ziel muss aber über ein marktwirtschaftliches System wie einen dichten CO2-Deckel und Emissionshandel erreicht werden. Der funktioniert, wo es ihn gibt – daher brauchen wir ihn auch für den Verkehrssektor.

Die FDP ist gegen eine Frauenquote in Vorständen. Sie gelten eher als Vertreter des linken Parteiflügels. Finden Sie die Parteiposition richtig?

Sie unterliegen da einem Missverständnis: Ich bin einfach liberal und mache gerade deshalb Sozialpolitik. Zu Ihrer Frage: Wir brauchen natürlich mehr Diversität.

Das sagen bis auf die AfD alle Parteien.

Dass wir gegen starre Quoten sind, ist für die FDP eine Grundsatzfrage. Aber das heißt ja nicht, dass wir stattdessen Untätigkeit vorschlagen. Unser Wahlprogramm ist voll mit vielen konkreten Ideen, die moderne Rollenbilder so fördern würden, dass wir viel mehr Durchlässigkeit hätten. Von Betreuungsangeboten mit realistischen Öffnungszeiten über mehr Partnermonate bis zur Abschaffung der Steuerklasse V.

Inhalte lassen sich nur durchsetzen, wenn man die Macht hat. Welche Optionen hat die FDP denn nach der Bundestagswahl?

Das werden wir sehen, wenn die Wähler entschieden haben.

In Rheinland-Pfalz wurde gerade zum ersten Mal eine Ampelkoalition bestätigt. Allerdings hätte es die FDP fast nicht in den Landtag geschafft. Eine Koalition mit SPD und Grünen scheint bei Ihren Anhängern nicht gerade beliebt zu sein.

Wir können festhalten, dass erstmals eine solche Koalition bestätigt wurde. Das ist ein Schritt in Richtung der neuen Normalität des Parteiensystems: Wir sind eine eigenständige Partei und legen uns nicht auf Koalitionen fest. Und wir regieren in unterschiedlichen Konstellationen mit – wenn die Richtung stimmt.

Wir ahnen es schon: Entscheidend sind die Inhalte.

Genau. Und weil ich Ihre nächste Frage ahne, nehme ich sie vorweg: Ja, bei allen Unterschieden haben wir zur Union mehr programmatische Überschneidungen als zu anderen, zumal bei den Bundesthemen.

Das ist aber sehr zurückhaltend formuliert. Früher haben sich Union und FDP noch gegenseitig "Wunschpartner" genannt.

Jeder kämpft für sich und sein Programm. Ich bin zudem deshalb zurückhalten, weil die Union im Bundestag sich nicht nur bisher durch eine ausgeprägte Ambitionslosigkeit auszeichnet, sondern bislang noch nicht einmal ein Wahlprogramm hat. Deshalb weiß ich noch gar nicht, was sie konkret will.

Wenn die Union so ambitionslos ist, wie Sie sagen: Warum tun Sie sich dann nicht mit ambitionierteren Parteien zusammen? Vielleicht ließe sich da mehr bewegen.

Ambition muss ja auch in die richtige Richtung gehen. Und dass wir als Motor einer Regierung auch mit der CDU viel bewegen können, zeigt ja etwa die Koalition unter Armin Laschet in Nordrhein-Westfalen. Die haben übrigens die Vorsitzenden Laschet und Lindner gebildet.

Verwendete Quellen
  • Video-Interview mit Johannes Vogel
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